Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche unzureichenden Regelungen für die Direktwahl der Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte sind ihr bekannt?

2. Beabsichtigt sie, noch rechtzeitig vor der Kommunalwahl 2001 dem Landtag Veränderungen im Wahlrecht vorzuschlagen?

3. Welche Änderungsvorschläge sind gegebenenfalls zu erwarten?

Zuständig und in der Lage zu antworten ist der Herr Innenminister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage von Herrn Eveslage unterstellt, dass bei den seit 1996 insgesamt durchgeführten 173 Direktwahlen von kommunalen Hauptverwaltungsbeamten Fehler offenkundig geworden sind, die nach seiner Auffassung auf das Wahlverfahren nach dem Kommunalwahlgesetz zurückzuführen sind. Das, Herr Eveslage, konnte ich trotz intensiver Nachforschungen nicht erkennen. Mir sind auch keine Neuwahlen oder Wiederholungswahlen bekannt, die seit der Einführung der Direktwahlen wegen unzureichender Regelungen des Wahlverfahrens durchgeführt werden mussten. Ich kann mir deshalb nicht erklären, woher Sie Ihre Erkenntnisse bezogen haben.

Soweit Sie bemängeln, dass bei Tod oder Rücktritt einer Bewerberin oder eines Bewerbers nach Ablauf der Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge die betroffene Partei keine Möglichkeit mehr hat, eine Ersatzkandidatin oder einen Ersatzkandidaten vorzuschlagen, so ist dies gerade kein Systemfehler, sondern eine gewollte Regelung, die der Sicherung eines reibungslosen Wahlverfahrens dient.

Dazu lassen Sie mich bitte einige wenige Bemerkungen machen.

Das Wahlrecht ist weitestgehend Formalrecht und termingebunden. Wahlvorschläge für Direktwahlen müssen bis zum 34. Tag vor der Wahl bei der Wahlleitung eingereicht sein. Spätestens am 30. Tag vor der Wahl hat der Wahlausschuss über die endgültige Zulassung der Wahlvorschläge zu entscheiden. Um klare und eindeutige Tatsachen und Rechtsverhältnisses zu schaffen, müssen von

einem bestimmten Zeitpunkt an unabänderliche Grundlagen für die Wahl gegeben sein. Dies ist unabdingbar erforderlich für den Stimmzetteldruck, die Durchführung der Briefwahl, aber auch für die Wahlwerbung der Bewerberinnen und Bewerber sowie der Wahlvorschlagsträger. Änderungen von Wahlvorschlägen nach diesem Zeitpunkt würden das streng formale Wahlgeschäft undurchführbar machen und damit die Wahl selbst infrage stellen.

Für diesen Fall, dass eine Bewerberin oder ein Bewerber nach Ablauf der Einreichungsfrist, aber vor dem Wahltage verstirbt oder es sich anders überlegt und nicht mehr kandidieren will, regelt das Kommunalwahlgesetz klar und folgerichtig, dass dies auf die Durchführung der Wahl keinen Einfluss hat. Die Bewerberin oder der Bewerber wird bzw. bleibt trotzdem auf dem Stimmzettel aufgeführt.

Erhält diese Bewerberin oder dieser Bewerber bei der Wahl dann dennoch mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen, so kann im Falle des Todes aus diesem Grunde keine Annahme des Amtes erfolgen. Im zweiten Fall, dem Rücktrittsfall, bleibt der Bewerberin oder dem Bewerber die Möglichkeit, die Annahme der Wahl abzulehnen. Für die Ablehnung reicht es schon aus, wenn sie oder er keine Annahmeerklärung gegenüber der Wahlleitung abgibt.

In beiden Fällen muss eine neue Wahl durchgeführt und das gesamte Wahlverfahren wiederholt werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass Direktwahlen reine Persönlichkeitswahlen sind, ist diese Regelung nachvollziehbar, sinnvoll und folgerichtig. Sie bietet somit keinen Anlass für die in der Tat bevorstehende Vorlage eines Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Änderung des kommunalen Wahlrechts.

Dies zunächst auf Ihre Eingangsbemerkung vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Fragen, Herr Eveslage, namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Wie eingangs dargestellt, enthält das Kommunalwahlgesetz für die Direktwahlen keine unzureichenden Regelungen.

Zu Frage 2: Es ist beabsichtigt in den nächsten Tagen dem Landtag eine Änderung des Kommunalwahlgesetzes vorzuschlagen. Die Initiative dafür beruht aber nicht auf Unzulänglichkeiten bei den Direktwahlen.

Zu Frage 3: Die Änderungsvorschläge des von mir vorzulegenden Gesetzentwurfs sollen im Wesentlichen eine Harmonisierung mit den wahlrechtlichen Vorschriften der Landtagswahl erreichen, den Wünschen der Wahlorganisation und den datenschutzrechtlichen Belangen Rechnung tragen. Grundlegende Änderungsvorschläge für die Durchführung der Wahlen der kommunalen Hauptverwaltungsbeamten wird der Gesetzentwurf nicht enthalten. Es sollen aber die Stellung der kommunalen Vertretungen bei der Bestimmung der Wahltermine für einzelne Direktwahlen gestärkt und Melderegisterauskünfte an Träger von Wahlvorschlägen für Direktwahlen zugelassen werden. Im Übrigen werde ich den Gesetzentwurf bei der Einbringung in den Landtag noch näher erläutern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Zur potentiellen Totenwahl, Herr Eveslage!

Herr Präsident! Ich richte den Blick einmal nach vorne. Herr Minister, ich habe eine Frage zu einem Artikel, der gestern in der „Welt“ stand. Für diejenigen, die diesen Artikel nicht gelesen haben, darf ich vielleicht zwei Sätze vorausschicken, Herr Präsident. In der „Welt“ ist gestern berichtet worden, dass bei der niedersächsischen Kommunalwahl im Jahr 2001 die Möglichkeit bestünde, erstmals online per Internet die Stimme abzugeben. Eine Gruppe in der Universität Osnabrück habe ein Verfahren entwickelt, das laut gestrigem Bericht in der „Welt“ auch dem Erfordernis des Wahlgeheimnisses Rechnung trägt.

Ich frage die Landesregierung: Ist ihr dieses Bemühen der Osnabrücker Universität bekannt, und wie nimmt sie dazu Stellung?

Herr Innenminister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Eveslage war so freundlich, mir diese Frage voranzukündigen, sodass ich mich etwas schlau machen konnte.

Der Landesregierung sind diese interessanten Forschungen bislang auch nur aus der Presse bekannt, Herr Eveslage. Meine ersten Recherchen

hinsichtlich der Möglichkeit der Nutzung solcher Wahlmodalitäten haben ergeben, dass wir es bei der nächsten Kommunalwahl auf keinen Fall so machen könnten. Wir müssten, wenn wir es wollten, zunächst die gesetzlichen Grundlagen ändern. Ohnehin würde ich so etwas nicht im Lande machen wollen, wenn der Bund nicht schon vorher in diese Richtung marschiert ist.

Also: Bei der Kommunalwahl besteht diese Möglichkeit nicht. Für später sollte man solche Möglichkeiten durchaus prüfen. Aber das muss meiner Ansicht nach bundeseinheitlich geschehen.

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen für Zusatzfragen.

Wir kommen damit zu

Frage 8: Neuer Büroleiter des Ministerpräsidenten äußert 'Unmut' über Position des Ministerpräsidenten

Die Frage wird gestellt vom Abgeordneten Pörtner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Anfrage hat folgenden Wortlaut:

In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift der Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ ist auch ein Diskussionsbeitrag von SPD-Funktionären zur Zukunft der Orientierungsstufe zu lesen. In der Einleitung heißt es wörtlich: „Wie geht es weiter mit der OS? Reicht ein Machtwort des Ministerpräsidenten, um Partei und Fraktion auf einen neuen bildungspolitischen Kurs zu zwingen? In der SPD verstärkt sich der Unmut. Die Diskussion reißt nicht ab. In der Bezirksausgabe Hannover des ‚Vorwärts‘, der SPD-Mitgliederzeitschrift, haben die Vorstandsmitglieder Dr. Gabriele Andretta und Dr. Cornelius Schley diesen Beitrag veröffentlicht.“ In diesem Beitrag heißt es dann insbesondere: „Wenn wir also auf die Vorteile der OS nicht verzichten, ihre Schwächen aber beheben wollen, dann gibt es nur eine Antwort: Erweiterung der OS auf vier Schuljahre, also eine gemeinsame Schulzeit für alle Kinder von insgesamt acht Jahren.“ Damit sprechen sich die Verfasser für ein integriertes Gesamtschulmodell bis einschließlich der

8. Klasse aus, wie es den Forderungen der Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ entspricht.

Besondere Bedeutung kommt dieser Meinungsäußerung zu, weil es sich bei Dr. Cornelius Schley um den neuen Büroleiter des Niedersächsischen Ministerpräsidenten Gabriel handelt. Ministerpräsident Gabriel hatte öffentlich wiederholt erklärt, er wolle die Diskussion um die Zukunft der Orientierungsstufe ergebnisoffen diskutieren und keine Alternative ausschließen. Für seinen persönlichen Mitarbeiter gibt es aber „nur eine Antwort“.

Ich frage die Landesregierung:

1. Teilt sie die Ansicht des neuen Ministerbüroleiters des Ministerpräsidenten und Landesbeamten Dr. Cornelius Schley,

(Adam [SPD]: Guter Mann!)

- das wollen wir gleich mal sehen - dass es in der Orientierungsstufendiskussion „nur eine Antwort“ gebe, nämlich die „Erweiterung der OS auf vier Schuljahre, also eine gemeinsame Schulzeit für alle Kinder von insgesamt acht Jahren“?

2. Wie glaubwürdig sind Aussagen des Ministerpräsidenten zur ergebnisoffenen Diskussion über die Zukunft der Orientierungsstufe, wenn dessen neuer Büroleiter keine offene Diskussion über die Orientierungsstufe will, sondern „nur eine Antwort“ für alle Schulkinder kennt, nämlich ein integriertes Gesamtschulmodell einschließlich des achten Schuljahrganges?

3. Hält sie es für ein gelungenes Beispiel politischer Koordination und Geschlossenheit in Sachfragen seitens der Landesregierung,

(Groth [SPD]: Da habt ihr aber Sor- gen!)

- das wollen wir alles mal abwarten - wenn der Ministerpräsident und sein persönlicher Büroleiter in einer zentralen Sachfrage der Landespolitik konträre Meinungen vertreten

(Unruhe bei der SPD)

- was sind Sie so aufgeregt? Sie können wohl die Antwort nicht abwarten!

(Plaue [SPD]: Gar nicht! Freudig er- regt!)

und sich der Büroleiter sogar zum Wortführer des „Unmuts“ über den Kurs des Ministerpräsidenten macht?

Das Wort hat der Herr Ministerpräsident!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung ist weiterhin der Auffassung, dass es gut ist, dass in Deutschland und somit auch in Niedersachsen Meinungsfreiheit gilt.

(Beifall bei der SPD)

Wir freuen uns über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung, die in der Lage sind, selbständig zu denken und zu reden.

(Beifall bei der SPD)

Die Landesregierung macht sich hingegen große Sorgen um den Zustand der politischen Debatte und der Kultur, da die Oppositionsfraktionen offenbar nicht mehr die Mitglieder der Landesregierung selbst in die Kritik ziehen können, sondern nur noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung.