Protokoll der Sitzung vom 08.12.2011

Herr Präsident! Herr Kollege Wenzel, ich hatte es in der Antwort vorhin angedeutet. Es geht auch um etwas Arbeitsökonomie. Bestimmte Fälle, die aussichtslos sind, kann man von vornherein auskoppeln. Das ist sogar bei der höchsten Gerichtsbarkeit zum Teil so verankert. Aber auch das ist eine Frage von Gestaltung.

Zu der Frage von Frau Polat will ich nachtragen: Sie haben hier einen neuen Entwurf angesprochen. Es ist richtig: Wir haben eine Verordnung, die noch gilt, und ein Verfahren, das zu einer neuen Verordnung führen soll. Der Entwurf, auf den Sie sich beziehen, ist aber zurückgezogen worden. Es wird einen neuen Entwurf geben, mit Verbandsanhörung usw. Wenn Sie so wollen, sind die Fragen also alle offen.

Die nächste Frage wird von Frau Kollegin Jahns von der CDU-Fraktion gestellt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass es nicht das erste Mal einen Disput von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden um die Arbeit der Härtefallkommission gegeben hat, frage ich die Landesregierung, ob es nicht an der Zeit ist, im Vergleich mit anderen Bundesländern die Anzahl der Nichtannahmegründe zu verringern, auch um die Arbeit der Härtefallkommission transparenter zu gestalten.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Minister!

Herr Präsident! Verehrte Frau Kollegin, es ist eine Frage der Arbeitsökonomie, wie viele Fälle man sich auf den Tisch zieht, um sie durchzuberaten und dann festzustellen: Es war aussichtslos; wir haben möglicherweise nur falsche Hoffnungen geweckt.

Ich möchte hier auf Folgendes hinweisen: Wenn es den offiziellen Entwurf einer neuen Verordnung gibt, folgt die Verbandsbeteiligung. Daran werden auch die genannten Organisationen und nicht zuletzt die Kirchen beteiligt sein. Diese Beteiligten, die die Arbeit tragen, mögen sich an einen Tisch setzen und sagen: Was können wir uns zumuten? Was ist aussichtslos? Muss es mehr oder kann es weniger Nichtannahmegründe geben? - Ich denke, das sollte kein großes Problem sein.

Ich will noch nachtragen: Wir haben wie die meisten Bundesländer ein Zweidrittelquorum. Das ist so schlecht nicht, denke ich. Ich will auf die kleine Erfolgsmeldung vorhin verweisen: Wenn über 64 % der Verfahren in der Härtefallkommission mit Erfolg für die Petenten ausgehen, ist das eine sehr hohe Quote. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen, in dem die Kommission mit einfacher Mehrheit ein Härtefallersuchen stellen kann, ist die Quote wesentlich geringer. Daran allein kann es also nicht liegen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die nächste Frage stellt Frau Twesten für Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Hat die Inanspruchnahme von Kirchenasyl in der Vergangenheit die Nichtannahme von Eingaben durch die Härtefallkommission nach sich gezogen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister!

Herr Präsident! Frau Kollegin Twesten, die Antwort ist ein ganz klares Nein.

Erlauben Sie dem Justizminister dazu noch einen Gedankengang: Im rechtlichen Sinne gibt es kein Kirchenasyl. Das ist konform mit dem Kirchenrecht, und das sehen auch die Kirchen selber so. Die theologische Ebene ist nicht mein Ding. Es geht einfach um die Frage, ob Leute, die eine Zeit lang Hilfe und Schutz in kirchlichen Räumen gefunden haben - landläufig wird dann von Kirchenasyl gesprochen -, durch diesen Umstand vom Härtefallverfahren ausgeschlossen sind. Das sind sie nicht, weil es das Kirchenasyl als solches gar nicht gibt.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Herr Schünemann hat aber etwas anderes gesagt!)

Es geht aber um etwas anderes: Wenn jemand schon eine Verfügung hat, dass er das Land verlassen muss, und sich dieser Verfügung, die ja einen langen Rechtsweg hinter sich hat, dadurch entzieht, dass er sich in einen anderen Schutzraum begibt, dann kommt dieses Argument mit zum Tragen.

Die nächste Zusatzfrage wird von der SPD-Fraktion gestellt. Herr Kollege Tonne!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund einer Pressemitteilung aus dem Innenministerium vom 17. November 2011, wonach die Ausländerbehörden künftig Ausreisepflichtige über die Möglichkeit der Anrufung der Härtefallkommission informieren sollen, frage ich

die Landesregierung, wie das konkret geschehen soll und wie das insbesondere kontrolliert werden soll.

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Tonne, ich habe es vorhin in der ersten Antwort schon deutlich gemacht: Um manchmal zur Klärung und Vereinfachung, vielleicht auch zur Erhöhung der Erfolgsträchtigkeit der Verfahren beizutragen - damit da keine Pannen passieren -, will man die Betroffenen von vornherein und mehr als bisher auf die Möglichkeit des Härtefallverfahrens hinweisen. Darauf bezieht sich dieses Schreiben von Mitte November. Wie ich vernehme, ist längst ein Erlass an die Ausländerbehörden herausgegangen, der ausdrücklich darauf hinweist, dass so verfahren werden soll. Das Ganze ist frisch. Aber gehen Sie davon aus, dass es dazu ein entsprechendes Evaluations- und Kontrollverfahren geben wird.

(Zustimmung bei der CDU)

Die nächste Zusatzfrage wird von der CDUFraktion gestellt. Herr Kollege Focke!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund dessen, dass die Härtefallkommission immer dann aktiv wird, wenn bei der rechtmäßigen Durchsetzung des Ausländerrechts eine humanitäre Notsituation, eine besondere humanitäre Härte eintritt und dass die Kirchen und Wohlfahrtsverbände hier einen größeren Spielraum fordern, frage ich die Landesregierung: Warum bleibt eigentlich die Sicherung des Lebensunterhalts eine Vorbedingung für die Prüfung oder die Aufnahme der Eingabe in die Härtefallkommission?

Herr Minister!

Herr Präsident! Herr Kollege, das ist keine Vorbedingung. Auch die Frage, ob beim Verbleib im Lande Belastungen für den Sozialstaat entstehen werden, wird in das Verfahren mit eingestellt in die

Gesamtbeleuchtung der humanitären und sonstigen Gründe.

Ich will in diesem Zusammenhang, wenn wir das schon insgesamt beleuchten, dazu ergänzen: Wenn die Härtefallkommission zu einer Entscheidung kommt, dass man aus humanitären Gründen die Notwendigkeit, den Bedarf sieht, eine Person, eine Familie im Lande zu lassen, dann ist dies eine Empfehlung an den Innenminister. Er folgt dieser Empfehlung in der Regel. Er muss aber im öffentlichen Interesse mit der örtlichen Behörde abklären, ob da nicht Belange dem öffentlichen Interesse entgegenstehen. Da kommt dieser Gedanke noch einmal ins Spiel, aber er ist nicht der allein ausschlaggebende.

Die letzte Frage für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird nun vom Kollegen Limburg gestellt.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen zur Humanität: Allein die Existenz einer Kommission macht einen Staat nicht human bzw. allein die bloße Existenz einer Kommission macht staatliches Handeln nicht human.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ein Staat, der sich Mühe gibt, die UN-Kinderrechtskonvention, die Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention halbwegs einzuhalten, wird nicht allein dadurch human, sondern hält sich an höherrangiges Recht.

Herr Kollege, Sie müssen das bitte in eine Frage kleiden!

Vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen zum Kirchenasyl frage ich Sie: Wenn den Behörden bekannt ist, dass sich eine Person im Kirchenasyl befindet und wo sie sich befindet, und das Kirchenasyl, wie Sie gerade gesagt haben, gar kein Rechtsinstitut ist, also gar keine Statusänderung für die Person eintritt, sondern die Person, rechtlich gesehen, nur ihren Wohnort ändert, der wiederum der Behörde bekannt ist, wie kann dann dieses Handeln der Behörde - vor dem Hintergrund, dass es dann die Behörde ist, die sich freiwillig zurücknimmt und sagt „Wir schieben nicht

aus der Kirche heraus ab“ - nachteilige Auswirkungen für die Person haben, die sich ins Kirchenasyl begibt?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister!

(Filiz Polat [GRÜNE]: Genau wie bei Familie Nguyen! Da wurde ihr das Kirchenasyl zum Verhängnis! Das war 2006! Fragen Sie Herrn Bode!)

Herr Präsident! Herr Kollege Limburg, auch wenn es ein bisschen kompliziert war: Es muss im Grunde genommen auf den Punkt reduziert werden, dass das Kirchenasyl gerade in einem schon abgeschlossenen Verfahren dem Beteiligten keinen Vorteil bringt, den er sonst nicht hätte. Das Kirchenasyl - die Tatsache, dass sich jemand dorthin begeben hat - gereicht auch nicht zum Nachteil. Es geht um die Frage: Welcher Verfahrensstand ist erreicht? Ist das Verfahren insgesamt noch offen, oder ist es schon abgeschlossen? Entzieht sich dann jemand - - -

(Helge Limburg [GRÜNE]: Aber sie entzieht sich ja nicht! Die Behörde weiß ja, wo die Person ist! Die kann ja aus dem Kirchenasyl abschieben! Rechtlich geht das!)

- Ja, aber Sie wissen, dass die Kirche sozusagen emotional einen besonderen Schutzraum darstellt. Das will ich aber gar nicht mit Ihnen ausdiskutieren.

Ich will Ihre erste Frage gerne aufgreifen: Ein Gesetz ist wunderbar. Aber was ein humanes Gesetz, eine humanitäre Maßnahme, eine humane Entscheidung ist, entscheiden die handelnden Personen selber - wir als Parlamentarier, aber auch die acht oder neun Personen in der Härtefallkommission. So, wie sie zusammengesetzt ist - das sind nicht nur Kirchenvertreter, sonder auch andere -, traue ich ihnen schon zu, dass sie nicht nur vom Fachlichen her, sondern auch vom Persönlichen, Emotionalen her wissen, was eine humanitäre Maßnahme ist und was nicht.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Das zum Kir- chenasyl ist falsch beantwortet!)

Die nächste Frage für die Fraktion DIE LINKE stellt der Kollege Humke.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Busemann, vor dem Hintergrund Ihrer Aussage vorhin, dass die bloße Existenz einer Härtefallkommission Ausdruck einer humanen Flüchtlingspolitik sei, frage ich die Landesregierung, warum die Härtefallkommission dann nicht mehrheitlich von Nichtregierungsorganisationen besetzt sein kann wie in NRW, wo die Behördenvertreter deutlich in der Minderheit sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege, noch einmal: § 23 a - Sie finden es ja gut, dass ich es so beantwortet habe - gibt den jeweiligen Landesregierungen in den verschiedenen Ländern die Möglichkeit, eine Härtefallkommission einzurichten. Das Land ist absolut frei, was das Formale, die inhaltliche Ausgestaltung und die Zusammensetzung anbelangt. Nach dem Werdegang der Härtefallkommission in Niedersachsen und den vorangegangenen Verfahren und gewissen Streitigkeiten ist die Landesregierung der Auffassung, dass wir mit der grundsätzlichen Verfassung der Härtefallkommission in Niedersachsen so, wie wir es haben, auch mit der Zusammensetzung der dort vertretenen Verbände - alle können da letztendlich auch nicht hinein -, unter dem Strich richtig liegen.

Ich sage es noch einmal: Die Tatsache, dass wir das Rechtsgebiet des Aufenthalts in Deutschland rechtsstaatlich, mit verfassungsrechtlicher Abstützung, geregelt haben und obendrauf ein Härtefallverfahren regeln, ist ein Gütesiegel für den Staat in der Frage der humanitären Flüchtlingspolitik. Man muss gar nicht so weit schauen und auch in der deutschen Geschichte nicht so weit zurückgreifen: Es gibt Staaten, die schon von ihrer Verfassung her gar nicht begreifen, dass es eine Flüchtlingspolitik geben muss.