Protokoll der Sitzung vom 24.09.2020

deren Dingen, das ist einer der schlimmsten Vorgänge überhaupt, die man sich vorstellen kann.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Einheit ist möglich - dies auch aktuell zu Europa -: Man muss das nur wollen. Wenn man eine Einheit will, dann kann man diese auch bekommen. Dies wäre vielleicht auch für Europa ein Maßstab, sich daran zu orientieren.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wer sich an die damalige Zeit erinnert, der kommt auch nicht umhin, Amerika dafür zu danken, dass man uns die Einheit ermöglicht hat. Dies ist vom Kollegen Vogt richtig gesagt worden.

Und ich möchte den Dank ausdrücklich erweitern auf die Bürgerrechtler, die sich über Jahre engagiert haben. Das kam doch nicht über Nacht; das begann Anfang der 80er-Jahre in den Kirchen. Und es war doch kein Zufall, dass nach meiner Kenntnis auf Geheiß von Michail Gorbatschow in Moskau Krenz im November des Jahres 1989 abgelöst worden ist, um eben besonneneren Kräften - es mag vielleicht den einen oder anderen überraschen, dass ich dies für SED-Kräfte sage - den Weg des Überganges zu möglichen.

Die Behutsamkeit, mit der diese Einheit erreicht wurde, an der Spitze mit Helmut Kohl mit seinem Zehnpunkteplan, mit seiner Rede vor der Frauenkirche, das war Geschichte, die uns geholfen hat. Ich schließe ganz selbstverständlich auch die Entspannungspolitik und die Leistung von Willy Brandt mit ein. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall im ganzen Haus)

Meine Damen und Herren! Es ist nicht alles großartig geworden, aber es hat sich wirtschaftlich durchaus einiges gut entwickelt. Die Stasi hatte damals ja festgehalten, wie groß die Schäden in der Wirtschaft waren. Und wenn ich mir jetzt die Situation anschaue - und ich sehe sie mir häufiger an -, dann kann ich nur sagen: Diesen wirtschaftlichen Weg, der dort gegangen worden ist, müssen wir weiter unterstützen und fördern. Insofern sind wir weiterhin auf einem guten Weg.

Zwei Gedanken, Frau Präsidentin, gestatten Sie mir bitte noch, weil sie mir einfach wichtig sind:

Wir müssen auch den Respekt gegenüber den Bürgern der DDR äußern. Bei dem, was ich jetzt sagen werde, geht es mir nicht um Politik. Wir müssen ihnen danken für ihre Identität, dafür, wie sie ihre

DDR erlebt haben. Ich sage es einmal ganz simpel. Das beginnt beim Camping, geht über das Gemeinschaftsleben, wie ihre Kinder betreut wurden, und geht bis hin zum Lebensgefühl. Auch das gehört dazu, die Einheit innerlich zu vollenden, weil das vielen, mit denen ich im Gespräch bin, wichtig ist.

Wir müssen sie mit in den Arm nehmen und müssen gemeinsam diesen Weg gehen. Ich kann nur sagen: Danke schön für die jetzt vorliegende Resolution zur Einheit. Das ist eine würdige Resolution zu diesem Tag. Ich schließe in diesen Dank selbstverständlich auch den Herrn Oppositionsführer Dr. Stegner für seine Ausführungen mit ein. - Danke schön.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in dieser Debatte noch gern sagen: Das kann jetzt keine Stunde von Rechthaberei sein; denn ich gehöre zu den Menschen, die leidenschaftliche Debatten im Parlament schätzen. Auch das ist eine Stärke unserer Demokratie.

Ich würde aber gern noch ein paar Feststellungen treffen. Die eine ist, dass die Einheit in doppeltem Sinne ein besonderes Glück ist. Die Spaltung war das Ergebnis von einem Angriffskrieg, den die deutsche Diktatur ausgelöst hat, obwohl manche in diesem Haus noch nicht begriffen haben, dass das so war.

Deswegen ist es auch wichtig, daran zu erinnern, dass die Völkerfamilie bereit war, dieses Deutschland wieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen und es auch zuzulassen, dass die Einheit stattgefunden hat. Das wäre nicht zustande gekommen ohne die Hilfe derjenigen, die wir im letzten Jahrhundert angegriffen haben. - Das ist der eine Punkt.

Der zweite Punkt: Mein Vater kommt aus Thüringen; deshalb habe ich durchaus auch familiäre Bindungen in dieser Frage. Aber als jemand, der Geschichte studiert hat, muss ich sagen: Wenn man die deutsche Geschichte betrachtet, dann ist das Großartige daran, dass das friedlich und ohne Blutvergießen gegangen ist. So etwas hat es nämlich in der deutschen Geschichte nicht oft gegeben. Darauf sollten wir stolz sein, und darüber sollten wir uns

(Werner Kalinka)

freuen. Da liegt auch eine Chance für Europa, dass das geht: friedlich und ohne Blutvergießen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Dritte, das ich gern feststellen möchte, ist, und das zeigen vor allem die Beiträge von dort drüben: Zu unserer Ordnung gehört auch, dass wir Meinungsfreiheit haben. Das ist das, was unser System von anderen Systemen unterscheidet, was bei den Systemen, die sie zu verantworten hätten, nicht der Fall gewesen wäre. Meinungsfreiheit heißt doch eben auch, dass man unterschiedliche Auffassungen haben kann. Das ist doch völlig legitim. Für die Freude gibt es viele Gründe. Es gibt Gründe, Probleme anzusprechen. Die Menschen erleben nun einmal unterschiedliche Dinge während ihrer Lebenszeit. Das alles ist festgestellt worden. Aber dass wir darüber hier im Parlament so reden können, dass wir insgesamt in einer Situation sind, in der es uns sehr viel besser geht als vielen Generationen vor uns, das ist ein großes Glück.

Das Glück wäre noch größer, wenn diejenigen, die die Demokratie nicht begriffen haben, aus dem Parlament wieder herausgewählt werden würden. Dann kommen wir nämlich wieder auf einen Punkt zusammen.

Damit bin ich bei dem, was wir gemeinsam formuliert haben. Das ist nämlich ein Teil der Stärke dessen, was wir können und eine würdige Erinnerung an 30 Jahre Deutsche Einheit. Wenn damit bei uns noch ein bisschen Demut verbunden wäre, nämlich festzustellen, dass es manche bedeutend schwerer hatten als wir selbst, dann ist auch das ein guter Ertrag dieses Antrages. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Jörg Hansen.

(Unruhe)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder hat seine persönliche Geschichte und seine persönlichen Erlebnisse. Ich möchte ein Erlebnis aus dem August 1989 ansprechen, das mich besonders bewegt hat und für mich unmittelbar mit der Deutschen Einheit zusammenhängt.

Ich war mit einer Basketballmannschaft auf dem Weg nach Budapest. In diesem Zeitraum hat Ungarn die Grenze nach Österreich geöffnet. Das haben wir nur am Rande erfahren, obwohl ich damals schon in Lübeck wohnte. Das war für mich eher eine Randnotiz. Bedeutsam wurde es für mich deswegen, weil uns auf dem Weg nach Budapest Unmengen von Trabbis entgegenkamen. Das ist nur ein Teil der Geschichte. Da wurden wir aufmerksam und fragten uns: Was passiert hier? Es war nicht nur in der DDR ein Umbruch erkennbar, sondern auch an den Grenzen. Die Menschen drängten in die Freiheit.

Das kleine Ungarn spielt für mich eine bedeutsame Rolle. In einem Gespräch mit einem Studenten habe ich ihm gesagt: „Das ist ja unheimlich mutig, was ihr macht; ihr brecht quasi aus eurem Konstrukt aus.“ Da sagte er: „Ja, das ist der erste Schritt. Wir wollen, dass jetzt auch die Deutschen zusammenkommen. Das ist unser Ziel als Ungarn.“

Die Rolle Ungarns wird manchmal vergessen. Es ist mir sehr wichtig, daran zu erinnern, dass der jungen ungarischen Generation bewusst war, dass tatsächlich etwas auf dem Weg ist. Für mich ist die Deutsche Einheit auch ein europäisches Projekt. Wir müssen nicht nur den Deutschen in der DDR sehr dankbar sein, sondern allen Partnern und allen Ländern, die uns dabei unterstützt und ermöglicht haben, die Deutsche Einheit konstruktiv und mit einem großen Bewusstsein friedlich zu erreichen.

(Beifall im ganzen Haus)

Das ist die wichtigste Erkenntnis bei diesem gesamten Projekt.

Lieber Lars, ich bin gebürtiger Flensburger, habe die gute Nachbarschaft zu Dänemark kennengelernt und bin dann nach Eichholz in Lübeck umgezogen. Da habe ich jeden Monat mindestens eine Maschinengewehrsalve vom Grenzübergang oder Grenzstreifen miterlebt. Ich habe die Nachbarschaft zu beiden Ländern miterlebt.

Wir sollten diesen Tag - wie gesagt - als Tag des Dankes feiern und bewahren. Ich bedanke mich persönlich für diesen Antrag und freue mich auf den 3. Oktober 2020. - Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall im ganzen Haus)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Abgeordnete Kerstin Metzner das Wort.

(Dr. Ralf Stegner)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wollen ja Zeitzeugen befragen. Ich habe die Hälfte meines Lebens in der DDR gelebt, die andere Hälfte in Schleswig-Holstein. Einige kommen hier immer auf 1989 zu sprechen; es geht aber um den 3. Oktober 1990.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon eine Bewerbung laufen; ich wollte in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung eine Beamtenausbildung anfangen. Es gab schon den Einigungsvertrag, und es war bekannt, welche Strukturen aufgelöst werden sollten. Im August 1990 gab es in meiner Heimatstadt eine Ausschreibung, dass Beamtenanwärter in Westdeutschland ausgebildet werden sollten.

Ich wurde bei meinem Bewerbungsgespräch in Bonn nach dem 3. Oktober 1990 gefragt, in welchen Bereichen ich ausgebildet werden möchte. Da habe ich gesagt: Ich war noch nie im Westen; ich vermute, in Schleswig-Holstein oder MecklenburgVorpommern gibt es eine größere Einheit; wenn, dann Schleswig-Holstein. Diese Entscheidung habe ich nie bereut. Ich habe menschliche Nähe zwischen Mecklenburg und Schleswig-Holstein erfahren.

Was habe ich nach dem 3. Oktober 1990 in meiner Heimatstadt erfahren, was habe ich von meinen Eltern erfahren? Frau Röttger, Sie haben hervorgehoben, dass Sie Land in Mecklenburg-Vorpommern haben. Was denken Sie, was wir als MecklenburgVorpommerner darüber gedacht haben? - Wir jungen Frauen haben plötzlich keine Chance mehr bekommen. Ich habe in Wismar zu hören bekommen, dass eine Mutter mit drei Kindern, die es gewohnt war, zur Arbeit zu gehen, die das nicht infrage gestellt hat, aus ihrem Job gedrängt und durch einen Alkoholiker ersetzt wurde. Wir Frauen wurden plötzlich abgewertet. Wir sind dann nach Schleswig-Holstein oder sonst wo hingegangen und haben unsere Chancen genutzt.

Ich habe die Ausbildung gemacht, als Ingenieurin hier gut Fuß gefasst und wurde gut eingesetzt. Relativ schnell habe ich in einem Ingenieurverband erst den Bezirksvorsitz, dann den Bundesvorsitz innegehabt, und ich wurde immer wieder gewählt - als Frau in einem Ingenieurverband, in dem nur 5 % Frauen waren. Ich habe gemerkt, dass das, was ich mitbringe, etwas wert ist. Genau dieses Gefühl wünsche ich vielen Ostdeutschen. Ich wünsche ihnen, dass sie nicht infrage gestellt, sondern anerkannt werden.

Hier wurde schon gesagt, dass es in den westdeutschen Bundesländern viel zu wenig Führungskräfte aus Ostdeutschland gibt. Ich würde vielen wünschen, dass sie so eine Chance bekommen wie ich. Ich darf heute als Abgeordnete des Schleswig-Holstein Landtags mit einem Mecklenburger Hintergrund zu Ihnen sprechen und sagen: Diese 30 Jahre haben uns Chancen gegeben, aber wir müssen auch daran denken, dass viele auf der Strecke geblieben sind. Ich wünsche vielen, dass sie wirklich anerkannt werden und sich nicht immer wieder für irgendetwas entschuldigen müssen.

(Beifall im ganzen Haus)

Frau Abgeordnete!

Und es sind nicht alle auf der Mauer gewesen. 17 Millionen Menschen sind ihrer Arbeit nachgegangen. Auch diese Menschen haben Anerkennung und Würdigung verdient. - Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Tobias von der Heide.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe der Debatte aufmerksam zugehört und möchte auch diesen historischen Moment würdigen. Für mich war das meine erste politische Erinnerung, als damals die Mauer fiel. Ich meine, mich daran zu erinnern, dass meine Mutter in der Küche saß und weinte. Als ich als kleiner Junge nicht verstand, was überhaupt passiert war, berichtete mir meine Mutter, das seien Tränen der Freude. Das ist meine erste politische Erinnerung.