Protokoll der Sitzung vom 20.06.2019

und zwar, dass öffentliche Aufträge und Investitionen nur noch an tarifgebundene Unternehmen gehen, und zwar auf kommunaler, Landes- und auch auf Bundesebene. Ansonsten schwächt der Staat die Tarifbindung und macht sich zum Komplizen beim Lohn- und Sozialdumping.

(Beifall SPD und SSW - Dr. Ralf Stegner [SPD]: So ist es!)

Damit erklärt sich auch die Notwendigkeit, unseren Antrag hier und heute aufrechtzuerhalten. Die Landesregierung soll nicht nur die Entschließung des Bundesrates mittragen, sondern sich aktiv im Bund und in unserem Bundesland für die Stärkung der Tarifautonomie und der Tarifbindung einsetzen.

Ein Vorschlag wäre die Veränderung im Vergabegesetz, so, wie ich sie eben angeregt habe. Des Weiteren ist die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf Bundesebene ein weiterer wichtiger Schritt.

Gestalten Sie Arbeitsmarktpolitik in SchleswigHolstein, setzen Sie sich mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden an einen Tisch, und diskutieren Sie, wie mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von Tarifverträgen profitieren.

Bisher kennen wir von der Landesregierung und den Koalitionsfraktionen das Gegenteil: die Schwächung und die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten. Das sollte jetzt nach dem Beschluss im Bundesrat der Vergangenheit angehören. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und Lars Harms [SSW])

Für die CDU-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Werner Kalinka.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gewerkschaften und Arbeitgeber sind in der sozialen Marktwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Sie haben einen erheblichen Anteil daran, dass mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Nachkriegszeit Wohlstand und Wachstum erarbeitet werden konnten. Tarifgebundenheit bedeutet soziale Sicherheit, Stabilität, Fairness im Wettbewerb, faire Löhne. Ich finde, wir sollten gemeinsam festhalten, wo wir uns, wie ich denke, einig sind.

Wir sprechen bei diesem Thema nicht über Managerverträge, sondern vielfach über die Situation der arbeitenden Menschen, die Tag für Tag ihre Arbeit machen, aber kaum oder nur knapp über die Runden kommen. Wir sprechen in manchen Branchen über diejenigen, die sich infolge der Hartz-IV-Reformen in bestimmten Bereichen auf neue Arbeitsfelder auf den Weg gemacht und schwer zu kämpfen haben, dort über die Runden zu kommen. Es ist ja kein Zufall, dass Allgemeinverbindlichkeitserklärungen zum Beispiel in der Sicherheitsbranche, im Gastronomiebereich, in der Fleischerbranche oder in der Pflege ausgesprochen worden sind.

Die Bundesregierung hat gestern ein Gesetz zum Thema Lohn und Pflege gemacht. Das ist wohl notwendig. Es wäre aber gut, wenn die Tarifpartner von sich aus hier schon zu fairen Konditionen kommen können. Das unterstreicht eigentlich nur die Richtigkeit der Diskussion.

Es gilt auch, diejenigen Unternehmen zu schützen, die angemessen entlohnen und die durch unlautere Verzerrungen im Wettbewerb benachteiligt wurden. Wer sich an die Regeln hält, darf nicht schlechtergestellt sein als der, der sich nicht daran hält.

Zur Diskussion über Inhalte der sozialen Marktwirtschaft gehören selbstverständlich auch Verabredungen über Urlaub, Zuschläge und Regelungen wie zum Beispiel Kündigungsfristen. Das sind Kernelemente unserer sozialen Marktwirtschaft.

Der im Bundesrat verabschiedete Antrag ist eine gute Grundlage und eine gute Richtschnur. Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine Strategie zur Stärkung der tariflichen Ordnung zu erarbeiten, und ich denke, es ist richtig, dass dies geschieht, und zwar unter Einbeziehung der Tarifpartner, wie es heute bei Allgemeinverbindlichkeitserklärungen ohnehin gültiges Recht und der Fall ist. Das geschieht ja nicht gegen die Tarifpartner. Dann sollen Möglichkeiten der Rahmenbedingungen auf Grundlage einer wirklich aussagekräftigen Datenlage eruiert werden, denn diese scheint derzeit auf Bundes

(Wolfgang Baasch)

und Landesebene nicht sehr stark zu sein. Auf Basis dieser Ergebnisse wird die Regierung gebeten, entsprechende Vorschläge zu machen. Es hindert uns doch niemand, uns an dieser Diskussion zu beteiligen.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Wir können auch handeln!)

- Herr Kollege, ich wollte Ihnen eigentlich etwas Positives sagen. Ich finde es gut, dass Sie dies in Ihrem neuen Antrag würdigen. Das finde ich positiv, und das wollen wir in diesem Haus auch einmal festhalten. Ich finde es schade, dass Sie mit Worten wie „Komplizen-Lohndumping“ sachwidrige Aussagen treffen, die die Diskussion über dieses Thema eher schwächen.

(Beifall CDU und FDP)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Selbstverständlich.

Sehr geehrter Herr Kollege Kalinka, gute Dinge würdigen wir immer gern. - Sie machen schon lange Sozialpolitik und haben eben die Aussage getätigt: Wer sich nicht an die Regeln hält, darf nicht bessergestellt werden als jemand, der sich an die Regeln hält. Was halten Sie von der wagemutigeren Konsequenz, dass es umgekehrt sein sollte, nämlich dass derjenige, der sich an die Regeln hält, bessergestellt wird als derjenige, der sich nicht an die Regeln hält?

- Ich erwarte von allen, dass sie sich an die Regeln halten und dann die gleichen positiven Konsequenzen daraus ziehen können.

(Beifall CDU und FDP - Zuruf Wolfgang Baasch [SPD])

Der Rückgang der Tarifbindungen geht einher mit einer Abnahme der Anzahl der Mitglieder bei den Gewerkschaften. Ich sage Ihnen das für meinen Teil sehr offen: Ich bin darüber nicht froh. Neben allen wichtigen Dingen, die gesagt worden sind, ist es trotz mancher Dinge, über die man sich manchmal geärgert hat, ein gutes Zeichen der vergangenen Jahrzehnte, dass die Gewerkschaften wie die Arbeitgeberverbände nachhaltig zur gesellschaftli

chen und wirtschaftlichen Stabilität in unserem Land beigetragen haben. Das ist ein ganz hoher Wert. Gerade dann, wenn wir sehen, wie die politischen Schwankungen sind, sollten wir uns darüber sehr im Klaren sein.

(Vereinzelter Beifall CDU und Beifall Lars Harms [SSW])

Arbeit ist nicht etwas Abstraktes, sondern etwas, was den Menschen dienen soll. Der Mensch steht im Mittelpunkt, und hier haben wir dabei, Dinge wieder in andere Bahnen zu führen, sicherlich noch Luft nach oben.

Die Tarifvertragsdiskussion ist eine Chance, wieder mehr Ordnung in bestimmte Branchen im Wirtschafts- und Arbeitsleben zu bringen. Deswegen ist unser Antrag ein positives Signal, und ich würde mich freuen, wenn Sie dem zustimmen können. Ich gehe davon aus, dass wir uns an dieser Diskussion beteiligen und dass dies selbstverständlich auch die Landesregierung macht. Ich gehe auch davon aus, dass die dem Bundesrat vonseiten der Bundesregierung in Berlin vorgegebene Zeitschiene erfüllt wird und dass Vorschläge gemacht werden. In Berlin sollte man sich möglichst zügig auf den Weg machen, und niemand hindert uns daran, unseren Beitrag dazu zu leisten. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, FDP, Ines Strehlau [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Überbetriebliche Branchenund Flächentarifverträge sind zentral für gute Arbeitsbedingungen und für armutsfeste Löhne. Wenn die Tarifbindung nachlässt, werden die Arbeitsverhältnisse schlechter. Der Kollege Baasch und der Kollege Kalinka sind darauf schon eingegangen.

Die Tarifbindung lässt weiter nach. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten sind bundesweit mit einem Tarifvertrag beschäftigt. In Schleswig-Holstein sind die Zahlen noch geringer als im Bundesschnitt. Deshalb begrüßen wir Grüne, dass politisch darüber beraten wird, wie wir die Tarifbindung stärken können. Dazu gehört für uns ganz

(Werner Kalinka)

klar auch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Wir begrüßen deshalb, dass der Bundesrat sich bereits am 7. Juni 2019 klar zu diesen Fragen positioniert hat. Das haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, in Ihrem Ursprungsantrag gefordert, und so ist es auch beschlossen worden.

Auch wenn nicht der Antrag der SPD-geführten Länder beschlossen wurde - das hätten wir Grüne uns auch gut vorstellen können -, wurde immerhin ein Kompromissantrag aus Nordrhein-Westfalen beschlossen. Der Auftrag aus dem Beschluss ist klar: Sozialpartnerschaft, Tarifautonomie und Tarifbindung stärken - verantwortungsvolle Unternehmen schützen und fairen Wettbewerb sichern. So lautet die Überschrift des Bundesratsbeschlusses. Das ist ein klarer Auftrag. Der Beschluss ist im Übrigen einstimmig gefasst worden, es gab komplette Zustimmung. Sozialpartnerschaft, Tarifautonomie und Tarifbindung sind wichtige Bestandteile unserer Marktwirtschaft, und sie sind in der Vergangenheit bitter erkämpft worden.

Ein Beschluss, der dies wiederholt und dort ansetzt, ist gut. Die Herausforderungen, um dies zu erreichen, sind allerdings vielschichtig. Für eine höhere Tarifbindung müssen unterschiedliche Schrauben gedreht werden. Dies zeigte sich zum Beispiel bei der letzten Änderung zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung 2015. Da ist das Ganze schon einmal angepasst worden. Trotzdem hat sich nicht besonders viel zum Positiven verändert. Das sollte uns zu denken geben,

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Beifall Lars Harms [SSW])

denn um die richtigen Konsequenzen für höhere Tarifbindungen zu ziehen, brauchen wir nicht nur gesetzliche Klarstellungen, sondern auch eine bessere Datengrundlage.

Wir sollten dies vor allem gemeinsam mit den Sozialpartnerinnen und Sozialpartnern, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und den Vorsitzenden der Tarifausschüsse beraten, denn auch wir nehmen mit Sorge wahr, dass ein sehr wichtiger Sozialpartner - der Kollege Kalinka ist schon darauf eingegangen - in den letzten Jahren durch erhebliche Mitgliederverluste geschwächt worden ist. Während 1991 noch über 11 Millionen Menschen in Deutschland Mitglied einer Gewerkschaft waren, sind es jetzt nur noch bundesweit knapp 6 Millionen. Ich sage dies hier zum einen als Gewerkschaftsmitglied, aber auch als Grüner: Wir brauchen starke Gewerkschaften, wenn wir armutsfeste

Löhne und gute Arbeitsbedingungen erkämpfen wollen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt FDP und Beifall Lars Harms [SSW])

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Baasch?

Ja, natürlich.

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich habe sowohl in Ihrem Antrag als auch in der Rede des Kollegen Kalinka und auch von Ihnen herausgehört, dass die Situation bei den Gewerkschaften so ist, dass durch weniger Mitglieder und sicherlich auch durch andere Faktoren eine gewisse Schwäche besteht. Das will keiner bestreiten. Gleichzeitig habe ich versucht, deutlich zu machen, dass wir in vielen Bereichen der Wirtschaft gesehen haben, dass die Arbeitgeberverbände immer mehr dadurch Erosion erleiden, dass sie Mitglieder zulassen, die sich explizit von der Tarifbindung verabschieden.

Ich glaube, es wäre sinnvoll, darauf nicht nur hinzuweisen, sondern zum Beispiel auch mit geeigneten Initiativen darauf hinzuwirken, dass Arbeitgeberverbände ihre Verantwortung wahrnehmen und darauf hinweisen, dass man sich nicht nur die Rosinen rauspicken darf, sondern dass man natürlich auch innerhalb der Arbeitgeberverbände Tarifverbände akzeptieren und mittragen muss.

- Da haben wir keinen Dissens. Ich teile das, und ich finde auch, dass man die Arbeitgeberverbände dort, wo sie solche Entwicklungen zulassen, nicht aus der Pflicht nehmen darf. Da haben wir einen Konsens.

Wir müssen allerdings auch berücksichtigen, dass sich unsere Gesellschaft verändert und dass wir die Zeit nicht auf 1991 zurückdrehen können. So wichtig, wie starke Gewerkschaften auch sind, so verändert sich unsere Arbeitswelt doch massiv, und sie hat sich auch massiv verändert. Zu nennen sind hier die Digitalisierung, Soloselbstständigkeit, Start-ups, die in einer anderen Struktur unterwegs sind, oder auch der Sozialbereich, wo wir jenseits von Flächentarifverträgen neue Antworten liefern müssen

(Rasmus Andresen)

Antworten, die bedeuten, dass Menschen in Würde leben und gute Arbeit für alle organisiert werden kann.

Das sollten wir nicht gegeneinander ausspielen. Es gehört zur Debatte, dass wir uns neben dem Instrument der Flächentarifverträge auch über die Zukunft des Sozialstaats insgesamt - dazu gehört gute Arbeit - weiter Gedanken machen müssen.