Protokoll der Sitzung vom 17.05.2018

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen möchte ich Sie von der AfD herzlich einladen, diese Angstdebatte zu verlassen; denn wir als Landtag werden uns mit den Brennpunktschulen parlamentarisch sicherlich weiterhin beschäftigen. Das ist unsere Aufgabe, und das liegt uns sehr am Herzen. Wir als Grüne bringen uns dort gerne mit konstruktiven Vorschlägen in die Richtung, wie ich sie bereits skizziert habe, ein, und ich freue mich, wenn wir das Thema im Ausschuss perspektivisch vertiefen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hamburg. - Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Försterling.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich gibt es in Niedersachsen Schulen, bei denen wir vor besonderen Herausforderungen stehen, und wir müssen Lösungen finden: Lösungen für die Schulen, aber insbesondere Lösungen für die Schülerinnen und Schüler; denn um deren Bildungserfolg muss es am Ende des Tages gehen.

Zwar kann man Probleme benennen und Ängste schüren. Aber unsere Aufgabe ist es doch, Lösungen zu finden. Ich finde, wir als Niedersächsischer Landtag sollten uns auf den Weg machen, auch mal zu definieren, wie diese Lösungen aussehen können.

Aus meiner Sicht ist es richtig, etwas Ähnliches zu vollziehen, wie Hamburg und Bremen es schon gemacht haben, nämlich Sozialindikatoren zu definieren, an denen man auch Brennpunktschulen oder Schulen mit besonderen Herausforderungen festmachen kann. Dazu gehört u. a. der Aspekt des Sprachförderbedarfs. Dazu gehört u. a. sozialraumbezogen die Nichtabiturquote. Dazu gehören sozialraumbezogen auch gewisse Bereiche aus der Kriminalitätsstatistik. Dazu gehört die Frage des Schulabsentismus. Dazu gehört die Transferleistungsdichte etc.

Aber wenn wir genau daran Brennpunktschulen bzw. Schulen mit besonderem Bedarf definieren, dann kommt es eben nicht zur Diskussion, dass irgendwo in der Liste des Kultusministeriums zu zusätzlichen Schulsozialarbeiterstellen „Leer“ auftaucht, und sich der Kollege Thiele dann vor Ort - aus seiner Sicht zu Recht - fragt, an welcher Schule es diese Probleme geben soll. Dann hätten wir ein transparentes Verfahren, nach dem man auch zusätzliche Leistungen verteilen könnte. Bisher ist es ja so gewesen, dass für die Verteilung der Schulsozialarbeiter in Niedersachsen die Schulform und der Charakter als Ganztagsschule - ja oder nein - maßgeblich gewesen sind. Das sind aus meiner Sicht aber nicht die richtigen Indikatoren, um zusätzliche Leistungen in die Schulen herunterzugeben.

(Beifall bei der FDP)

Das muss mit der Frage der Ergebnisse in den einzelnen Schulen kombiniert werden. Uns stehen ja vielfältige Tests - seien es die IQB-Standards, sei es VERA, sei es PISA - in den Schulen zur Verfügung, um zu erkennen, auf welchem Leistungsniveau sie sich befindet. Kann man nicht da ansetzen, um entsprechend zu verbessern?

Dann muss man sich auch die Frage stellen, welche Schwerpunkte wir setzen wollen, wenn man ein solches System von Sozialindikatoren hat. Aus meiner Sicht könnte man beispielsweise diskutieren, ob es aktuell nicht sinnvoller wäre, die Lehrkräfte, die in der Schulinspektion gebunden sind, mit in das Beratungs- und Unterstützungssystem einzubeziehen. Das sind diejenigen, die schon vielfältige Schulen in Niedersachsen von innen

gesehen haben. Sie kennen auch die Problemlage an vielen Schulen in Niedersachsen. Ist es dann nicht sinnvoller, eher diejenigen, die schon diese vielen Schulen kennen, die das Know-how haben, in die Schulen zu schicken und gemeinsam mit den Schulen vor Ort daran zu arbeiten, welche Ressourcen benötigt werden, um den Schülern die bestmögliche Unterstützung zu geben?

Dann müssen wir als Politik auch dafür sorgen, dass Ressourcen im Bildungsbereich nicht mehr wie bisher starr vergeben werden, z. B. die starre Lehrerstundenzuweisung anhand von Klassen, sondern man muss fragen, wo es Zusatzbedarfe gibt. Es gibt Schulen in Niedersachsen, bei denen es tatsächlich sinnvoll wäre, von Anfang bis Ende auf eine Doppelbesetzung in den Klassen zu achten.

(Vizepräsidentin Petra Emmerich- Kopatsch übernimmt den Vorsitz)

Es geht noch tiefgreifender. Man muss sich auch mal mit der Frage beschäftigen, wie das Lehrerkollegium einer einzelnen Schule besetzt ist. Ich erinnere mich an meinen Besuch in der Peter-UstinovSchule vor ein paar Jahren, bei dem ich festgestellt habe, dass das Lehrerkollegium zu dem Zeitpunkt ausschließlich aus weiblichem Lehrpersonal über 50 Jahre bestanden hat, die jeden Tag hart an ihre Grenzen gegangen sind. Auch dafür muss man einen Blick entwickeln, weil es tatsächlich nicht schlecht sein kann, wenn der eine oder andere auch mal männliche Bezugspersonen in seinem Heranreifen erlebt, an denen er sich orientieren kann.

Das sind Faktoren, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Dann finden wir Lösungen. Dann finden wir Lösungen für Brennpunktschulen. Insbesondere finden wir dann Lösungen für die Schülerinnen und Schüler; denn um sie muss es gehen. Wir müssen jeden einzelnen Schüler in Niedersachsen - der eine benötigt mehr Ressourcen, der andere weniger - zum individuellen Bildungserfolg bringen, damit sie später in der Lage sind, ein eigenverantwortliches Leben zu führen. Das ist die nachhaltigste und beste Sozialpolitik, die wir betreiben können.

(Beifall bei der FDP sowie Zustim- mung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Herr Försterling. - Nun hat sich Frau Wulf für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben es schon gehört: In der vergangenen Woche war ich mit dem Kollegen Politze und dem Kultusminister in der Peter-Ustinov-Oberschule in Hannover-Ricklingen. Ich habe dort mit vier Lehrerinnen gesprochen, die ihren dortigen Alltag sehr plastisch geschildert haben, einen Alltag in einer Schule, in der 90 % der Schüler - also wirklich fast alle - einen Förderbedarf haben. Sie haben beschrieben, was es heißt, wenn die Schüler - wenn überhaupt - viel zu spät zum Unterricht kommen, wenn sie eher selten eine Schultasche dabeihaben oder auch aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse oder aufgrund sozialer Auffälligkeiten nicht in der Lage sind, dem Unterricht zu folgen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, solange es Städte gibt, beobachten wir Segregation und die Entwicklung von benachteiligten Quartieren, sogenannten Brennpunkten. Die Peter-UstinovSchule liegt in einem solchen Quartier. Schulen in benachteiligten Quartieren sind eben eine besondere Herausforderung, eine besondere politische Herausforderung. Deshalb brauchen und verdienen sie eine besondere Aufmerksamkeit.

Die Pädagoginnen der Peter-Ustinov-Schule haben dabei eines beobachtet und uns geschildert: Uns gelingt Bildungsgerechtigkeit am wenigsten für eine Gruppe. Das sind männliche Jugendliche, oft mit Migrationshintergrund. - Für diese Gruppe brauchen wir spezifische pädagogische Ansätze. Sie müssen stärker in den Fokus rücken. Denn sicher ist: Unser Anspruch an das Bildungssystem ist, dass der Aufstieg in die gesellschaftliche Mitte jedem und jeder gelingt.

Ich habe an der Peter-Ustinov-Schule Lehrerinnen getroffen, die etwas ganz Besonderes verkörpern, etwas was mir schon im Titel und in der Frage dieser Aktuellen Stunde fehlt: Diese Lehrerinnen haben nämlich eine ganz klar positive Haltung zu ihren Schülerinnen und Schülern eingenommen. Die Lehrerinnen und Lehrer der Peter-UstinovSchule benennen die Herausforderungen sehr deutlich, und sie schönen auch nichts. Aber sie bieten an, Teil der Lösung zu sein.

Sie, lieber Herr Kollege Rykena, wollen anscheinend Teil des Problems bleiben; denn ansonsten

hätte diese Aktuelle Stunde vielleicht geheißen: „Wie können wir Schulen in benachteiligten Quartieren unterstützen?“ Oder: „Wo bleiben die zusätzlichen Sozialpädagogen?“ Oder: „Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe, Polizei und Schulsozialarbeitern jetzt stärken!“ - Doch diese Fragen stellen Sie sich nicht; denn Ihre Frage zielt auf Verunsicherung und Angst von Menschen vor anderen Menschen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Angst ist keine politische Kategorie, und sie wird auch keine politische Kategorie sein, solange die bürgerlichen Fraktionen in diesem Parlament die Mehrheit stellen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Es ist die Aufgabe von Politik, die Rahmenbedingungen für diese Schulen zu verbessern, und zwar am besten so, dass derart zugespitzte Situationen wie an der Peter-Ustinov-Schule erst gar nicht entstehen.

In den vergangenen Jahren ist bereits einiges passiert. Ich möchte das nicht alles wiederholen. Der Kollege Politze hat schon einiges davon beschrieben. Dennoch müssen wir natürlich die Unterstützungsmaßnahmen sowohl in den Schulen als auch in den Quartieren stärker ausbauen. Auch das wurde von den Kollegen hier schon plastisch beschrieben.

Mir ist noch wichtig, dass wir nicht sagen, es sei ausschließlich ein Großstadtphänomen. Auch in kleineren Städten beobachten wir, dass es hohe Anteile von Schülern mit Förderbedarf gibt. Deshalb brauchen wir eine landesweite Konzeption.

Gleichzeitig ist es wichtig festzuhalten, dass an der überwiegenden Mehrzahl, an der großen Mehrzahl unserer Schulen Bildung gelingt. Bei aller Kritik und bei allem Verbesserungsbedarf bleibt unser Schulsystem eines der leistungsfähigsten in der Welt. Das dürfen wir in der Debatte nicht vergessen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Wulf. - Es hat sich nun zu Wort gemeldet der Kultusminister, Herr Tonne.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Schulen in Niedersachsen sind vielfältig. Unsere Schulen sind genauso heterogen wie die gesamte Gesellschaft, und jedes Kind, jede Schülerin und jeder Schüler ist anders. Kinder und Jugendliche unterscheiden sich grundlegend in ihrer Art, in ihren Lernvoraussetzungen und ihren jeweiligen Stärken und Begabungen. Nach dem Beitrag der AfD muss ich feststellen, dass diese Fraktion in Bezug auf diese grundsätzliche Feststellung zu der Grundlage, auf der wir arbeiten, bereits ausgestiegen ist.

Unsere Schulen stellen sich vielfältigen Herausforderungen und leisten einen hervorragenden und nicht zu ersetzenden Beitrag auch für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Dazu tragen engagierte Schulleitungen, Lehrkräfte, pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an jedem einzelnen Tag bei. Sie erledigen diese Aufgabe engagiert und umsichtig. Ich finde, dafür gebührt ihnen auch in einer solchen Debatte ein ausdrücklicher Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es ist genauso selbstverständlich, dass sich das, wenn wir uns die Rahmenbedingungen anschauen, dort, wo wir besondere soziale Problemlagen in Orten und Städten haben, die sich bündeln, auch im sozialen Umfeld einer Schule widerspiegelt und einer Reaktion durch die Politik bedarf.

Es wurde gerade ausgeführt: Ich habe mir in den vergangenen Tagen gemeinsam mit der Kollegin Wulf und dem Kollegen Politze mit der Peter-Ustinov-Schule eine solche Schule angeschaut und mir einen unmittelbaren Eindruck verschaffen können, wo an dieser Schule die besonderen Herausforderungen liegen, und im Übrigen auch sehen können, wie das Kollegium einen bemerkenswerten Einsatz leistet. Das Kollegium hat mir aber auch sehr deutlich gemacht, dass es mit dem, was es leisten kann, an seine Grenzen stößt.

Diese Schulen brauchen dann eben eine besondere, eine zielgerichtete Unterstützung, und die sollen sie auch bekommen. Wir sind als Landesregierung angetreten, dass wir nicht einen Weg, den einen richtigen Weg, vorgeben, sondern dass wir auf besondere Situationen flexibel reagieren und pragmatische Lösungen finden. Deswegen brauchen wir für Schulen mit solchen sozialen Lagen veränderte Rahmenbedingungen. Das betrifft personelle Ausstattung, das betrifft mehr Flexibilität in

der Unterrichtsgestaltung. Ich bin auch sehr dafür, dass wir uns transparente Indikatoren erarbeiten, wonach wir diese Schulen mit ihren besonderen Problemlagen identifizieren können.

Ich will aber auch sehr deutlich sagen, dass die Schulen, das Kultusministerium und die Schulbehörden das nicht im Alleingang werden lösen können, sondern dass es eines Zusammenwirkens vor allem auch mit den betroffenen Kommunen als Schulträger, mit den zivilgesellschaftlichen Einrichtungen im Umfeld bedarf. Genau darauf zielen unsere Überlegungen auch ab. Darauf haben wir uns auch bei dem Besuch der Schule verständigt. Das wurde dort bestätigt: Wir brauchen eine enge Verzahnung zwischen den Angeboten der Schule und dem, was das Land leisten kann, sowie den Angeboten, die auch eine Kommune leisten kann, insbesondere im Zusammenhang mit dem Stichwort Jugendhilfe und all dessen, was damit einhergeht.

Meine Damen und Herren, wer hier in einer solchen Lage von einem Flächenbrand spricht, der hat schlicht keine Ahnung.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es geht ihm um Panikmache.

Es kommt noch etwas hinzu. Frau Kollegin Hamburg hat eben gerade davon gesprochen, Sie von der AfD würden Angst schüren. Sie paaren das Angstschüren mit unzulässigen Unterstellungen, indem Sie davon ausgehen, dass Bildungsferne und soziale Lagen automatisch nur mit dem Indikator Migration gleichzusetzen seien. Das ist ein grundlegender Fehler.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

In dem Kontext ist natürlich das Zitieren der Homepage des MK „Schulen in besonderen sozialen Lagen“, dass Sie die Städte aufzählen und den Eindruck erwecken, die einzige Herausforderung sei Migration an diesen Schulen, total falsch. Deswegen hat sich der Kollege Thiele zu Recht aufregt. Denn das ist eine falsche Gleichsetzung von Punkten, die entweder aus Unwissenheit - das wäre schon schlimm - oder sogar aus Vorsatz von Ihnen betrieben wird.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der Kollege Politze hat die Grundlagen, die bereits gelegt worden sind, aufgezählt. Ich will sie jetzt nicht wiederholen. Aber genau daran müssen wir miteinander anknüpfen.