Protokoll der Sitzung vom 29.08.2003

„interessengesteuert sein von gesellschaftlichen Gruppen, die selber wenig fernsehen.“

Gaus fährt fort:

„Ich bin vor allem deswegen kein Demokrat mehr, weil aus dem gesellschaftlichen Zusammenwirken von Wählern und Gewählten mehr und mehr eine Schauveranstaltung geworden ist.“

Mit diesem Thema, mit der Orientierung auf Events, auf die flotte Schlagzeile und auf den Zehn-ZeilenRoman, den nach Aussagen der „Zeit“ der Chefkolumnist von Springer, Franz Josef Wagner, erfunden hat, haben auch Printmedien und nicht nur die elektronischen Medien zu tun.

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. - Das Medium Tageszeitung hat nach meiner Auffassung nur eine Chance, wenn es anderes bietet als flüchtige elektronische Medien. Statt also schnell, flach und kurz, muss es gründlich, vertieft und hintergründig sein. Daneben dürfen die historische Einbettung, Regionales und Vielfalt nicht fehlen.

Ich komme zu meinem letzten Satz: Da wir in unseren politischen Aktivitäten auf Vermittlung und - wenn es gut geht - Aufklärung angewiesen sind, würde es sich, so denke ich, lohnen, diese Entwicklungen

(Gisela Böhrk)

in den Printbereichen durch öffentliche kritische Debatten zu beleuchten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es würde sich in der Tat lohnen, einmal eine interessante medien- und demokratietheoretische Debatte zu führen, allerdings nicht anhand des Gesetzentwurfs, der uns hier vorliegt, Frau Kollegin Böhrk, weil ich tendenziell antidemokratische Tendenzen in den Aussagen erkenne. Soll künftig nur noch der wählen, der die „Blechtrommel“ gelesen hat? Gilt das Prinzip „one man one vote“ nicht mehr? Wohin kommen wir eigentlich, welche Gruppierung, welche Behörde, welcher Staat soll sich erdreisten festzustellen, wann jemand qualifiziert genug ist, am demokratischen Prozess teilzunehmen, und wann nicht? Sie stellen sich hin und sagen: Es gibt eine Verflachung der Medienlandschaft.

(Lothar Hay [SPD]: Ja!)

Das mag sein, das mag deine oder Ihre Wertung sein. Es gibt mit Sicherheit Tausende von Menschen, die das anders sehen, Tausende von Menschen, die sich abwenden, nicht nur von einer nicht unterhaltenden, sondern auch relativ sinnlosen Veranstaltung, die sich bei uns Politikprozess nennt, und die andere Prioritäten setzen als die, die ich möglicherweise habe, die Herr Buß möglicherweise hat, die Frau Böhrk möglicherweise hat. Aber zu erklären, die seien dann nicht demokratiereif, die dürften dann nicht mehr teilnehmen, weil sie nicht die tiefgründigen, philosophischen Erkenntnisse haben, die Sie haben, führt in der Tat zu der Frage, wer zukünftig an Wahlen noch teilnehmen soll.

(Zuruf der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ach, Frau Fröhlich, das ist ja das Gute mit Ihnen und Ihren guten Reden. Es ist für mich wieder einmal beeindruckend zu sehen: Ich verstehe davon nichts, ich bin aber innerlich beeindruckt und begeistert, dass ich mit Ihnen jemand im Parlament habe, der davon so viel versteht, dass er mir das hier gelegentlich deutlich machen kann.

(Heiterkeit bei FDP und CDU)

Es soll vorbei sein mit der Anonymität am Frühstückstisch. Es soll Schluss damit sein, dass man bei seiner allmorgendlichen Lektüre der Tageszeitung nur darüber informiert wird, was es Neues in der Welt oder in der eigenen Gemeinde gibt beziehungsweise welche Kommentare der eine oder andere Journalist zu diesem oder jenem Thema hat.

Nein, die schleswig-holsteinische Zeitungslandschaft soll mehr Transparenz bieten. Zeitungsleser sollen in Zukunft unmittelbar aus ihrem Blatt erfahren können, wem diese Zeitung - damit ist nicht die einzelne Ausgabe gemeint - gehört und wer sie finanziert. Darüber hinaus müssen Zeitungen, die regelmäßig ganze Seiten des redaktionellen Teils von anderen fertig übernehmen - und davon gibt es in Schleswig-Holstein die eine oder andere -, im Impressum den Verleger und verantwortlichen Redakteur des übernommenen Teils angeben. Wir sollten das noch auf die Rundfunksender ausweiten. Auch die sollten in ihrem Programm regelmäßig ausstrahlen, wer Anteilseigner der Rundfunksender ist.

Wie Innenminister Buß in seiner Pressemitteilung vom 21. August 2003 mitteilte, sollen die Offenlegungspflicht der Inhaber- und Beteiligungsverhältnisse und der erweiterte Impressumszwang dafür sorgen, dass bei zunehmender Presseverflechtung die notwendige Transparenz erhalten bleibt. Minister Buß wörtlich:

„Für eine freie und demokratische Willensbildung ist es wichtig, dass die Leserinnen und Leser wissen, welche Geldgeber und Interessen hinter ihrer Zeitung stehen."

Eine darüber hinausgehende Erklärung, warum es für die freie und demokratische Willensbildung der Leserinnen und Leser von Bedeutung sei zu erfahren, welcher Geldgeber hinter einer Zeitung steht, erfolgt nicht. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass wir wollen, dass Zeitungen Meinungen machen, dass wir durch die Vielfalt der Meinungen in Zeitungen und Zeitschriften gerade eine Grundlage dafür haben, am demokratischen Willensbildungsprozess teilzunehmen. Jetzt habe ich vom Oppositionsführer gehört, Zeitungen sollten demnächst nur noch objektiv berichten. Ich stelle mir vor, wie es aussehen soll, dass Zeitungen nur noch objektiv berichten - unabhängig von der Frage, wer das festlegt.

Die Leserinnen und Leser wissen doch, welche Meinung, welche Farbe ein Blatt hat. Sie und ich und auch die Leserinnen und Leser wissen, dass die „Bild“-Zeitung kein linksradikales Kampfblatt ist. Wir wissen auch, dass der „Vorwärts“ mit Rechts nichts zu tun hat. Die spannende Frage ist doch nicht,

(Wolfgang Kubicki)

wem was gehört, sondern was an Informationen und Meinungen transportiert wird und ob wir durch unserer Presserecht die Vielfalt der Meinungen garantieren, das heißt die Möglichkeit jedes einzelnen Bürgers dieses Landes, aus der Vielfalt der Meinungen das herauszusuchen, was er für richtig und wesentlich hält.

Herr Minister, ich unterstelle der Sozialdemokratie nicht, dass deshalb eine tendenziöse Berichterstattung in den Zeitungen erfolgt, an denen die Sozialdemokraten beteiligt sind, weil sie beteiligt sind. Ich bin sicher, dass viele Redaktionen, nicht nur Chefredaktionen, sondern auch Redakteure - Kollege Kalinka wird das möglicherweise aus seiner eigenen beruflichen Erfahrung bestätigen können -, sich im Hinblick auf die Pressefreiheit dagegen verwahren, dass die Anteilseigner wesentlichen Einfluss auf die redaktionelle Gestaltung der Zeitung nehmen. Das kann man nicht immer ausschließen. Dafür sind das die Eigentümer. Aber dass es eine durchgreifende tendenzielle Berichterstattung wegen der Eigentumsverhältnisse gibt, ist bisher nicht erklärt worden.

Den Verlagen, die dem Gesetzentwurf vorhalten, dass die Neuerungen einen weiteren Eingriff in die verlegerische Freiheit darstellten, wird entgegengehalten, dass die zusätzlich verlangten Angaben im Impressum bereits heute für jedermann im Handelsregister nachlesbar sind. Diese Aussage ist zutreffend. Aber auch sie erklärt nicht die Notwendigkeit der neuen Regelung. Ebenso wenig reicht der Hinweis aus, dass alle Bundesländer bis auf Hessen und SchleswigHolstein entsprechende Inhalte in ihren Pressegesetzen kodifiziert haben. Es soll bei einem föderalen Staatsaufbau durchaus vorkommen, dass Länder unterschiedliche Regelungen treffen.

Zum Schluss bietet der Gesetzentwurf sogar noch eine bemerkenswerte Alternative zur anscheinend so wichtigen Offenlegung der wirtschaftlichen Beteiligungsverhältnisse von Zeitungen an, nämlich den Verzicht. So steht auf Seite drei des Gesetzentwurfs, dass auf die Offenlegungspflicht auch verzichtet werden könnte, „weil die bestehenden Regelungen ausreichen, die für eine freie demokratische Meinungsbildung wichtige Transparenz des Pressewesens zu gewährleisten“.

Wenn ich die Regierung mit ihrem Anspruch ernst nehme, nichts Überflüssiges zu schaffen, stelle ich mir die Frage, warum wir von der Regierung selbst als überflüssig erklärte Regelungen schaffen sollen. Deshalb werden wir im Ausschuss noch etwas intensiver beraten müssen.

In vielen Bereichen - Sie haben es gehört - war das Presserecht in Schleswig-Holstein anzupassen. Das ist auch gut so. Wir werden das im Ausschuss weiter beraten. Ich möchte noch eine kurze Anmerkung machen. Sie laufen mit Ihren Regelungen schon wieder der technischen Entwicklung hinterher und berücksichtigen sie nicht. Früher war es so, dass von dpa in die Redaktion Meldungen kamen, die man übernehmen oder einkürzen konnte oder musste. Heute ist es so, dass ganze Berichte hineinkommen, die am Tisch verändert werden können.

Nun stellt sich folgende spannende Frage: Wenn die ganze Berichte, ganze Seiten oder auch nur einzelne Artikel in ihre Rechner hineingespielt bekommen, die vom Redakteur am Tisch geändert werden mit ein oder zwei Sätzen, welche der Regelungen, die Sie vorschlagen, greift dann bei der Offenlegung? Was soll dann offen gelegt werden?

Herr Minister, wir werden noch sehr deutlich debattieren müssen, ob die technische Entwicklung in vielen Bereichen nicht bereits die gesetzlichen Regelungen, die jetzt von Ihnen angestrebt wurden, überholt hat.

Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. Ich freue mich vor allen Dingen auf die Begründung der Offenlegungspflicht im Impressum der Zeitung.

(Beifall der Abgeordneten Günther Hilde- brand [FDP], Werner Kalinka [CDU] und Heinz Maurus [CDU])

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren hat sich die Medienpolitik in erster Linie mit dem Internet beschäftigt. Dieses neue Medium hat viele neue und bisher noch nicht gestellte Fragen aufgeworfen, auch im Zusammenhang mit dem Rundfunkrecht. Darüber dürfen wir aber nicht vergessen, dass auch die gute alte Zeitung einem rasanten Wandel unterworfen ist. Das ist hier schon mehrfach dargestellt worden.

Fast alle Zeitungsverlage sind aufgrund von Leserinnen- und Leser- sowie Anzeigenrückgängen zu Sparmaßnahmen gezwungen und kaufen daher komplette Zeitungsteile ein. Dies verstärkt die ohnehin vorhandene redaktionelle Presseverflechtung. Diese zunehmende redaktionelle Verflechtung erfordert also auch mehr wirtschaftliche Transparenz.

(Irene Fröhlich)

Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein berechtigtes Interesse daran zu wissen, wer hinter dem von ihnen gewählten Produkt mit welcher wirtschaftlichen Macht steht. Im Rundfunkrecht haben wir das sehr deutlich ausgedrückt. Das gilt umso mehr, wenn dies aus Informationen besteht, deren Wahrheitsgehalt die Hersteller selber nicht mehr in jedem Fall überprüfen können und manchmal vielleicht auch gar nicht wollen. Das Vertrauen in ein Medienprodukt entsteht unter anderem dadurch, dass Transparenz darüber besteht, welche Menschen hinter dem Programm oder der Zeitung stehen.

Die Presseverflechtung und die zunehmende Konzentration auf wenige Akteure in der Medienwirtschaft erschweren den Normalverbrauchern den Durchblick. Der vorliegende Entwurf zur Änderung des Presserechts schafft hier - zumindest für den Bereich der Printmedien - mehr Klarheit und das begrüßen wir.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der zweite wichtige Punkt des Gesetzentwurfs betrifft die Datenschutzvorschriften für Medienunternehmen. Hier ist das Landesrecht an das veränderte Bundesdatenschutzgesetz angepasst worden. Das Medienprivileg ist gegenüber dem alten Bundesdatenschutzgesetz weitestgehend erhalten geblieben. So wichtig auch das Grundrecht der Pressefreiheit ist: Von den Presseorganen geht eine große Gefahr für die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen aus. Daher ist es für mich doch fraglich, ob in Datenschutzfragen eine rein freiwillige Selbstkontrolle des Deutschen Presserats ausreichend ist. Das werden wir im Auge behalten müssen.

Ich denke, alles in allem haben wir eine gute Vorlage für eine produktive Ausschussberatung. Die sollten wir nutzen, um weitere, möglicherweise auch technische Fragen zu klären. Daher ist es sehr wichtig, eine gute Anhörung zu organisieren.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

„Die Journalistik ist die treuherzige und unverfängliche Kunst, das Volk von dem zu un

terrichten, was in der Welt vorfällt. Sie ist eine gänzliche Privatsache und alle Zwecke der Regierung, sie mögen heißen, wie man wolle, sind ihr fremd."

So schreibt Heinrich von Kleist 1809 in seinem „Lehrbuch der französischen Journalistik", in dem er die staatliche Einflussnahme des Staatsmannes Talleyrand auf die Zeitungen anprangert. Heute ist das Problem der staatlichen Einmischung nicht mehr so groß; die folgenden zwei Jahrhunderte haben uns letztlich mit Demokratie und Pressefreiheit gesegnet.

Es geht aber heute noch um weitere Problemfelder, zum Beispiel um den Lauschangriff. Es gibt immer noch Machthaber, die die Berichterstattung kontrollieren möchten. Aber unsere Rechtsordnung respektiert die journalistische Freiheit. Diese ist ein so hohes Gut, dass andere Grundsätze, wie der des Datenschutzes, dagegen aufgehoben werden müssen. Deshalb ist es richtig, die Anforderungen an den Datenschutz in den Redaktionen den Bedürfnissen einer freien Berichterstattung anzupassen.

Aber es hat sich auch ein anderes Problem entwickelt, das mindestens genauso viel Beachtung verdient wie der Einfluss staatlicher Macht auf die Medien. Medienmacht ist bei Menschen konzentriert, die nicht unbedingt ein politisches, mit Sicherheit jedoch ein ökonomisches Interesse haben. Auch dieses Phänomen ist nichts Neues.