Protokoll der Sitzung vom 21.06.2000

Frau Abgeordnete, wenn der Landkreis die Wiederaufnahme des Verfahrens in rechtlicher Hinsicht so eröffnet, wie er es versprochen hat, wird unterschiedlich verfahren werden, weil nicht jede Entscheidung zu einer Heimeinweisung geführt hat. Es ging vielmehr um die Rechtsfrage, ob man über die Kosten hinaus, die aus dem Pflegebereich abgedeckt werden, noch zusätzlich aufgestockte Sozialhilfe bekommen kann. Das könnten solche Fälle sein wie die der Dame, über die wir soeben sprechen, es kann aber genauso gut sein, dass es nicht diese Konsequenzen hatte.

Wir können damit die Dringliche Anfrage unter b) verlassen und kommen zu

c) Verunreinigtes Saatgut durch gentechnisch veränderten Raps - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/1705

Hierzu erteile ich Herrn Klein das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Freitag, dem 19. Mai 2000, wurde presseöffentlich, dass durch die Saatgutfirma Advanta Seeds mit gentechnisch verändertem Samen verunreinigtes Rapssaatgut in mehreren EU-Ländern an Landwirte ausgeliefert wurde (siehe "Hannoversche Allgemeine Zeitung" vom 19. Mai 2000 und "die tageszeitung" vom gleichen Tag). Gentechnisch verändertes Rapssaatgut ist wegen nicht geklärter Risiken EU-weit nicht zur allgemeinen Aussaat zugelassen.

Im Falle der Verunreinigung des Rapssaatgutes handelt es sich um Raps mit einer gentechnisch erzeugten Herbizidresistenz. Die Verunreinigung beträgt laut Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 0,03 %.

Entgegen ursprünglichen Informationen, es sei kein gentechnisch verunreinigtes Saatgut nach Niedersachsen gekommen, sind in der "Neuen Presse" vom 27. Mai 2000 Angaben des schleswigholsteinischen Umweltministeriums veröffentlicht, nach denen ein Saatzuchtbetrieb bei Flensburg nachweislich gentechnisch verunreinigte Saatgutpartien an Großhändler in mehr als sechs Bundesländern ausgeliefert habe. Darunter sei auch Niedersachsen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie und in welchem Umfang ist die niedersächsische Landwirtschaft von diesem Vorgang betroffen?

2. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung aktuell ergriffen und wie wird in Zukunft sichergestellt, dass weder gentechnisch verändertes noch gentechnisch verunreinigtes Rapssaatgut an niedersächsische Landwirte zur allgemeinen Aussaat gelangt?

3. Welche Auswirkungen hat das unkontrollierte Auskreuzen gentechnisch veränderten Pflanzenerbmaterials auf normale Nahrungspflanzen für die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel nach der Novel-Food-Verordnung?

Die Dringliche Anfrage wird von Minister Bartels beantwortet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der mit der Dringlichen Anfrage aufgegriffene Fall der Verunreinigung von Rapssaatgut mit gentechnisch veränderten Rapskörnern ging vor vier Wochen durch die Medien und ist hinlänglich bekannt. Die Darstellung der Sachlage in der Anfrage entspricht den der Landesregierung und beim Bundeslandwirtschaftsministerium vorliegenden Erkenntnissen.

Die Brisanz der Angelegenheit - darauf möchte ich ergänzend hinweisen - liegt darin, dass gentechnisch verändertes Rapssaatgut in Deutschland nicht zur allgemeinen Aussaat zugelassen ist. Dazu kommt, dass gentechnisch verändertes äußerlich nicht von herkömmlich erzeugtem Saatgut unterschieden werden kann.

Nach den durchgeführten Analysen lag der Anteil der gentechnisch veränderten Körner allerdings im Maximum nur bei 0,03 % im Saatgut. Diese Beimengung liegt damit weit unter dem Wert von 1 %, der nach der Kommissionsverordnung 49/2000 für die nicht kennzeichnungspflichtige Beimengung der gentechnisch veränderten Soja- und Maissorten in Lebensmitteln als Grenzwert festgelegt wurde.

Wenngleich die Tatsache, dass das verunreinigte Saatgut mehr oder weniger unbemerkt zur Aussaat gelangen kann, sehr nachdenklich stimmt, war und ist eine gesundheitliche Gefährdung durch das Saatgut auszuschließen. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass dieser in anderen Teilen Deutschlands von Landwirten angebaute Sommerraps nahezu ausschließlich für die Erzeugung von Biodiesel vorgesehen war bzw. ist.

Die insgesamt in Deutschland eingeführte Menge betrug 5.950 kg, die vom Importeur größtenteils nach Ost- und Süddeutschland geliefert wurde, wo die Verunreinigung festgestellt wurde.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu 1: Von einer Betroffenheit der niedersächsischen Landwirtschaft kann keine Rede sein. Nach Recherchen der nach Gentechnikrecht zuständigen Behörden - dies sind die dem MU nachgeordneten Gewerbeaufsichtsämter bei den Bezirksregierungen - sind nach Niedersachsen insgesamt 6,75 kg des Saatgutes gelangt, was für die Einsaat von ca. 1 bis 1,2 ha ausgereicht hätte. Hiervon waren lediglich 50 g in einer Versuchs- und Demonstrationsparzelle ausgesät worden.

Die mögliche Verunreinigung war allen Beziehern nicht bekannt. Nach Bekanntwerden der möglichen Verunreinigung des Saatgutes wurde die eingesäte Fläche sofort umgebrochen. Dies geschah nicht wegen möglicher Umwelt- und Gesundheitsschädigung, sondern wegen der Sorge um die mögliche Zerstörung der gesamten Versuchsanlage.

(Oestmann [CDU]: Hört, hört!)

Die übrige nach Niedersachsen gelangte Menge von 6,25 kg ist nicht zur Aussaat gelangt.

Zu 2: Aufgrund der beschriebenen Sachlage bestand für die Landesregierung kein akuter Handlungsbedarf. Unter den beschriebenen Umständen ist es nicht oder nur bei Untersuchung sämtlichen Saatgutes möglich, dass die Aussaat von gentechnisch verunreinigtem Saatgut verhindert werden kann. Eine derartige Maßnahme ist seitens der Landesregierung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht beabsichtigt.

Um zukünftig bei der Bewertung des ökologischen und gesundheitlichen Gefährdungspotenzials von gentechnisch veränderten Beimengungen des Saatgutes rechtlich abgesicherte Aussagen treffen zu können, wird auf nationaler und europäischer Ebene bereits die Festsetzung von Grenzwerten für zulässige gentechnisch veränderte Beimengungen im Saatgut diskutiert. Offen ist dabei, ob ein derartiger Grenzwert in saatgut- oder gentechnikrechtliche Bestimmungen einfließen sollte.

Zu 3: Nach Artikel 8 der Novel-Food-Verordnung sind Lebensmittel, die in ihren Merkmalen oder Ernährungseigenschaften bestehenden Lebensmitteln nicht mehr gleichwertig sind, entsprechend zu kennzeichnen. Ein neuartiges Lebensmittel gilt als nicht mehr gleichwertig, wenn die Unterschiede gegenüber konventionellen Lebensmitteln durch eine wissenschaftliche Beurteilung auf der Grund

lage einer angemessenen Analyse der vorhandenen Daten nachgewiesen werden können. Dies gilt für neuartige Lebensmittelbestandteile in entsprechender Weise. Danach begründet der Nachweis gentechnisch veränderter Bestandteile grundsätzlich die Kennzeichnungspflicht eines Lebensmittels.

Da die Novel-Food-Verordnung für Lebensmittel und Lebensmittelzutaten gilt, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, besteht keine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, deren gentechnisch veränderte Bestandteile auf das unkontrollierte Auskreuzen gentechnisch veränderten Pflanzenmaterials zurückzuführen ist. Auch nach Auffassung der EU-Kommission wird die unbeabsichtigte und technisch unvermeidbare Verunreinigung eines Rohstoffs vom Begriff der Herstellung nicht mit erfasst. Aus Sicht des Verbraucherschutzes erscheint diese Vorgehensweise allerdings besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse nicht befriedigend.

Im Gegensatz zur Novel-Food-Verordnung stellt die Kommission in ihrer Verordnung 49/2000 vom 10. Januar 2000 klar, dass die zufällige Anwesenheit der gentechnisch veränderten Soja- oder Maissorten, die unter die Verordnung 1139/98 des Rates vom 26. Mai 1998 fallen, nur bei einer Menge von mehr als 1 % zu kennzeichnen ist. Leider fehlt bislang eine ähnlich klare Regelung zur Anwendung der Novel-Food-Verordnung.

Wir kommen zu möglichen Zusatzfragen. Gemeldet hat sich Frau Kollegin Litfin.

Herr Minister, sind Ihnen die Untersuchungen der Universität Jena bekannt, wo gentechnisch manipuliertes Material festgestellt worden ist, das von Bienen aufgenommen worden und in denselben auch wiedergefunden worden ist? Werden in Niedersachsen ähnliche Untersuchungen durchgeführt?

Herr Minister Bartels wird die Frage beantworten.

Die Untersuchung ist bekannt. In Niedersachsen werden ähnliche Untersuchungen nicht durchgeführt.

Eine Zusatzfrage stellt der Kollege Klein.

Herr Minister, in diesem Fall ist bekannt geworden, dass die Kontamination über eine Entfernung von etwa 800 m erfolgte. Muss man unter diesem Gesichtspunkt nicht die bisher praktizierten Abstandsregelungen für solche Aussaaten überarbeiten und erweitern?

Bitte sehr, Herr Minister!

Herr Abgeordneter Klein, das, was Sie beschrieben haben, ist letztlich von der Art und Weise der Bestäubung abhängig. Aber man kann in der Tat entsprechende Übertragungen nicht ausschließen.

Wir führen deshalb in Niedersachsen seit einigen Jahren ein entsprechendes Begleitmonitoring durch, um bei Versuchsfeldern, insbesondere bei Wildpflanzen, auch im Umfeld auf Dauer zu beobachten, ob es irgendwelche Auswirkungen auf die Pflanzen gibt.

Eine Zusatzfrage stellt nun der Herr Kollege Wojahn.

Herr Minister, da es berechtigte Ängste gibt, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen in der freien Natur ausbreiten können, und die Wissenschaft sagt, Hybriden z. B. könnten in der freien Natur nicht überleben, frage ich Sie: Ist Ihrem Haus oder ist der Wissenschaft bekannt, ob gentechnisch veränderte Pflanzen in der freien Natur überleben können, gibt es da Forschungsbedarf, wird daran geforscht?

Bitte sehr, Herr Minister!

Herr Abgeordneter, hierbei geht es ja in der Regel um Herbizidresistenzen, die sozusagen implantiert werden. Ich kann Ihnen sagen, dass wir in dem Untersuchungsprojekt, das ich eben angesprochen habe, natürlich schon beobachten, inwieweit es Auswirkungen auf Wildpflanzen gibt. Die Erfahrung, die jedenfalls bisher gemacht worden ist, ist die, dass die Wildpflanzen keinen Nutzen von dieser Veränderung der Hybridpflanzen gezogen haben und deshalb sozusagen auch keine Veränderung in der Struktur der Wildpflanzen festgestellt werden konnte.

Zu einer weiteren Zusatzfrage erteile ich Frau Kollegin Steiner das Wort.

Herr Minister, Sie sind ja auf das Ausmaß der Verunreinigung des Saatguts eingegangen. Können Sie als Landesregierung ausschließen, dass anderswo, z. B. in Nordrhein-Westfalen, gekauftes, mit gentechnisch verändertem Samen verunreinigtes Saatgut mit den Rapssamen auf niedersächsischen Äckern ausgebracht wurde?

Bitte sehr, Herr Minister!

(Oestmann [CDU]: Herr Minister, bleiben Sie doch da vorn stehen! Dann geht das schneller!)

Herzlichen Dank für den Tipp.

Frau Abgeordnete, ich kann da natürlich nichts ausschließen. Da mir die Einzelheiten der Lieferungen aus Nordrhein-Westfalen nicht bekannt sind, kann ich natürlich nicht ausschließen, dass auf irgendeinem Weg gleichwohl irgendetwas nach Niedersachsen gekommen ist. Ich kann nur für die Mengenangabe geradestehen, die ich in meiner Antwort gemacht habe. Die Mengenangabe haben

wir in einer Bund-Länder-Besprechung in Bremen vor etwa drei Wochen erfahren. Unsere zuständigen Stellen sind sofort tätig geworden und haben sozusagen lückenlos nachweisen können, wohin diese Mengen gelangt sind. Ich habe Ihnen auch gesagt, wie damit verfahren wurde.

Herr Schröder möchte jetzt eine Zusatzfrage stellen.

Herr Minister, werden Sie dann, wenn sich die Angaben des Herstellers bestätigen sollten, nach denen die Kontamination über eine Entfernung von 800 m erfolgt ist, die gültigen Abstandsregelungen, die wir für Versuchsfelder haben - ich glaube, 200 m -, ändern?

Bitte sehr, Herr Minister!