Protokoll der Sitzung vom 29.11.2006

Ich finde auch, man kann nicht einfach ausschließen, dass die Gesellschaft insgesamt gegenüber Gewalt unempfindlicher geworden ist und dass vielleicht auch die Hemmschwellen sinken. Strafrechtler, Vollzugsorgane, Polizei und Lehrer berichten, dass die Zahl der Jugendstraftaten zwar gleichbleibt, dass also die gefühlte Wahrnehmung, dass sie zunimmt, gar nicht stimmt, dass aber die Gewalttaten zugleich schwerer werden und in ihrer Intensität zunehmen. Ein Schüler liegt am Boden, von anderen niedergeschlagen, und es wird noch einmal zugetreten.

Natürlich ist es schwierig, darüber zu reden, wie man an das, was mit den Handys passiert, was im Internet ist, überhaupt herankommt. Natürlich weiß ich, wie schwierig es ist, im World Wide Web überhaupt die Verbreitung solcher Spiele zu überwachen. Aber auch Kinderprostitution wird im Netz überwacht. Auch Terrorismus wird überwacht, verfolgt und bestraft. Kann dies nicht auch für den Vertrieb und die Nutzung von gewaltverherrlichenden Computerspielen gelten?

(Anke Spoorendonk)

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich glaube nicht, dass wir durch Strafandro- hung jemanden davon abhalten können!)

Den alten Streit kenne ich. Ich kann aber nicht immer akzeptieren, dass der Staat hier kein Wächteramt über die neuen Medien haben soll, Herr Kollege Kubicki. Dieses Wächteramt nimmt er in bestimmten Bereichen sehr intensiv wahr. Ich will nicht für ein neues Verbot plädieren, sondern fragen, ob der bestehende Straftatbestand in § 131 StGB wirklich entschieden genug angewandt wird. Das ist meine Frage. Ich frage auch, ob die Kriterien der unabhängigen Selbstkontrolle für die Altersbestimmungen und Altersfreigaben wirklich ausreichend sind und vor allem, ob sich der Handel an die Maßgaben des Jugendmedienschutzes hält. Das müssen wir uns fragen und das muss auch kontrolliert werden. Eine aktuelle Stichprobe des ARD-Magazins plusminus - Sie haben das vielleicht gesehen - hat gezeigt, wie einfach Jugendliche Computerspiele ohne Jugendfreigabe erwerben können.

Schließlich stellt sich die Frage, ob Eltern die Altersbeschränkung kennen und ob sie wissen, was ihre Kinder spielen. Denken sie vielleicht - genau wie viele von uns -: Bloß weil wir diese Spiele nicht kennen und nicht genügend darüber wissen, kann davon keine Gefahr ausgehen?

Gerade darüber, wie sich intensives Computerspiel und mediale Gewalt auf Psyche und ganzheitliche Entwicklung von jungen Menschen auswirkt, wissen wir noch zu wenig. Alles oder zumindest vieles in dieser Debatte fokussiert sich wieder auf die Schule und diese muss natürlich ihre Verantwortung durch Medienerziehung und Medienpädagogik sowie Gewaltprävention wahrnehmen. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das IQSH aufgrund dieser Debatte aktuell einen neuen Link zum Thema Computerspiele geschaltet hat. Frau Birk, ich will hier auch etwas schärfer, als Sie das hier formuliert haben, sagen: Die Verantwortung tragen ganz zentral die Eltern. Daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

Den Eltern sage ich: Denken Sie bitte auch an die Folgen Ihrer Geschenke, gerade jetzt vor Weihnachten! Nehmen Sie Ihre Erziehungsverantwortung wahr, gerade auch im Hinblick darauf, was mit den Computern und Handys Ihrer Kinder geschieht!

Ich glaube, diese sehr ausgewogene Debatte meint Folgendes: Letztlich geht es immer wieder um den Kern von Erziehung. Es geht darum, Kinder stark

zu machen, junge Menschen zu stärken und lebenstüchtig und widerstandsfähig gegen Gewalt zu machen. Diesem Ziel müssen letztlich alle Anstrengungen gelten.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Zu einem weiteren Wortbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Peter Eichstädt das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vermutlich ist alles, was gesagt worden ist, irgendwie richtig und notwendig, aber es kristallisiert sich ein Punkt heraus, der in fast allen Reden aufgetaucht ist. Das ist die Frage danach, wie unsere Kinder und Jugendlichen darauf vorbereitet werden sollen, mit dem sich verändernden Angebot an Medien umzugehen.

Wenn ich sage, dass alles vermutlich richtig war, dann beziehe ich dabei die Aussage der FDP zum nächsten Haushalt nicht ein, weil ich finde, dass es ein Stück weit den Charakter von Hilflosigkeit hat, wenn hier zusätzlich 2 Millionen € für schulpsychologische Dienste eingestellt werden sollen. Wenn es so einfach wäre, dieses Problem über einen Haushaltsbeschluss zu regeln, dann frage ich mich, warum wir nicht 4 Millionen € nehmen und die Sache damit erledigt wäre. Ich denke, wir sollten mit solchen Schnellschüssen vorsichtig sein, Herr Kubicki.

Ich möchte gern auf einen Punkt eingehen, der hier erwähnt worden ist und der sich mit der Medienkompetenz und der Medienpädagogik beschäftigt. Das war durchgängig der Fall. Ich möchte daran erinnern, dass wir im Moment in einer medialen Revolution leben, und ich glaube, niemand im Haus kann sich im Moment eine Vorstellung davon machen, wie die Welt der Kinder, die heute geboren werden, in 15 oder 20 Jahren aussehen wird. Es wird dann sicherlich so etwas wie Videospiele geben, die man so wie heute kaufen kann. Das wird es sicher geben. Man wird auch darüber diskutieren müssen, wie man da mit Jugendschutz und anderen Maßnahmen reagieren kann.

Aber es wird viel mehr geben. Wir werden in einer Welt leben, die von Video „on demand“ bestimmt sein wird, es wird flächendeckend DVB-H geben, das heißt die Übertragung aufs Handy. Wir werden Übertragungsmöglichkeiten der verschiedensten Dinge auf Uhren und auf Broschen haben. Wenn man nach Japan schaut, sieht man, dass das dort

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

schon heute Stand der Technik ist. Wir werden ein riesengroßes TV-Angebot haben, das noch weit über die 500 Sender, die es in Amerika gibt, im Zuge der digitalen Satellitentechnik hinausgeht. Wir werden Fernsehen und andere Übertragungsmöglichkeiten im Internet haben. Wir werden auch das Kabelnetz haben.

Es wird eine Welt sein, in der sich die Jugendlichen und die Erwachsenen zurechtfinden müssen. Ich prophezeie, dass es gerade im Satellitenbereich Übertragungen geben wird, die nicht nur aus Europa, sondern aus anderen Ländern kommen, in denen man sich sehr viel weniger Gedanken über Jugendschutz macht, als das bei uns heute der Fall ist.

Es wird die Möglichkeit geben, ins Internet eigene Spiele einzustellen. Wer in der letzten Woche „Spiegel online“ verfolgt hat, der hat gesehen, dass es jetzt schon im Internet Spiele gibt, die von Jugendlichen, die in diesem Bereich sehr fit sind, selbst produziert worden sind und die Situation an Schulen so nachspielen und nachstellen, dass sie dem entsprechen, was im Emsdetten geschehen ist. Das ist möglich und das ist dann verfügbar.

Deshalb müssen wir das Augenmerk darauf richten, uns nicht nur, aber auch in Schleswig-Holstein intensiv damit zu beschäftigen, wie wir Kinder und Jugendliche und auch Eltern in ihrer Medienkompetenz und darin stärken können, mit dem neuen Medienangebot umzugehen.

Es wird eine Herausforderung für Jugendliche und Eltern sein, dieses umfassende Angebot, das über verschiedenste Plattformen kommen wird, zu bewerten, zu sortieren, einzuordnen und überhaupt zu erfassen.

Ein positives Beispiel, das auch kontrolliert wird und einer gewissen Überwachung unterliegt, ist die Plattform Youtube, wo selbstproduzierte Amateurvideofilme ins Internet gestellt werden. Dort herrscht noch eine gewisse Kontrolle darüber, was passiert. Es gibt andere Plattformen, die Youtube entsprechen, bei denen das nicht der Fall ist.

Deshalb noch einmal meine Betonung: Wir müssen uns um den Punkt kümmern. Ich denke, wir haben eine Chance.

Wir fragen heute auch, was wir tun können. Wir können etwas tun und es ist wichtig, dass wir das aufrechterhalten, was wir bisher in Schleswig-Holstein gemacht haben, nämlich eine ausdrückliche Betonung der Aufgabenstellung für die Medienanstalt: Vermittlung von Medienpädagogik und Medienkompetenz. Dafür möchte ich werben. Das ist nicht das Allheilmittel - alles andere, was gesagt

worden ist, ist auch wichtig -, aber ich denke, heute ist deutlich geworden, dass wir darauf achten müssen. Wenn wir fragen, was wir tun können, sage ich, hier können wir etwas tun, also tun wir es!

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich erteile Frau Abgeordneter Monika Heinold das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Erstes noch einmal ein Dankeschön an CDU und SPD dafür, dass wir eine Aktuelle Stunde haben und keine Befassung in Form eines Antrages. Ich denke, das ist auch deshalb wichtig, weil es keine einfache Antwort gibt. Das hat die Debatte auch gezeigt. Es müssen verschiedene Dinge passieren und es wäre falsch, die Frage um Verbote gegen die Frage von Sozialarbeit oder Familienkompetenz auszuspielen.

Wir müssen, wenn wir debattieren - wir debattieren auch für unsere Bevölkerung -, ein paar Dinge klar sagen. Das eine ist, dass die Selbstkontrolle, so wie wir sie jetzt haben, zum Teil versagt hat. Ich will das sehr deutlich sagen. Es gibt Spiele, die für unter 18-Jährige zugelassen sind, die das aber nicht sein dürften.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Es ist die Frage der moralisch-ethischen Grenzen unserer Gesellschaft, was wir in Kinder- und Jugendhand geben.

Ein Signal ist mir wichtig - deshalb habe ich mich noch einmal gemeldet -: Wir appellieren immer wieder an die Eltern und ihre Verantwortung. So lange niemand weiß, ob Killerspiele für Kinder in ihrer Entwicklung gefährlich sind - und noch weiß es niemand; Frau Erdsiek-Rave hat es ausgeführt -, müssen wir den Eltern ganz klar sagen: Killerspiele gehören nicht in die Hände kleiner Kinder!

(Beifall)

Das muss aus meiner Sicht deutlich sein. Wir alle müssen hinschauen, was unsere Kinder am PC spielen. Wer einmal in diese Spiele hereingeschaut hat, weiß, dass in diesen Spielen Grenzen überschritten werden, die man sich selbst nicht hat vorstellen können.

Natürlich gibt es viele Jugendliche, die sagen: Ich habe auch gespielt und mir schadet es nicht. Das mag sein. Es gibt aber auch Wissenschaftler, die

(Peter Eichstädt)

davor warnen, damit sehr locker umzugehen. Insofern ist die Debatte in ihrer Ausgewogenheit richtig. Sie ist aber auch in anderen Facetten wichtig. Gerade Eltern, von denen wir immer wieder behaupten, dass sie Probleme damit haben, ihre Kinder zu erziehen und ihnen Werte vorzuleben, müssen wir beraten. Diesen Eltern müssen wir Hilfestellungen geben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD])

Zu einem weiteren Beitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Konrad Nabel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was den aktuellen Handlungsdruck und die Handlungsnotwendigkeit angeht, denke ich, dass in dem ersten Beitrag von Niclas Herbst, den ich sehr gut fand, alles gesagt worden ist. Gestehen wir uns gemeinsam ein: Das, was wir tun, ist ein Kratzen an der Oberfläche. Wir haben ein gesellschaftliches Klima, das Solidarität, Gerechtigkeit, Hilfe und Unterstützung eigentlich gar nicht will. Wir haben eine Gesellschaft, in der Wettbewerb, Konkurrenzdenken und Leistungsdruck vorherrschen. Ich will es etwas überspitzen: Es gilt wirtschaftliche Verwertbarkeit. Das sind die Schattenseiten der Liberalisierung.

Als wir das Privatfernsehen eingeführt haben, haben wir darauf hingewiesen, welche Veränderung sich in der Entwicklung der Medien abzeichnet. Ich glaube, wir haben vor zehn oder zwölf Jahren darüber diskutiert. Das ist nichts Neues. Als Gesellschaft hätten wir uns darauf vorbereiten können. Wir hätten uns vorbereiten müssen. Das haben wir nicht getan. Wir haben das denen überlassen, die dies als ein wirtschaftliches Unternehmen betrieben haben, und zwar mit der Ware Fernsehen, Film und sonstigen Medien. Wir als „sonstige“ Bürgerinnen und Bürger sind diejenigen, die das zu konsumieren haben. Wir müssen uns nicht wundern, denn unsere Kinder sind in diesem Klima aufgewachsen. Sie haben vom Beginn ihrer Kindheit an nichts anderes erlebt. Schon als Kleinkinder sind sie in diese Welt hineingewachsen.

Es ist richtig, wir müssen aktuell etwas tun. Wir müssen die Medienkompetenz stärken, das ist auch richtig. Vor allen Dingen müssen wir den größeren Teil der Gesellschaft, nämlich uns alle, die älteren Menschen, in dieser Frage stärken, denn wir von der älteren Generation haben diese Medien

kompetenz zum Teil nicht. Wir müssen aber gesellschaftliche Rahmenbedingen schaffen, in denen Familien wieder eine Chance bekommen und in denen gegenseitiges Verständnis und gegenseitige Hilfe höhere Werte sind als Egoismus und Leistungsdruck. Ich finde, das gehört auch in diese Diskussion hinein. Es hat mich ein bisschen geärgert, dass dies bisher an keiner Stelle erwähnt wurde.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir liegen noch im Rahmen der vorgesehenen Redezeit. - Frau Spoorendonk, wenn Sie sich noch einmal melden möchten, dann passt das noch. Wir haben 60 Minuten für diese Debatte veranschlagt. Jeder Kollege kann ein- oder zweimal reden, wie er mag.

Jetzt hat der Herr Abgeordnete Dr. Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Konrad Nabel, die Verbindung zwischen Marktwirtschaft, Liberalismus und liberalen Märkten mit höherer Gewaltbereitschaft kann ich wirklich nicht verstehen. Ich finde, hier wird eine Gespensterdebatte geführt. Ich erinnere daran, dass in China eine Regierung Menschen auf dem Platz des Himmlischen Friedens ermordet hat. Das war nun wirklich nicht gerade ein marktliberales System und auch kein marktradikales System. Ich will darauf hinweisen, dass in der ehemaligen DDR eigene Staatsbürger von eigenen Leuten an der Grenze erschossen wurden. Das war auch kein marktradikales System. Ich finde, man darf diese Debatte nicht dazu missbrauchen, um grundsätzlichen Ärger über ein gesellschaftliches System einzubringen. Sonst laufen wir nämlich Gefahr, dass wir bei jungen Leuten auf überhaupt kein Verständnis mehr treffen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist für mich Quintessenz der Rede, die Sie auch gelobt haben. Ich meine die Rede von Niclas Herbst. Er hat einen Punkt in die Debatte eingebracht, den nach ihm kein anderer Redner mehr aufgegriffen hat. Das ist aber der eigentliche Kern. Niclas Herbst hat daran erinnert, dass wir junge Menschen mitnehmen müssen, wenn wir wirklich etwas verändern wollen. Das haben Sie nicht getan. Ich fand das, was Sie hier versucht haben, eher ab