Protokoll der Sitzung vom 17.06.2020

Ich möchte noch einmal auf den Kollegen Joschka Knuth eingehen, der von einem Wohnraumschutzgesetz gesprochen hat. Lieber Joschka, die entsprechende Drucksachennummer lautet 19/721. Jamaika darf diese Drucksache gern noch einmal vorlegen, es ist ein Gesetzentwurf des SSW. Das würde vielleicht helfen, dieser Sache näher zu kommen.

Was mich an der Sache echt stört, ist: Wir sprechen über die Menschen, die in Schleswig-Holstein unter prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten und leben. Wir wissen noch nicht einmal, über wie viele Menschen wir sprechen, die hier bei uns unter diesen Verhältnissen leben und arbeiten. Es macht mich echt wütend, dass wir das 2020 immer noch nicht hingekriegt haben, dafür Sorge zu tragen, dass wir auf der einen Seite Geld verdienen und auf der anderen Seite vernünftige Verhältnisse haben.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die restliche Redezeit der AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch.

(Zurufe)

Es ist immer gut, wenn man die Maske mitnimmt, noch besser ist, wenn man sie aufsetzt.

Ich bin überrascht, dass ich schon dran bin. Ich bitte um Verzeihung, Herr Präsident. Ich dachte, es kämen noch andere Redner vor mir an die Reihe.

Das gilt nicht nur für Sie, lieber Kollege Schnurrbusch, das gilt auch für diejenigen, die durch die Räume hier laufen. Es ist eine Zwischenbemerkung, die vielleicht wieder einmal notwendig war.

Ich hatte vermutet, die anderen Fraktionen haben auch noch Redezeit. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat am 20. Mai 2020 die Eckpunkte eines Arbeitsschutzprogramms für die Fleischwirtschaft beschlossen. So sollen nach dem 1. Januar 2021 die Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft dadurch gesichert werden, dass das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch nur noch durch Ar

beitnehmer des eigenen Betriebs zulässig sind. In der Praxis bedeutet dies, dass der Einsatz von Fremdpersonal mittels Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr möglich sein soll. Dieses Verbot kann jedoch nicht die Lösung des Problems sein, zumal sich durch die Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie wesentliche Verbesserungen ergeben werden. Das Umsetzungsgesetz der Bundesregierung wird schon zum 30. Juli 2020 in Kraft treten.

Kernpunkt der Neuregelung des Arbeitnehmerentsendegesetzes ist der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Bisher galten hier für Arbeitnehmer ausländischer Unternehmen nur die in der Branche geltenden Mindestentgeltsätze, sodass wir hier eine wesentliche Verbesserung für ausländische Arbeitnehmer haben, zumal die Regelung explizit auch für Leiharbeitnehmer Anwendung finden, die hier eingesetzt werden. Der Grundsatz der Gleichbehandlung mit lokalen Leiharbeitnehmern wird auch auf entsandte Leiharbeitnehmer angewandt. Ein Verbot von Werkverträgen - der Kollege Richert sprach es gerade an - kann nicht die Lösung sein. Wir können es auch nicht gutheißen, wenn die Werkverträge pauschal verboten würden, wie die SPD sich das vorstellt, denn die negativen Folgen wären erheblich. So wird es wohl zur Abwanderung großer Teile der Branche in das Ausland - vornehmlich nach Osteuropa - kommen, denn es ist und bleibt schwierig, für diese Art der Tätigkeit Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu finden. Das gilt aber auch für andere Branchen. Werkverträge haben deshalb auch manchmal ihr Gutes.

Ein ganz wesentlicher Kritikpunkt ist darüber hinaus, ob ein derart weitgehendes Verbot nicht in verfassungswidriger Weise in die unternehmerische Freiheit eingreifen würde oder sogar gegen die auf EU-Ebene garantierte Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Selbstständigen verstößt. Unsere Prognose ist: Dagegen wird die gesetzliche Neuregelung verstoßen und einer gerichtlichen Kontrolle, wenn es zum Streit vor Gericht kommt, nicht standhalten. Denn durch das umfassende Verbot werden die Unternehmen ihrer Gestaltungsspielräume beraubt. Zur Freiheit des Unternehmers gehört eben auch, selbst zu entscheiden, ob er eine bestimmte Leistung durch eigene Arbeitskräfte erfüllen will oder sich hierfür Dritter bedient, sei es durch Werkverträge oder den Einsatz von Leiharbeitnehmern.

Daher können wir dem SPD-Antrag aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zustimmen. Das gilt - leider, muss ich fast sagen - auch für den Alternativantrag der Jamaika-Koalition, da er viele richtige,

(Jette Waldinger-Thiering)

aber auch irreführende Forderungen erhält. Die Initiativen aus Berlin - das freut uns besonders - und aus Schleswig-Holstein - es wurde schon erwähnt, dass Minister Dr. Garg da führend ist - im Rahmen der 96. Konferenz der Arbeits- und Sozialminister enthalten durchaus begrüßenswerte Ansätze, die es weiter voranzutreiben gilt.

Doch in dem Antrag finden sich eben auch Punkte, die wir sehr kritisch sehen. Das gilt für die Erweiterung der Arbeitsstättenverordnung auf Hotels genauso wie für die Verschärfung des Mindestlohngesetzes oder die Ausweitung der Rechte der Arbeitnehmervertretungen der Betriebe auch auf die Werksvertragsarbeitnehmer. Da - das vermuten wir - haben sich die Grünen sehr stark eingebracht. Allein diese Forderung widerspricht jeglichen Grundsätzen des Betriebsverfassungsrechts und daher: zweimal Nein zu diesen Anträgen. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Ich teile Ihnen zwischendurch mit, dass sich der Abgeordnete Flemming Meyer nach § 47 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung für die Landtagssitzung entschuldigt hat.

Das Wort zu einem ersten Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unerträglich, dass Arbeitnehmerrechte in deutschen Schlachthöfen missachtet werden, auch hier in Schleswig-Holstein, dass Arbeitnehmerrechte und faire Arbeitsbedingungen missachtet werden und dass in der Fleischindustrie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerade aus Mittel- und Osteuropa ausgebeutet werden. Hier haben wir viel zu lange auf die Umsetzungen von freiwilligen Selbstverpflichtungen gewartet. Es ist nicht so, dass die Welt erst 2019 aufgewacht ist und diese Arbeitsbedingungen angeprangert hat, sondern wir haben das durch unsere Anträge im Landtag schon wesentlich früher gemacht. Kollege Kalinka weiß ganz genau, dass die Anhörung zum Thema Schlachthöfe schon lange läuft. Wir haben erst eine schriftliche Anhörung durchgeführt und uns wegen der Coronapandemie verständigt, nach der Sommerpause eine mündliche Anhörung dazu anzuschließen. Das zeigt deutlich, dass wir uns mit dem Thema beschäftigt haben.

Das Thema ist gerade jetzt noch einmal sehr deutlich nach oben gespült worden. Ich finde, es ist viel

zu spät, aber es ist Gott sei Dank jetzt so weit. Wir können dieses Thema aufgreifen und deutlich machen, dass die Realität in den Schlachthöfen auch in Schleswig-Holstein so aussieht, dass nach wie vor unbezahlte Überstunden geleistet werden, dass überteuerte und schlechte Unterkünfte bestehen, dass mangelnde Hygiene vorhanden ist, dass Verstöße gegen das Arbeitszeit- und das Mindestlohngesetz begangen werden. Das alles macht deutlich: Jetzt muss gehandelt werden, jetzt muss hier etwas verändert werden. Dass die Coronakrise etwas Gutes haben soll, ist nicht meine Überzeugung. Corona hat eigentlich nichts Gutes. Aber dass wir an dieser Stelle gefordert sind zu handeln, kann nun keiner mehr in Abrede stellen.

Jamaika formuliert, dass es, wie Herr Knuth es eben dargestellt hat, nur mit Ihnen geht: Ich glaube gern, dass Sie das, was Sie als Text formuliert haben, Herr Kollege Knuth, vielleicht nur mit Jamaika hinbekommen. Aber wenn Sie das beim Betriebsverfassungsgesetz umsetzen wollen, werden Sie das nur mit Rot-Grün hinbekommen. Das werden Sie mit CDU und FDP auf keinen Fall erreichen.

(Beifall SPD - Zurufe Christopher Vogt [FDP] und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Da wird deutlich: Wohlfeile Texte sind die eine Sache, aber politisches Handeln und politische Veränderungen werden Sie nur in einer fortschrittlichen Kombination und nicht einem rückwärtsgewandten Bündnis hinbekommen.

(Beifall SPD - Zuruf Dennys Bornhöft [FDP] - Weitere Zurufe)

Wie stillstehend Jamaika ist, erkennt man doch auch daran deutlich, dass Jamaika in diesem Antrag nicht ein Wort zur EU sagt: kein Wort zur EU-Entsenderichtlinie, kein Wort dazu, was das auch für die Europäische Union bedeutet. Ich sage Ihnen deutlich: Wer Europa in dieser Frage nicht auf dem Schirm hat, hat eigentlich Politik für die Zukunft nicht auf dem Schirm, denn Europa ist unsere Zukunft. Wer wie die Fleischindustrie europäisches Recht mit Füßen tritt, wer dort trickst, der schadet auch der europäischen Idee. Das muss man sehr deutlich benennen.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Hier wird die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa missbraucht. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das ist nicht in Ordnung. Dem gehört ein Riegel vorgeschoben. Ich glaube ganz fest, dass wir der europäischen Idee nur auf die Beine helfen und auch neuen Schwung, der im Moment notwendig ist, verleihen,

(Volker Schnurrbusch)

wenn wir uns tatsächlich in vielen Bereichen an ein gemeinsames soziales und solidarisches Europa machen. Dazu gehört nicht die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Abgeordnete Özlem Ünsal.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Zu enger Wohnraum, zu viele Leute darin, zu wenig Sanitärräume. Das ist die Realität. Die Coronapandemie führt genau diese Missstände der deutschen Fleischindustrie vor Augen, zu denen auch die Unterkunftsbedingungen gehören. Infektionsketten hängen zu häufig mit den Wohnverhältnissen in dieser Branche zusammen. Der Corona-Ausbruch in zahlreichen Unternehmen der Fleischindustrie ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs.

Deshalb müssen zur neuen Normalität nach der Pandemie gute und menschenwürdige Wohnbedingungen gehören - ich hoffe, das ist hier nicht strittig -, keine schrottreifen Sammelunterkünfte und keine völlig überzogenen Mieten in dieser Branche. Es darf einfach nicht sein, dass unter Missbrauch des Wohnungs- und Mietrechts verhindert wird, dass Behörden Zugang zu den Unterkünften erhalten, um die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards und des Gesundheitsschutzes zu kontrollieren.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Angesichts des mangelnden Willens mancher Verantwortlicher, konstruktiv mit den Aufsichtsbehörden zusammenzuarbeiten, ist es dringend geboten, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um diese Missstände zu unterbinden. Unsere Aufforderung an die Landesregierung lautet deshalb zu Recht: Verabschieden Sie endlich eine Gesetzesgrundlage, die diese Regelungslücke schließt! Im Unterschied zu anderen Bundesländern gibt es in SchleswigHolstein bisher keine gesetzliche Grundlage dafür, diese Missstände jenseits des Arbeitsstättenrechts zu unterbinden.

Jette Waldinger-Thiering hat es angesprochen: Der Vorstoß für ein Wohnraumschutzgesetz, den wir gemeinsam mit dem SSW vor einigen Monaten auf den Weg bringen wollten, ist gescheitert. Wir gehen jetzt einen deutlichen Schritt weiter und schlagen

die Anpassung des Bauordnungsrechts vor, mit der die Regelungen in der Landesbauordnung über die Mindestanforderungen von Wohnungen und Gemeinschaftsunterkünften verschärft und erweitert werden können. Ein effektives Vorgehen gegen Zweckentfremdung, Verwahrlosung oder menschenunwürdige Unterbringung, über die wir heute diskutieren, durch Überbelegung muss Kern der Änderung sein; wir haben da eine Möglichkeit im Baurecht.

Durch die Anwendung des Bauordnungsrechts können nicht nur die „Kommunalfürsten“, wie es hier gerade despektierlich aufgeworfen worden ist, sondern unsere Bauaufsichtsbehörden die Wohn- und Unterbringungsgebäude unabhängig von der Ausgestaltung der Eigentums- oder Mietverhältnisse vor dem Baurecht sind alle gleich - betreten, kontrollieren und im Notfall bis hin zur Nutzungsuntersagung einschreiten.

Kurz zu Ihrem Jamaika-Vorschlag, keine Verschärfung des Arbeitsstättenrechts auf Bundesebene kann vermeiden, dass es neue Schnittstellen zum Wohnraum gibt, die keine Umgehungstatbestände zulasten der Beschäftigten nach sich ziehen. Dieses Argument möchte ich einmal aufgezeigt wissen. Wir fordern die Landesregierung stattdessen auf, sich mit uns für eine echte schleswig-holsteinische Lösung starkzumachen und die Verantwortung nicht an den Bund abzuschieben in der Hoffnung, dass sich dort vielleicht Mehrheiten finden. Sie sind völlig im luftleeren Raum unterwegs.

Das kann nicht die Antwort auf ein so drängendes Problem in unserem Land sein. Wir haben jetzt die Chance, es anders zu machen, sinnvoll zu regeln, ein Regelwerk zu schaffen, dass das unterbindet, und die prekäre Lage endlich zu beenden. Packen wir es an!

(Beifall SPD)

Ich bin bei meinem Kollegen der FDP: Es braucht hier keine Lippenbekenntnisse, sondern echte Lösungen. Wir haben einen Vorschlag. Gehen Sie einfach mit, lösen Sie das Problem mit uns! Dann kann das Ganze auf den Weg gehen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Bernd Heinemann.

(Wolfgang Baasch)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bisher ging es um das Wohl der Tiere, es ging um das Schnitzel für 2 €, es ging um Dumpinglöhne für Osteuropäer, und es ging um unmenschliches Wohnen. Meine Damen und Herren, jetzt geht es um uns alle, es geht um unsere Gesundheit und die Gefahr, dass ganze Landkreise zu Hotspots der Coronakrise werden. Wir sind es dann, die am Ende länger auf den Restaurantbesuch warten müssen, wir sind es, die die gesundheitlichen Konsequenzen zu tragen haben, wir alle.

Richtig ist, was CDU-NRW-Gesundheitsminister Laumann Anfang des Jahres festgestellt hat, als er den Skandal offen aufgeblättert hat: Lohnabzüge, mangelnder Arbeitsschutz, unwürdige Unterkünfte und verwirrende Firmenstrukturen. Das hat er wunderbar benannt. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hat hinzugefügt, dass die Menschen rücksichtslos ausgenutzt werden, hat angeprangert, dass die Verantwortung auf die Subunternehmer verschoben wird. Corona zeigt uns das traurige Ergebnis des Fleischpreisdrucks.

Der Fleischpreisdruck, der durch Corona jetzt noch einmal offen wird, macht deutlich, dass jeder Fleischzerleger die Berufskrankheit Corona anerkannt bekommen muss, weil er sie bekommt, weil die Umstände ihn dazu bringen. Das System Fleischindustrie - um es gesundheitspolitisch auszudrücken - ist krank. Schluss damit! Es kann nicht sein, dass osteuropäische Sklaven unsere Grillfeste finanzieren!

Meine Damen und Herren, stimmen Sie unseren Anträgen zu! - Vielen Dank.