Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Herr Sander, wären Sie ein halbes Jahr früher gekommen, hätte Ihnen die Region Hannover zu Füßen gelegen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Wort hat Herr Minister Sander. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Jahren 2005/2006 ist die Luftrein

halterichtlinie der Europäischen Union in Deutschland beraten worden. Sie ist in deutsches Recht umgesetzt worden. Die Länder sind dafür zuständig, sie umzusetzen. Wir sind in Gespräche mit den Kommunen eingetreten, weil wir ein Verständnis von kommunaler Verwaltung haben, das davon ausgeht, dass die Kommunen das vor Ort regeln sollen, was sie auch regeln können, weil sie über bessere Ortskenntnisse verfügen, die einzelnen Gegebenheiten besser verstehen und dementsprechend vielleicht auch das eine oder andere bürgernäher umsetzen.

Wir haben dann in Hannover eine Umweltzone bekommen. Richtig ist: Das Umweltministerium hat als Dienstleister für die Kommunen gehandelt. Wir haben Vorschläge gemacht, welche einzelnen Maßnahmen ergriffen werden können. In keinem Fall ist vom europäischen oder vom deutschen Recht vorgeschrieben, dass man im Rahmen eines Luftreinhalteplans eine Umweltzone einrichten muss. Vielmehr ist das ein Instrument, das man mit in Erwägung ziehen kann.

Die gemeinsamen Beratungen mit der Stadtverwaltung waren schwer. Hätten wir mit Herrn Weil verhandelt, wäre uns das eine oder andere wahrscheinlich besser gelungen. Die Dinge waren stark ideologiebehaftet. Herr Schostok, ich verstehe, dass Sie das nicht mitbekommen haben: Seit dem Jahre 2006 gibt es in Hannover beim Feinstaub keine Überschreitung. Sie alle wissen, dass wir das Thema hier häufig diskutiert haben. Wir haben die 35-Tage-Regelung. Im Jahre 2009 gab es neun Überschreitungen. Davon entfielen drei auf Silvester, Ostern und

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Die Brenntage!)

- nein, interessanterweise nicht auf die Brenntage - im Sommer auf die Tage, an denen es Feuerwerke gab.

Meine Damen und Herren, ich würde keinem Menschen in Hannover die Lebensfreude entziehen, zu Silvester einmal eine Rakete abzufeuern. Aber wenn dies schon aus Denkmalschutzgründen nicht erlaubt ist, dann kann ich in der Stadt Hannover bei diesen strengen Luftreinhalterichtlinien nicht verstehen, dass das hier erlaubt wird.

Meine Damen und Herren, Herr Schostok, beschäftigen Sie sich bitte damit! Sie haben bis morgen, bis zur Behandlung der Dringlichen Anfragen noch Zeit. Wir können das morgen intensiver dis

kutieren. Hannover hat kein Feinstaubproblem. Hannover hat ein Stickoxidproblem.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Genau!)

Dieses müssen wir lösen, weil die Stadt es nicht angegangen ist. Das ist das Gesundheitsproblem Nummer eins - nicht der Feinstaub. Deshalb macht es keinen Sinn, weiterhin Rußpartikelfilter für Euro3-Fahrzeuge zu fordern, die im Grunde, so kann man sagen, neutral sind. Sie binden erst Stickstoff. Dann geben sie ihn wieder ab. Ein Teil des Stickstoffmonoxides wird schon kurze Zeit nach Verlassen des Auspuffs durch Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft zu NO2.

Wenn das das Problem ist, dann müssen wir es lösen. Wenn dies mit dem Filter nicht gelingt, müssen wir andere Maßnahmen treffen. Die Landesregierung ist nicht verantwortlich für das - Herr Kollege, Sie haben das so schön gesagt -, was hier an Chaos angerichtet worden ist.

Zu dem Vorwurf: Warum kommst du jetzt erst? - Im Dezember haben wir erlebt, dass die Bürger durch dieses Chaos nicht mehr durchfanden,

(Lachen bei der SPD)

Ausnahmeregelungen nicht mehr erteilt worden sind, dass das Handwerk um eine Verschiebung gebeten hat. Deswegen haben wir nach reiflicher Überlegung unsere Entscheidung getroffen. Herr Hagenah, die Aufregung haben wir durchaus vorausgesehen. Irgendwann müssen wir der Bevölkerung nicht nur in der Stadt Hannover, sondern auch im Umland gerecht werden. Ich könnte Ihnen genügend Mails geben, in denen klar und deutlich darauf hingewiesen wird: Es gibt nicht nur die Innenstadt von Hannover, sondern auch das Umland. 1,3 Millionen Menschen in der Region haben ein Anrecht auf saubere Luft, auf Luft ohne Stickoxide; in der Wedemark genauso wie in Wennigsen. Für diese Menschen sind wir gemeinsam verantwortlich. Es kann nicht sein, dass irgendjemand im Umweltamt dieser Stadt Tabula rasa macht und seine Ideologien auslebt.

Deshalb war das richtig. Wir hätten es früher machen müssen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich verspreche Ihnen: Wir werden in Zukunft früher einschreiten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht vor. Damit ist der Tagesordnungspunkt 10 c erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 e auf:

Privatisierung führt nicht aus der Krise, sondern in die nächste - ÖPP-Vorstellungen der EU stoppen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2096

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Dr. Sohn. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir thematisieren mit diesem Antrag zur Aktuellen Stunde etwas, was man außerhalb des Parlaments sicherlich nicht anders bezeichnen kann als „Versuch einer gemeinsamen Erpressung durch die EU und durch die Landesregierung gegenüber den Kommunen in Niedersachsen“. Das verbirgt sich hinter scheinbar harmlos daherkommenden Papieren. Das eine - Sie haben es bekommen - ist die Unterrichtung durch die Bundesregierung für den Bundesrat in der Drucksache 846/09 mit dem scheinbar unverfänglichen Titel „Mobilisierung privater und öffentlicher Investitionen zur Förderung der Konjunktur und eines langfristigen Strukturwandels - Ausbau öffentlich-privater Partnerschaften“. Dies war an bestimmte Fristen gebunden. Nun hat leider die Mehrheit im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten keinen Gebrauch von dem Recht gemacht, dem Landtag dazu eine Beschlussempfehlung vorzulegen. Immerhin hat sich der Haushaltsausschuss - Lob dem Vorsitzenden - zwei Tage nach der Vorlage dieser Drucksache durch den Präsidenten des Niedersächsischen Landtages mit diesem Thema befasst, nämlich am 9. Dezember. Immerhin hat auch die Landesregierung, nämlich das Wirtschaftsministerium, mit Datum vom 8. Januar 2010 ein Papier vorgelegt, in dem sie zu dem Papier der EU, das ich genannt habe, ausführlicher Stellung nimmt. Im Haushaltsausschuss hat sie mitgeteilt, das sei die Position, die die Landesregierung gegenüber dem Bundesrat vortragen werde. Der Kern dieser Stellungnahme der Landesregierung lautet: Die dort genannten Maßnahmen werden grundsätzlich befürwortet. - Das ist der Zangengriff, der sich dort aufgebaut hat.

Worum geht es bei dieser Geschichte? - Es geht - vorweggenommen; ich werde das gleich noch belegen - bei diesem ausführlichen Papier der Europäischen Union im Grunde um zwei Punkte. Erstens stellt die EU fest: Keiner mag ÖPP. Niemand mag dieses Privatisierungsmodell und diese Finanzierungsart von öffentlichen Dienstleistungen. Zweitens sagt die EU: Um das zu ändern, werden in Zukunft bestimmte EU-Zuschüsse für öffentliche Bauprojekte nur noch vergeben, wenn private Anbieter im Rahmen von ÖPP-Projekten zum Zuge kommen.

Die Landesregierung sagt zu dieser Erpressung - anders kann man das wahrscheinlich nicht nennen -: Diese Maßnahmen werden befürwortet.

Nun kann sich jeder ausrechnen, wie das in der kommenden kommunalen Finanzkrise wirkt. Sie wissen, das Land entzieht den Kommunen über den kommunalen Finanzausgleich jährlich über 500 Millionen Euro. Spätestens ab 2011 werden die Kämmerer im Lande - 2012, 2013 usw. - gegenüber der Landesregierung in eine Position kommen, in der sie, die EU im Rücken, die Kämmerer vor die Wahl stellt: Entweder ihr macht PPPProjekte, oder ihr riskiert sehenden Auges den weiteren Verfall eurer kommunalen Infrastruktur. - Das ist das, was sich dort gegenwärtig aufbaut und tatsächlich hoch aktuell ist.

Diese Strategie kommt in dem genannten Papier der EU scheinbar harmlos daher. Dort heißt es nämlich, dass die EU auf jeden Fall darauf drängen werde, die Information und das einschlägige Fachwissen und Know-how über diese, wie sie zugibt, komplizierten ÖPP-Projekte zu erweitern. Sie schlägt dafür ÖPP-Pilotvorhaben vor, die als Modelle für bewährte Verfahren in größerem Maßstab vervielfältigt werden.

Es heißt dann weiterhin - das ist der Casus knacktus -: Die Kommission arbeitet mit der Europäischen Investitionsbank zusammen, um die für ÖPPs zur Verfügung stehenden Mittel aufzustocken, indem bestehende Gemeinschaftsinstrumente neu ausgerichtet und Finanzinstrumente für ÖPPs in den wichtigsten Politikfeldern entwickelt werden. - Das heißt, Gelder, die bisher in anderem Rahmen zur Verfügung standen, stehen dann nur noch für ÖPPs zur Verfügung. Diese Mittel werden aufgestockt und fließen nur dann, wenn man ÖPPs durchführt. Sie können gerne auf die PPP-Seite des Wirtschaftsministeriums zugreifen, wo aufgelistet wird, welche PPPs gerade gestrandet sind. Es zeigt sich zunehmend, dass dieses Finanzie

rungsmittel die kommunale Demokratie aushöhlt und die Kommunen langfristig und permanent in eine Überschuldung treibt. Das ist Ihr politischer Wille. Das wird bei diesem Zangenangriff von EU und Landesregierung leider wieder einmal klar.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Kollege Klein das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie kommt man zu so einer Mitteilung der EU, die - das sage ich deutlich - die Welt nicht braucht und auf die ursprünglich auch gar niemand gewartet hat? - Es gibt sicherlich mehrere Möglichkeiten. Eine fiktive, aber nicht ganz unwahrscheinliche Möglichkeit wäre die folgende: Die ÖPP Deutschland AG - so etwas gibt es nämlich bei uns - hat mit Bedauern festgestellt, dass im letzten Jahr in Deutschland nur 144 ÖPP-Projekte, deren Volumen gerade einmal 4 % der Investitionssumme ausmacht, durchgeführt worden sind. Das darf natürlich nicht so bleiben. Folglich schicken die in der Deutschland AG vereinigten Wirtschaftsverbände die Mitarbeiter ihrer Lobbybüros in Brüssel in Marsch. Diese stürmen dann die entsprechenden Abgeordnetenbüros und vor allen Dingen natürlich die Büros der Kommission. Auf diese Weise kommt natürlich ganz schnell eine Initiative in den Geschäftsgang, die gezielt auf eine Gruppe ausgerichtet ist. Wenn man sichergehen will, wird man vielleicht rechtzeitig noch einen namhaften Betrag an den FDP-Schatzmeister überweisen und die Sache damit wirklich sicherstellen.

Bei uns liegt die Mitteilung nun auf dem Tisch. Herr Dr. Sohn, man kann darüber streiten, ob sie ein geeigneter Gegenstand für Aktuelle Stunden ist. Ich will das nicht tun; denn mit Ihrer grundsätzlichen Kritik, die Sie an der Mitteilung hier in der Aktuellen Stunde zum Ausdruck gebracht haben, liegen Sie natürlich richtig. Wir lehnen ÖPP nicht grundsätzlich ab, sind bei diesem Instrument aber sehr skeptisch. Die Mitteilung der EU hat uns in dieser Skepsis natürlich noch bestätigt. Braucht ein Instrument, das so überzeugend ist, wie es immer dargestellt wird, wirklich eine solche Art der Förderung und der Protektion? - Ich glaube das eigentlich nicht.

Leider stellen wir auch bei der Landesregierung die ideologische Tendenz fest, dass sie dazu neigt, das private Handeln gegenüber dem öffentlichen Handeln in der Regel oder grundsätzlich zu bevorzugen. Ich kann dazu nur eines ganz deutlich sagen: Dass die Privaten es besser können als der Staat, ist mindestens - dies betone ich - genauso falsch wie das Gegenteil. Warum? - Die immer wieder vermutete höhere Effektivität der privaten Aufgabenerfüllung muss schon erheblich sein, wenn sie die strukturellen Schwächen dieses Instrumentes nicht nur ausgleichen, sondern tatsächlich auch noch einen positiven Beitrag leisten soll. Sie kennen die strukturellen Nachteile von ÖPP. Ich nenne hier stichwortartig die schlechteren Finanzierungskonditionen der Privaten, den hohen Zeitaufwand, die komplexen Verfahren, die hohen Transaktionskosten, den hohen Kompetenzbedarf auf der öffentlichen Seite und auch die vergleichsweise Benachteiligung von kleinen und mittleren Betrieben, die uns natürlich gerade bei uns in Niedersachsen interessieren sollten.

Ich nenne weiterhin die Gefahr der Entdemokratisierung, wenn den Räten, den gewählten Vertretern des Volkes, über Jahrzehnte Entscheidungen entzogen werden, weil diese anderweitig in Verträgen getroffen werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund ist die Glorifizierung von ÖPP im EU-Papier schwer zu ertragen und nicht zu akzeptieren. Es ist eben - anders als die EU schreibt - nicht erwiesen, dass ÖPP generell segensreich ist. Wir wissen, dass jeder einzelne Fall geprüft werden muss, weil sich jeder Fall anders darstellt. Standardberechnungen und Musterverträge, wie sie jetzt angestrebt werden, können nur begrenzt helfen. Wir kennen die Schwierigkeit, die Geeignetheit und die Wirtschaftlichkeit solcher Verfahren zu prüfen. Wir haben das im Falle Bremervörde erlebt. Unser Wunsch wäre, dass die Landesregierung die Interpretation von Wirtschaftlichkeit in diesen Fällen den Stellen überlässt, die weitgehend unabhängig von ideologischem Wunschdenken sind. Neben uns fällt uns hier natürlich vor allen Dingen der Landesrechnungshof ein.

(Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE])

In dem EU-Papier wird außerdem gesagt: ÖPP optimiert Konjunkturprogramme. ÖPP - man höre und staune - ist ein Patentrezept zur Beseitigung

der krisenbedingten Finanzklemme der Kommunen. Ich frage mich: Wieso predigen wir seit Jahren, dass eine Kommune, die kein Geld für eine konventionelle Finanzierung der Infrastrukturmaßnahmen hat, die Finger von ÖPPs lassen muss, weil es sonst nicht funktionieren kann? - Wir wissen, dass ÖPP keine Finanzierungsalternative und kein Ersatz für öffentliches Geld ist. Es handelt sich allenfalls um eine Beschaffungsalternative für ganz spezielle Fälle und für starke und leistungsfähige Kommunen, nicht aber für solche, die am Bettelstab gehen. Dass es bezüglich der Konjunktur nicht klappt, haben wir jetzt erlebt. Dafür sind diese Verfahren viel zu lang.

Einen letzten Satz!

Die Landesregierung stellt sich dieser Initiative der EU nicht mit der nötigen Härte und Entschlossenheit entgegen und wird deswegen nicht sicherstellen können, dass die EU auf den rechten Weg zurückgeführt wird. Sie wird die EU nicht von Schlimmerem abhalten. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Diesbezüglich ist die Landesregierung noch in der Bringschuld.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Klein. - Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Hilbers zu Wort gemeldet. Bitte schön!