Protokoll der Sitzung vom 28.08.2019

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt FDP)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Andrea Tschacher.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allen Menschen muss die Möglichkeit zugestanden und eröffnet werden, ein erfülltes Leben zu führen. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben, Bildung sowie Wohn- und eben auch Arbeits- und Beschäftigungsangebote. Arbeit und Beschäftigung kommen hierbei eine besondere Rolle zu. Sie strukturieren den Tag, fordern Aktivität ein, ermöglichen soziale Kontakte, steigern und stützen das Selbstwertgefühl, und sie geben uns eine Identität.

Aus meiner beruflichen Tätigkeit heraus in einem Jobcenter kann ich aus vielen Gesprächen mit den Menschen berichten, wie schnell man seine Tagesstruktur verlieren und wie schnell man in das soziale Abseits abgeschoben werden kann, wenn man keiner Arbeit oder Beschäftigung nachgehen kann. So ist das auch mit Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen. Sie befinden sich oftmals in einem Spannungsfeld zwischen Inklusion und Exklusion.

Es ist daher ausgesprochen wichtig, diese Menschen mitzunehmen und ihnen Angebote zu machen, die sie bei ihren Problemen unterstützen und die auf sie und ihre Probleme angepasst sind. Ziel sollte es also sein, die Ursachen zu bearbeiten und somit die Erwerbsfähigkeit zu erhalten beziehungsweise diese zu fördern.

Das Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben - rehapro“ ist ein Beispiel für ein Angebot des Bundes, das zum Ziel hat, die Grundsätze Prävention vor Rehabilitation und Rehabilitation vor Rente zu stärken und die Erwerbsfähigkeit zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen.

Liebe Kollegen und liebe Kollegin des SSW, zur Verbesserung der Beschäftigungssituation von

Menschen mit psychischen Einschränkungen haben Sie in Ihrem Antrag konkret drei Maßnahmen benannt: Erstens. Bedarfsgerechte Angebote im niedrigschwelligen Bereich mit Arbeitsvertrag bis zu 15 Stunden wöchentlich. Ich widerspreche nicht, wenn es darum geht, Menschen mit psychischen Einschränkungen dabei zu unterstützen und darin zu fördern, mit einer geringfügigen Beschäftigung im zunächst niedrigschwelligen Bereich wieder den Einstieg in eine Arbeit oder eine Beschäftigung zu ermöglichen.

Die Gründe hierfür habe ich bereits ausgeführt. Aber vielfach gibt es sie schon. Die regionale Ausprägung ist sicherlich unterschiedlich gewichtet. Ich nenne zwei Beispiele: den Verein Arbeit nach Maß e.V. aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg und „KIELER FENSTER - Verein zur Förderung sozialpädagogischer Initiativen e.V“. Als überregionales Beispiel nenne ich das Modellprojekt „Übergänge schaffen - Arbeit inklusiv“, welches in Abstimmung mit den kommunalen Landesverbänden und der Bundesagentur für Arbeit entwickelt wurde.

Eine wesentliche Änderung im Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben ist, dass die Beschäftigungsangebote anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen durch die Zulassung anderer Leistungsanbieter und die Einführung des Budgets für Arbeit sinnvoll ergänzt werden.

Zweitens. Flächendeckende Versorgung mit niedrigschwelligen Beschäftigungsangeboten ohne Vertrag: Sozialraumorientierung wurde auch in der Eingliederungshilfe eingeführt und ist zweifelsohne ein Baustein von vielen möglichen zur Verwirklichung von Inklusion. Derartige Angebote gibt es auch schon, wie zum Beispiel die „Brücke SH“, die von mir beispielhaft genannten regionalen Anbieter und auch die „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung Lebenshilfe Schleswig-Holstein e.V.“.

Drittens. Zahlung eines Therapie- und Motivationsgeldes: Wir sollten beobachten, wie sich die mit dem Bundesteilhabegesetz neu geschaffenen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben entwickeln und welche Wirkungen sie entfalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gäbe noch viel zu dem Thema zu sagen, aber meine Redezeit ist leider begrenzt. Ich schlage vor, wir beraten und diskutieren über den Antrag im Sozialausschuss. Ich freue mich darauf. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt FDP)

(Jette Waldinger-Thiering)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Menschen mit Behinderung finden keinen Weg ins Berufsleben oder sind in ihrer Berufswahl stark eingeschränkt. Dies gilt insbesondere für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das belegen die Arbeitsmarktstatistiken der Bundesagentur für Arbeit, die ein eher düsteres Bild über die Situation der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt abgeben.

Es bleibt festzuhalten: Wer den Normen der Arbeitswelt hinsichtlich Ausbildungsdauer, Ausbildungswegen oder Bildungssituation nicht entspricht und durch eine psychische Erkrankung Brüche im Lebenslauf aufweist, fällt schnell aus dem allgemeinen ersten Arbeitsmarkt oder findet oft erst gar nicht in diesen hinein. Festzuhalten bleibt auch, dass psychische Erkrankungen seit mehr als zehn Jahren die Hauptursache für gesundheitsbedingte Frührenten sind. Darum ist es gut, dass der SSW das Thema aufgegriffen und uns hier und heute diesen Antrag vorgelegt hat. Dafür sage ich einen herzlichen Dank an Flemming und natürlich auch an Jette.

(Beifall SPD, SSW und Anette Röttger [CDU])

Die Situation der Menschen mit psychischen Erkrankungen wird im Antrag richtig beschrieben. Arbeit und Beschäftigung sind für Menschen mit Behinderung ein wichtiger Lebensinhalt. Gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen gewinnen durch sinnvolle Beschäftigung wieder Selbstsicherheit und Perspektiven. Arbeit ist dabei ein wichtiger Bestandteil der Tagesstruktur. Darum muss es das Ziel sein, Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen und chronifizierten psychischen Erkrankungen zu verbessern. Hierzu muss sich auch die Eingliederungshilfe weiterentwickeln.

Wir brauchen möglichst viele weitere arbeitsmarktnahe Beschäftigungsplätze für psychisch Erkrankte. Mit diesem Angebot wird oft die einzige Chance eröffnet, in kleinen Schritten wieder in soziale Kontakte zu treten, wieder Verantwortung zu übernehmen und diese auch zu trainieren.

Nicht selten führt der Weg über diese arbeitsmarktnahen Beschäftigungsverhältnisse über diese niedrigschwellige Beschäftigung wieder in reguläre Ar

beitsverhältnisse, und das ist ein Ziel, das im Antrag des SSW gut beschrieben ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber nichts ist so gut, als dass Sie es nicht noch besser machen können. Ich glaube, in dem Antrag fehlen noch einige Fragestellungen, die wir im Ausschuss vertiefend diskutieren können, zum Beispiel, wie Arbeit auch dazu beiträgt, die familiäre Situation von Menschen mit Behinderung zu stabilisieren. Gerade Angehörige und vor allem Kinder von psychisch Erkrankten brauchen hier gezielte Unterstützung. Oft sind es in diesen Familien von psychisch Erkrankten die Kinder, die eine Familie zusammenhalten und den psychisch erkrankten Eltern den notwendigen Halt geben. Kinder leisten hier oft fast Übermenschliches. Darum müssen auch die Arbeit und die Familiensituation unterstützt werden. Arbeit und Familien müssen in diesen Bereichen stärker zusammengebracht werden.

(Beifall SPD und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weiter brauchen wir Fortbildungen und Umschulungen, um geeignete Arbeitsplätze und Berufe für psychisch Erkrankte zu finden. Im Antrag wird die Begrifflichkeit des Zuverdienstes angesprochen. Hier bedarf es noch einer Klarstellung. Dabei gibt es in der Diskussion auch den Begriff des Motivationsgeldes.

Es wäre ein Motivationsgeld, das Bestandteil der Eingliederungshilfe ist, aber nicht als Einkommen auf die Grundsicherung angerechnet wird. Ein zusätzliches Therapie- oder Motivationsgeld wäre ein wichtiger Bestandteil der Beschäftigung für psychisch erkrankte Menschen in entsprechenden Arbeits- und Beschäftigungsprojekten.

Zusammengefasst: Es handelt sich um ein wichtiges Thema, das es wert ist und notwendig macht, dass wir mit Engagement weiter darüber diskutieren. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, SSW, Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] und Dennys Born- höft [FDP])

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Dr. Marret Bohn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr über den vorliegenden Antrag des SSW; denn er ist ein guter Anlass, wieder über ein wichtiges sozialpolitisches

Thema, die Inklusion, zu reden. Wir alle wissen, dass der Weg zur Inklusion ein weiter ist. Dennoch ist es richtig und wichtig, dass wir dem Ziel der Inklusion immer weiter, Schritt für Schritt, entgegengehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Dennys Bornhöft [FDP])

In dem vorliegenden Antrag sind viele Ansätze enthalten, die dazu geeignet sind, die Steine, die Menschen mit Behinderung immer noch in den Weg gelegt werden, aus dem Weg zu räumen. Denn eines ist klar: Für Inklusion und soziale Teilhabe ist Arbeit beziehungsweise Beschäftigung ein sehr wichtiger Baustein. Das gilt ganz besonders - Kollegin Waldinger-Thiering hat es schon erklärt - für Menschen mit psychischen Handicaps, weil gerade für sie Tagesstruktur, soziale Anerkennung und Teilhabe sehr wichtig sind. Deshalb ist es gut, dass wir alles dafür tun, dass diejenigen, die in SchleswigHolstein betroffen sind, noch bessere Möglichkeiten der Teilhabe erhalten.

Der vorliegende Antrag bezieht sich in erster Linie - das hat Kollege Baasch soeben aufgeführt - auf die Eingliederungshilfe und auf bedarfsgerechte Angebote. Das klingt zunächst einmal gut. Wir sollten aber berücksichtigen, was wir in SchleswigHolstein alles schon haben, und darauf aufbauend schauen, wie wir es weiterentwickeln können.

Wir Grüne haben uns in der Küstenkoalition sehr für das Budget für Arbeit eingesetzt; daran halten wir in der Jamaika-Koalition fest. Es ist sicherlich kein Angebot, das für alle Menschen mit psychischen Handicaps geeignet ist. Aus unserer Sicht ist es aber ein wichtiger Baustein für diejenigen, für die es passt. Passende Angebote - auch insoweit kommen wir zueinander - sind sinnvoll und wichtig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im nächsten Punkt wird die Sozialraumorientierung angeführt. Dazu muss ich sagen: Mit diesem Ansatz rennen Sie bei uns Grünen offene Türen ein. Das ist ein sehr kluger, wichtiger Ansatz, um im Bereich der Eingliederungshilfe weiterzukommen. Deshalb ist es gut, dass dieser Punkt in dem vorliegenden Antrag aufgeführt wird.

Jetzt komme ich zu einer kleinen Kritik, die ich an dieser Stelle leider wiederholen muss: Das Bundesteilhabegesetz hat neben viel Licht auch viel Schatten gebracht. Darauf haben wir immer wieder hingewiesen; darüber haben wir auch im Sozialausschuss immer wieder diskutiert. Das ist offensichtlich auch bei der Bezahlung von geleisteter Arbeit

ein Problem. Wir sollten uns genauer ansehen, wie es vor Ort läuft und was besser werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Diversität, soziale Teilhabe und Inklusion sind Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Wir sehen aber an dem vorliegenden Antrag, wie komplex das Thema ist. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn wir den Antrag in den Sozialausschuss überweisen und zwischen den Fraktionen sowie gemeinsam mit Menschen mit Behinderung darüber diskutieren könnten, wie es uns möglich ist, mehr Inklusion und mehr Teilhabe zu gewährleisten. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und vereinzelt CDU)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das liberale Menschenbild, für das ich einstehe, hat eine Zielvorstellung: Jeder Mensch soll aus eigenem Engagement, aus eigenem Willen sein Leben in seinem Sinne gestalten können. Dazu gehört ganz wesentlich das Bestreiten des Lebensunterhalts durch eigene Arbeit oder eine zündende Idee für eine konkrete Unternehmung. Diese Wunschvorstellung hat leider Grenzen. Aus unterschiedlichsten Gründen ist es manchmal nicht möglich, seines Glückes Schmied zu sein, sei es eine schwierige Kindheit, seien es Schicksalsschläge oder auch körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigungen. Unser Sozialstaat muss so unterstützend tätig werden, dass die Betroffenen ihr Leben weitestmöglich selbst in die Hand nehmen können. Deshalb freue ich mich über jede sozial- und bildungspolitische Debatte, die wir hier im Landtag führen. Das ist die Voraussetzung, um unser soziales Netz im Land engmaschiger zu gestalten.

Trotz aller guten Gesetzgebung und bei aller guten Absicht merkt man, dass es immer ein fortlaufender Prozess ist, die öffentliche Unterstützung hierfür zu schärfen. Dies gilt insbesondere für die Inklusion, welche zusammen mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht ohne Grund am Beginn des sozialen Kapitels des Koalitionsvertrages steht und zudem einen großen Teil im Bildungskapitel einnimmt. Mit jedem Schritt, den wir im Sinne der Verbesserung voranschreiten, steigen aber in der Regel gleichermaßen - zu Recht - die Anforderungen und die Nachfrage nach stärkerer Inklusion.

(Dr. Marret Bohn)

Der Weg zur vollständigen Inklusion wird daher niemals zu erreichen sein, was aber in diesem Verständnis auch gut ist; denn Gesellschaft und Staat dürfen niemals besser werden

(Heiterkeit)

- oh Gott, was für ein Versprecher! -, Sie dürfen niemals aufhören, auch in dieser Hinsicht besser zu werden.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich möchte einen Punkt aus dem Antrag des SSW aufgreifen: Wir müssen Menschen mit Behinderung Schutz bieten. Bürokratische Vorgaben dürfen aber nicht dazu führen, dass wir Menschen mit Behinderung sozusagen von Arbeit abhalten oder unbeabsichtigt aussperren. Daher sollten wir in der weiteren Beratung, auf die ich mich schon sehr freue, auch die Punkte, die in der Antragsbegründung stehen - niedrigschwellige Angebote, flexibilisierte Arbeitszeiten -, prüfen, beleuchten, bewerten. Wir sollten schauen, welche Möglichkeiten wir derzeit schon haben und welche wir noch nicht haben; denn gut gemeinte Vorgaben können auch zu kontraproduktiven Ergebnissen führen. Jede Erleichterung, die Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen einen Schritt näher an ein Beschäftigungsverhältnis führt, ist die Diskussion auf jeden Fall wert.

Einige der in dem Antrag beschriebenen Problemlagen werden durch die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes voraussichtlich gemildert oder ihnen wird - hoffentlich - gänzlich abgeholfen. Die volle Wirkung entfalten das Bundesteilhabegesetz sowie seine landesrechtliche Umsetzung jedoch erst zukünftig. Wir können daher jetzt noch nicht sagen, ob und wenn ja, wo zur Verbesserung nachjustiert werden kann oder muss.