Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Das war doch nicht die letzte Zusatzfrage; es wurde noch eine eingereicht. Frau Kollegin König von der Fraktion DIE LINKE stellt eine weitere und damit auch die letzte Zusatzfrage, jedenfalls was das Kontingent der Fraktion anbelangt.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich frage Sie hier jetzt: Wollen Sie uns nach diesen Fragen in dieser Situation, die Sie in Ihrem Amt und Ihren Mann in der Firma betreffen, allen Ernstes erklären, dass Sie in dieser Zeit mit Ihrem Mann nicht über diese Dinge gesprochen haben oder Ihr Mann mit Ihnen? Ein ehrliches Ja oder Nein!

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Frau Ministerin, es wird nur eine kurze Antwort erwartet.

Frau König, ich habe mit meinem Mann über dienstliche Belange nicht gesprochen.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Zusatzfragen liegen mir nicht vor.

(Unruhe)

- Herr Kollege Thiele!

Ich rufe Punkt b auf:

Versenkt Stuttgart 21 die Hinterlandanbindung der großen norddeutschen Häfen? - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2802

Zur Einbringung der Dringlichen Anfrage erteile ich dem Kollegen Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Unruhe)

Ich habe Zeit.

Herr Kollege Hagenah, wir ordnen das jetzt einmal so, dass diejenigen, die an diesem Thema nicht interessiert sind, den Plenarsaal verlassen können. - Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Versenkt Stuttgart 21 die Hinterlandanbindung der großen norddeutschen Häfen?

Die letzte Kostenschätzung für den unterirdischen Bahnhof Stuttgart 21 kam auf eine Summe von bis zu 11 Milliarden Euro. Sie stammt vom Umweltbundesamt. Das ist mehr als das 2,5-Fache der ursprünglichen Kostenschätzung. Dabei soll der Bau gerade erst beginnen. Auf einer Strecke, die länger als der Ärmelkanal breit ist, sollen die Gleise in den schwäbischen Untergrund gelegt werden. Dabei werden auch geologische Störzonen durchschnitten, die starke Scher- und Quellkräfte erwarten lassen. Der Bahnhof von Stuttgart soll von 16 auf 8 Gleise zurückgebaut werden,

(Miriam Staudte [GRÜNE]: So ein Un- sinn!)

obwohl die Bahn klimabedingt künftig wesentlich größere Verkehrsmengen aufnehmen muss als heute.

Die Hinterlandanbindung der großen norddeutschen Häfen kommt seit Jahren nicht voran. Bald ist der Tiefwasserhafen an der Jade fertig, aber die zweigleisige elektrifizierte Bahnstrecke fehlt. Auch der Ausbau der Amerikalinie nach Osten über Bremen und Uelzen stockt seit Jahren. Der dreigleisige Ausbau von Hamburg nach Süden müsste viel schneller gehen. Die Bahn plant stattdessen noch immer eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke, die irgendwann in den 20er-Jahren fertig sein soll. Diese sogenannte Y-Trasse sollte den Verkehr nach Süden um zehn bis zwölf Minuten beschleunigen, war aber nicht auf die wachsenden Güterverkehre ausgelegt, die breitere Trassenabstände erfordern und Mischverkehr nur sehr bedingt zulassen.

Jetzt bedroht das Projekt im Süden der Republik auch die Hinterlandanbindungen der großen norddeutschen Häfen. Je mehr Geld das Unternehmen Bahn für das Prestigeprojekt im Süden zurücklegen muss, desto größer ist die Gefahr, dass die rasche Anbindung der Häfen versenkt wird. Die Landesregierung in Hannover hat nicht viel mehr als lauwarme Versprechen von der Bundesregierung in der Tasche. Zudem erschwert sie die Debatte mit Forderungen nach neuen tangentialen Autobahntrassen im demografisch schrumpfenden Land. Eine A 22 könnte die Hinterlandverbindungen der Bahn nicht entlasten. Zu fürchten ist eher eine Rollbahn für Rotterdam. Zusätzlich schwächen sich die norddeutschen Küstenländer, weil sie nicht an einem Strang ziehen.

Hinzu kommt das Zusammentreffen des gesetzlich verankerten Neuverschuldungsverbotes für Bund und Länder mit den enormen zusätzlichen Finanzaufwendungen zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Das hat weitreichende Folgen für die Finanzplanung in Bund und Ländern. Laut Pressemeldungen von Anfang August sollen vom Bundesverkehrsministerium zukünftig jährlich nur noch 10 Milliarden Euro für Bau und Erhalt von Verkehrswegen in allen Bundesländern zur Verfügung gestellt werden. Das Geld würde zudem aufgrund des stetig wachsenden Bedarfes beim Substanzerhalt der vorhandenen Infrastruktur weitgehend nur noch für Reparaturen ausgegeben werden können. Dort wurde in den vergangenen Jahren zunächst noch gespart, aber die Straßen, Schienenwege und Brücken sind bundesweit inzwischen in einem so schlechten Zustand, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Dieses Problem hat sich durch das starke Anwachsen der Autobahnen in jüngster Vergangenheit noch weiter verschärft. Allein in den vergangenen zehn Jahren kamen 1 300 km Autobahnen zu dem inzwischen auf 13 000 km angewachsenen deutschen Autobahnnetz hinzu.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Kann die Landesregierung ein definitives Datum für die zweigleisige Elektrifizierung der Bahnstrecke einschließlich Lärmschutz zum Tiefwasserhafen an der Jade nennen?

2. Welche Folgen haben Kostensteigerungen auf 11 Milliarden Euro und mehr beim Bahnhof Stuttgart 21 auf die Finanzierung der Hinterlandanbindung der großen norddeutschen Häfen?

3. Welche Gesamtinvestitionssummen für Verkehrsinfrastruktur des Bundes sind für die Jahre 2010 bis 2013 von Bundesverkehrsminister Ramsauer jeweils für die Bundesländer Niedersachsen, Hamburg und Bremen verbindlich zugesagt?

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Bode, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Stuttgart 21 ist ein im Bau befindliches Verkehrs- und Städtebauprojekt zur Neuordnung des Eisenbahnknotens Stuttgart. In Verbindung mit der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm wird es offiziell auch als Bahnprojekt Stuttgart-Ulm bezeichnet. Erste Planungen hierzu wurden bereits seit Ende der 80er-Jahre aufgestellt. Kernstück ist die Umwandlung des Stuttgarter Hauptbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof. Dazu werden Gleiszuführungen in schnell befahrbare Tunnel verlegt. Etwa ein Quadratkilometer frei werdende Gleisflächen werden so der Stadtentwicklung zur Verfügung gestellt.

Wie viel das Ganze im Endergebnis kosten wird, weiß heute natürlich niemand. Wir alle erleben den heftigen Widerstand vor Ort. Das Projekt ist nicht nur aus finanzpolitischer Sicht umstritten. Auch der verkehrliche Wert ist zweifelhaft.

Nun steht es uns in Niedersachsen, insbesondere der Landesregierung, nicht zu, Infrastrukturprojekte in anderen Ländern infrage zu stellen, genauso wenig, wie wir es gutheißen würden, wenn beispielsweise Bayern ein niedersächsisches Vorhaben wie das dritte Gleis Stelle–Lüneburg kritisieren würde.

Verehrte Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ich stimme Ihnen ausnahmsweise völlig zu, dass zu befürchten ist, dass bei ungebremst steigenden Kosten dieses Projektes die Mittel im Bundeshaushalt bzw. bei der Bahn zu einem Investitionsstau bei anderen, dringend benötigten Neu- und Ausbaumaßnahmen auf der Schiene führen könnten. Das kann natürlich beispielsweise auch Projekte im Norden betreffen. Das weiß allerdings heute niemand. Dies widerspräche allerdings ganz eindeutig der von der Bundesregierung selbst

formulierten Schwerpunktsetzung zugunsten der Hafenhinterlandverkehre.

Aus diesen Gründen habe ich bereits veranlasst, dass das Bundesverkehrsministerium auf der anstehenden Verkehrsabteilungsleiterkonferenz der Länder die aktuellen Investitionsschwerpunkte und geplanten Großprojekte auf der Schiene vorstellt. Wir werden dafür sorgen, dass das Thema auch auf der Verkehrsministerkonferenz Mitte Oktober auf der Tagesordnung stehen wird. Wie Sie verschiedenen Presseartikeln entnehmen konnten, lasse ich auch keine Gelegenheit aus, zugesagte Projekte öffentlich und auch in nicht öffentlichen Kreisen einzufordern.

Angesichts der knapper werdenden Mittel ist eine nachvollziehbare Verteilung für die Länder von besonderem Interesse, dies umso mehr, da die Transparenz beim Ausbau der Schieneninfrastruktur nicht in gleichem Maße wie beim Straßenbau gegeben ist.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Anfrage wie folgt:

Zu 1: Die Planungen für die Zweigleisigkeit der Strecke Oldenburg–Wilhelmshaven sehen eine Inbetriebnahme unter Einbeziehung der Lärmschutzmaßnahmen für Ende 2012 vor. Die Bahn sieht sich derzeit hierzu in der Lage. Allerdings fehlt hier noch die Finanzierungsvereinbarung mit dem Bund. Die Elektrifizierung der gesamten Strecke soll Ende 2016 abgeschlossen sein, wobei ebenfalls die Finanzierung gesichert sein muss.

Zu 2: Da wir nicht wissen, wie die Beteiligten mit etwaigen Kostensteigerungen umgehen werden, können wir auch nicht sagen, welche Konsequenzen für die norddeutsche Infrastruktur zu befürchten sind. Auch können wir nicht bestätigen, dass die Kosten auf 11 Milliarden Euro steigen werden. Uns ist vielmehr ein Betrag von maximal 7 Milliarden Euro für die Maßnahme Stuttgart 21 einschließlich der Strecke Stuttgart–Ulm bekannt.

Zu 3: Wie ich schon eingangs erwähnt habe, sind beim Bundesverkehrsministerium die Verhältnisse bei der Schiene nicht so transparent wie bei der Straße. Daher haben wir keine Kenntnis, welche Gesamtinvestitionssummen in die einzelnen Bundesländer fließen. Ich kann Ihnen jedoch mitteilen, dass die Finanzplanung des Bundes bis 2014 für die Eisenbahn des Bundes jeweils rund 9,6 Milliarden Euro pro Jahr für alle Bundesländer vorsieht, davon rund 3,9 Milliarden Euro Investitionsanteil.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank. - Eine erste Zusatzfrage stellt der Kollege Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung, wie sie denn die Bestätigung der Studie des Umweltbundesamtes durch die gestern veröffentlichte Studie des Münchener Ingenieurbüros Vieregg und Rössler hinsichtlich der möglichen oder - besser gesagt - der zu erwartenden Kostensteigerungen bei einer Realisierung der Y-Trasse bewertet, die ja auch nur auf der Grundlage von Kostenschätzungen von Anfang der 90er-Jahre taxiert worden ist.

Herr Minister Bode!

Sehr geehrter Herr Hagenah, ich habe Ihnen gesagt, dass die Planungen und die Kostenschätzungen, die wir kennen, von einem Betrag von 7 Milliarden Euro ausgehen. Es ist bei jedem Großprojekt so, dass es im Verfahren zu Kostensteigerungen kommen kann, die man wirklich erst am Ende greifen kann.

Die von Ihnen genannte Studie bezog sich auf die Strecke und nicht auf den Bahnhofsanteil. Die Studie des UBA bezieht sich hingegen auf beide Bereiche. Es kann Ihnen heute wirklich niemand sagen, mit welchen Gesamtkosten das Projekt Stuttgart 21 abschließen wird. Es kann Ihnen heute auch niemand sagen, wie der Bund für den Fall, dass es zu diesen Kostensteigerungen kommt, diese verteilen und abfedern wird. Es kann Ihnen heute auch niemand sagen, was der Bau der Y-Trasse am Ende gekostet haben wird.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Dr. Sohn stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bode, angesichts der in Ihrer Antwort durchschimmernden und durch die Proteste vor Ort ja auch bestätigten allgemeinen Skepsis gegenüber der Sinnhaftigkeit des Projektes Stuttgart 21 und an

gesichts der - dies ist dem ja gegenüberzustellen - völligen Überzeugungskraft der Argumente für die Elektrifizierung und den Ausbau der Hafenhinterlandanbindung habe ich die Frage an Sie, wie Sie sich erklären, dass Baden-Württemberg für dieses zweifelhafte Projekt offensichtlich erfolgreicher im Akquirieren von Bundesmitteln ist als Niedersachsen im Akquirieren von Bundesmitteln für das offensichtlich viel wichtigere Projekt Hafenhinterlandanbindung.

(Beifall bei der LINKEN)