Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir, dass unsere heutige Debatte im Parlament dazu beiträgt, Menschen für die Grundbildungsangebote zu gewinnen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Antrag. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kolb. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat nun Barbara Spaniol von der Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Schon vor einigen Jahren las ich die Geschichte eines Kurierfahrers, die mich damals sehr bewegt hat. Dazu würde ich hier gerne etwas sagen: Der gute Mann fuhr jahrelang in jeder Nacht bei Wind und Wetter äußerst zuverlässig die gleiche Tour zu insgesamt acht Kunden. Er hatte in seinem Fahrzeug acht Boxen, die beschriftet waren, aber auch unterschiedliche Farben hatten. Für jeden Kunden gab es eine Box. Eines Tages hat sein Chef neue Boxen angeschafft, diese sahen alle völlig gleich aus, waren aber natürlich weiterhin beschriftet. Aber äußerlich waren sie eben nicht mehr zu unterscheiden, und es kam, wie es kommen musste: Alle Kunden erhielten falsche Kisten. Am nächsten Abend hat der Chef seinen Mitarbeiter angebrüllt: Wie konnte das passieren, kannst du denn nicht lesen? - Und die ehrliche Antwort war: Nein. - Die Geschichte nahm zum Glück ein gutes Ende, denn die acht einfarbigen Boxen wurden fortan durch farbige Behälter ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt, wie beschämend das sein kann, dieses, man muss schon fast sagen, Leben im Abseits, weil man nicht lesen und schreiben kann. Wir alle wissen um dieses Problem. Deshalb begrüßen wir diese Debatte, und wir begrüßen auch die Bildungskampagne, die im Hintergrund steht. Das sind schon die richtigen Schritte und die richtigen Ansätze, um endlich etwas für die Betroffenen zu tun. Dieser Antrag steht ja auch im Kontext einer nationalen Strategie zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. In allen Bundesländern wird zu Recht diese Debatte geführt, überall kommt es zu einschlägigen Aktivitäten.
Wie gesagt: Die Teilhabe am alltäglichen Leben ist für denjenigen, der nicht lesen und schreiben kann, extrem eingeschränkt. Er findet schwerer Arbeit, er hat damit weniger Einkommen, er kann zum Beispiel aber auch in der Familie mit den eigenen Kindern nicht lernen. Das ist schon dramatisch, denn das mündet oft in eine Abwärtsspirale letztlich für die gesamte Familie. Daraus kann eine schwierige Situation entstehen, wenn hier nicht gegengesteuert wird.
Ich glaube, es genügt nicht, immer nur über die Symptome zu sprechen und auch nur die Symptome bekämpfen zu wollen. Im weiterführenden Bildungsbereich wird ja sehr vieles gemacht, sehr vieles gut gemacht, sehr vieles auch mit großem Engagement umgesetzt. Vieles gleicht aber auch hierbei leider nur einem Reparaturbetrieb, weil die grundlegenden Weichenstellungen in Richtung einer Verbesserung fehlen beziehungsweise weil die Weichen falsch ge
stellt wurden. Viele Ursachen für das Problem finden sich nämlich schon in der Schule und in der sozialen Absicherung von Menschen. Das heißt also, dass die Rahmenbedingungen wichtig und entscheidend sind und eben auch vielfach verbesserungsbedürftig sind.
Ich erwähne dazu nur einige Punkte, die wir ja in jeder Bildungsdebatte in diesem Hause immer wieder nennen, über die wir hier immer wieder diskutieren: Wir brauchen in ausreichender Zahl gut ausgebildetes pädagogisches Personal, und zwar auf allen Bildungsebenen, beginnend bei der Kita. Wir brauchen mehr Ganztagsbetreuung, die Kollegin Kolb hat es schon angesprochen. Damit sich die Diagnosefähigkeit der Lehrer auch entfalten kann, muss es zu kleineren Klassen kommen, und dafür braucht man wiederum mehr Lehrer, mehr Ressourcen im Bereich auch der Inklusion. Ich möchte nun nicht alle Aspekte aufzählen, aber hierbei sind natürlich Rahmenbedingungen angesprochen, zu denen wir endlich kommen müssen. Deshalb ist auch in diesem Antrag zu Recht erwähnt, dass das Thema der Alphabetisierung in der Aus- und Fortbildung der Lehrer stärker verankert werden muss. Das ist der richtige Ansatz; das Stichwort „Diagnosefähigkeit“ habe ich eben schon erwähnt.
Es sind aber auch noch sehr viel mehr niedrigschwellige Angebote erforderlich. Insoweit stellt sich eine Hürde, die überwunden werden muss: Die Menschen müssen sich eben auch trauen zu sagen: „Okay, ich mache das jetzt, damit kann ich dieses Problem lösen.“
Die Probleme sind hinlänglich und schon sehr lange bekannt. Nun gefundene Lösungen dürfen nicht kurzfristig angelegt und kurzsichtig sein, sie müssen vielmehr nachhaltig angelegt sein. Wie Frau Kolb eben richtig sagte: Es ist schlimm, immer noch verlassen viel zu viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss, immer noch werden viel zu viele Kinder aus Migrantenfamilien nicht nur sprachlich zurückgelassen. Das muss sich dringend ändern. Dafür ist diese Art der Debatte sehr wichtig. Ich begrüße das sehr, und wir werden diesem Antrag natürlich zustimmen. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine lieben Damen und Herren Abgeordneten, viele Dinge, die für uns im Alltag selbstverständlich sind, sind für viele Menschen, nämlich für funktionale Analphabeten und für
Sie haben, wenn sie mit dem Bus oder der Bahn unterwegs sind, Probleme damit, die Fahrpläne zu lesen. Sie können den Beipackzettel von Medikamenten nicht lesen, was oftmals wichtig wäre. Sie leben in der ständigen Angst, bei einem Vertragsschluss über den Tisch gezogen zu werden, da sie nicht wissen, was im Vertrag tatsächlich drinsteht; sie müssen sich dabei komplett auf ihr Gegenüber verlassen. Oftmals trauen sie sich, es wurde eben schon angesprochen, aus Scham auch nicht, eine zweite Person ins Vertrauen zu ziehen, die einen Vertrag noch einmal durchgehen könnte. Nur in den seltensten Fällen können die Betroffenen den Führerschein machen, da sie ja die Fragestellungen bei der Führerscheinprüfung nicht lesen können oder im Vorfeld schon die Theorie nicht lernen können. Sie können auf einem Amt nicht selbstständig Anträge und Formulare ausfüllen. Gerade auch viele Analphabeten haben keinen Beruf, dem sie nachgehen können. Sofern sie einen Beruf haben, sind sie oftmals, es wurde von meinen Vorrednern bereits angesprochen, im Niedriglohnsektor beschäftigt und erhalten einen Lohn, der gerade so oder schon nicht mehr zum Leben reicht. Sie befinden sich in einem Teufelskreis, denn oft werden sie auch von Beamten oder potenziellen Arbeitgebern, die nichts von ihrem Leid wissen, als dumm abgetan, teilweise sogar als faul, oder es wird ihnen unterstellt, dass sie sich absichtlich dumm anstellen.
Wer nun aber denkt, ich würde von einem kleinen Teil der Gesellschaft sprechen, einem ganz kleinen Teil der Gesellschaft, den man kaum wahrnimmt, irrt sich. Laut der leo.-Studie von Prof. Dr. Anke Grotlüschen leiden etwa 14,5 Prozent der Menschen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren an funktionalem Analphabetismus; auf das Saarland entfallen dabei geschätzt 90.000 Menschen. Dieses Ausmaß muss man sich einmal vorstellen, meine Damen und Herren!
Viele der Betroffenen haben keinen oder nur einen niedrigen Bildungsabschluss erreicht, nur einige, lediglich 12 Prozent der Betroffenen, haben einen höheren Bildungsabschluss erreicht. Was uns aber zu denken geben sollte, ist, dass solche Menschen, die nicht lesen und schreiben können, das Abitur bestehen und der funktionale Analphabetismus zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal aufgefallen ist und dem nicht entgegengewirkt wurde. Diese Personen stammen häufig aus bildungsfernen Elternhäusern, in denen wenig gelesen wird, so dass die in der Schule erworbene Lesekompetenz nicht gefestigt, sondern sehr schnell wieder vergessen wird. Es beginnt ein Teufelskreis unter dem oftmals die folgende Generation leidet. Eltern, die keine zusammenhängenden Texte lesen und verfassen können, können ihren
Kindern in der Schule oftmals nicht helfen, wodurch diese ebenfalls nicht ausreichend sprachlich gefördert werden. Die Abwärtsspirale dreht sich weiter. Es ist eine wichtige Aufgabe der Gesellschaft, diese Menschen nicht im Stich zu lassen.
Gerade in Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels, wie wir heute Morgen schon in der Regierungserklärung gehört haben, brauchen wir diese Menschen. Es muss alles Mögliche unternommen werden, diese Menschen nachzuqualifizieren und zu alphabetisieren.
Sie sind keineswegs dumm oder unqualifiziert, nein, sie sind hoch talentiert, hoch intelligent, nur eben in anderen Bereichen. Hier greifen die Bildungszentren an einem wichtigen Punkt ein. Die Teilnahme von Erwachsenen am lebenslangen Lernen ist immer wichtiger. Die sechs, bald sieben, Grundbildungszentren alphabetisieren Erwachsene nach und ermöglichen diesen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, mehr Teilhabe an der Gesellschaft und durch die neu gewonnene Selbstständigkeit auch ein Plus an Lebensqualität.
Der Artikel von Samstag in der Saarbrücker Zeitung wurde von meinen Vorrednern bereits angesprochen. Da war deutlich zu lesen, wie eine funktionale Analphabetin sich ins Leben zurückkämpft, wie sie Wort für Wort an sich selbst arbeitet. Sie beschreibt sehr emotional, was es für sie selbst und vor allem für ihre Kinder, für ihre ganze Familie bedeutet, dass sie sich so in die Gesellschaft zurückkämpft.
Es nehmen jedoch noch zu wenige Menschen die Angebote des Grundbildungspaktes Saar an. Nur 500 der rund 9.000 betroffenen Menschen im Saarland nehmen derzeit an den Förderprogrammen teil. Es ist aber auch wahnsinnig schwer, diese Menschen zu erreichen. Das hat oft mit dem Schamgefühl der Betroffenen zu tun. Niemand sagt gerne, dass er im Erwachsenenalter nicht lesen und schreiben kann. Ein weiterer Grund ist natürlich auch, dass gerade diese Menschen mit den üblichen Methoden der Öffentlichkeitsarbeit kaum erreicht werden. Wenn anderswo Flyer entwickelt und verteilt werden, müssen in diesem Bereich Postkarten und Plakate mit wenig Text erarbeitet werden. Vielleicht erinnern Sie sich noch, es gab vor einigen Jahren die Kampagne im Fernsehen „Schreib dich nicht ab lern lesen und schreiben“. Über solche öffentlichkeitswirksame Maßnahmen sind Analphabeten meistens zu erreichen. Es wurde allerdings aus der Antwort zu einer Anfrage der PIRATEN im vergangenen Jahr ersichtlich, dass sehr viel Informationsmaterial gerade für Mitwisser, Arbeitgeber, Familienmitglieder und Freunde erarbeitet wird. Es kommt leider auch vor, dass es nicht viele Mitwisser gibt. Es ist
Viel wichtiger als die Alphabetisierungsmaßnahmen ist, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Den Schulen und beruflichen Einrichtungen kommt mehr denn je die Aufgabe der Prävention zu. Es ist die Aufgabe des Schulsystems, insbesondere der Grundschule, Kindern lesen und schreiben beizubringen. Dabei muss ein besonderes Augenmerk auf den Kindern liegen, die vom Elternhaus aus nicht mit den besten Startvoraussetzungen in den Erwerb der Schriftsprache gehen. Insbesondere die Kinder aus Familien mit einer Schreibe- und Leseschwäche sind gefährdet.
Jeder in diesem Bereich investierte Euro erspart den Betroffenen viel Scham und dem Land später hohe Folgekosten. Wir fordern daher kleinere Klassen und bessere Fördermöglichkeiten bereits in den Grundschulen. Gerade da passt es eigentlich nicht, dass rund 600 freigewordene Lehrerstellen nicht neu besetzt werden. Diese wegfallenden Stellen sind wichtig, um diesen Problemen entgegenzuwirken. Denn nur durch kleinere Klassen in allen Schulformen fallen Kinder mit einer deutlichen Lese- und Rechtschreibschwäche überhaupt auf und können optimal gefördert werden. Dann kommt es nicht mehr dazu, dass so viele Schüler mit einem höheren Bildungsabschluss nicht richtig lesen und schreiben können.
Das Thema Analphabetismus - ich glaube, das wurde noch gar nicht oder nur am Rande angesprochen - muss eine größere Bedeutung in den Lehrplänen des Lehramtsstudiums haben. Der Beschluss 7 der Kultusministerkonferenz von 2013 befasst sich unter anderem damit, der Minister wird bestimmt gleich darauf eingehen. Das Thema Alphabetisierung ist im Modul „Deutsch als Zweitsprache“ für alle Lehramtsstudiengänge als Wahlpflichtmodul mit 90 Regelstunden ausgewiesen, jedoch nur im Lehramtsstudiengang Deutsch obligatorisch, wie aus der Antwort zu unserer Anfrage von 2013 hervorgeht. Wir PIRATEN fordern, dass das Thema Alphabetisierung stärker in der Lehreraus- und Weiterbildung verankert wird, wie dem Antrag zu entnehmen ist.
Die Uhr blinkt schon, ich komme zum Schluss. - Allgemein stimmen wir den Forderungen zu, die im Antrag der Großen Koalition stehen, denn es ist einfach eine wichtige Aufgabe, diese Menschen mitzunehmen, sie in der Gesellschaft zu verankern, Ihnen zu helfen, sich weiter zu integrieren, damit sie vollwertiger Teil der Gesellschaft sind und sich nicht aus Scham zurückziehen. Wir werden dem Antrag zustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. - Das Wort hat nun der Abgeordnete Bernd Wegner von der CDU-Landtagsfraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bei meinen drei Vorrednern bereits deutlich geworden, dass wir uns in Bezug auf die Alphabetisierung und die Grundbildung in einem Gleichklang bewegen. Die bereits angesprochene leo.-Studie hat deutlich gemacht, dass 7,5 Millionen Menschen davon betroffen sind. Ich muss ganz ehrlich sagen, als ich das 2011 gelesen und gehört habe, war ich davon echt überrascht. Ich wusste nicht, dass man bereits 4 Millionen geschätzt hatte. Die Erkenntnis, dass es aber fast doppelt so viele sind, hat mich schon geschockt. Wenn man noch einen draufsetzen will, kann man hinzufügen, dass fehlerhaftes Schreiben auch bei gebräuchlichen Worten laut der Studie rund 21 Millionen Menschen in Deutschland beziehungsweise knapp 40 Prozent der Erwerbstätigen betrifft. Das wirft ein noch viel drastischeres Licht auf das Problem.
Wir reden über funktionale Analphabeten. Ich glaube, dass es der richtige Weg ist, einen Grundbildungspakt Saar einzurichten, der am 19. Februar 2013 vom Bildungsminister auf den Weg gebracht wurde. Wir haben erreicht - die Kollegin hat es bereits gesagt -, dass alle, die mit diesen Menschen in Kontakt kommen, Kommunen, Arbeitgeberverbände, Kammern, Gewerkschaften, Arbeitsagenturen, Weiterbildungsträger, Kirchen, Bibliotheken und natürlich auch die Volkshochschulen, in diesem Pakt zusammenarbeiten, um eine Verbesserung hinzubekommen.
Ich darf das bekräftigen, was die Kollegin Maurer eben gesagt hat: Ich glaube, dass wir uns in einem Bereich bewegen, der mit sehr viel Schamgefühl besetzt ist. Ich persönlich kenne in meinem Umfeld eigentlich niemanden, den ich in eine dieser Gruppierungen einordnen könnte und von dem ich wüsste, dass er nur schlecht lesen kann oder zu dieser eingeschränkten Gruppe gehört. Bei der Anzahl, über die wir reden - 90.000 Menschen im Saarland -, glaube ich schon, dass ich ganz viele solcher Leute kenne, ohne es zu wissen. Das heißt also, niemand lässt sich in die Karten schauen, niemand lässt das nach außen dringen. Von daher ist es außerordentlich schwierig, an Menschen heranzukommen, sie für diese Weiterbildung zu gewinnen und zu begeistern. Deshalb ist es einfach notwendig, diesen Weg zu gehen, mit den Kammern und den Arbeitgeberverbänden in den Firmen Kontakt mit den Leuten aufzunehmen, damit sie möglichst niedrigschwellig zu diesen Hilfen kommen.
Lassen Sie mich noch deutlich machen, wie diese 7,5 Millionen Menschen strukturiert sind. Wir reden hier über 60 Prozent Männer und 40 Prozent Frauen. Von diesen 7,5 Millionen sind 58 Prozent deutschsprachig, das heißt, wir haben 42 Prozent mit Migrationshintergrund, die die deutsche Sprache nicht beherrschen und von daher sowieso Schwierigkeiten mit dem Lesen und Aufnehmen der deutschen Sprache in unserem Land haben. Wir reden über 57 Prozent Erwerbstätige, das heißt - die Kollegin Spaniol hat eben über diesen Fahrer berichtet -, es gibt 57 Prozent von diesen 7,5 Millionen, die sich in irgendeinem Job durchhangeln und versuchen klarzukommen.
Das sind natürlich Menschen, die ständig in der Gefahr sind, in die Arbeitslosigkeit abzudriften oder in einen Bereich, wo sie sich nicht mehr selbst versorgen können. Wir reden über 17 Prozent Arbeitslose, die geradezu Anwärter auf Langzeitarbeitslosigkeit sind, wenn es nicht gelingt, sie aus dieser Spirale herauszubekommen. Von daher sind die Agenturen gefordert, sind durchaus individuelle Kontakte gefordert, damit dieses Problem erkannt wird und Schamgefühl, Anonymität überwunden wird, damit wir vorankommen.
Es war richtig, im letzten Jahr im Haushalt für diesen Bereich Geld auszuweisen, einfach eine Strategie mit den nötigen finanziellen Mitteln zu unterfüttern und den Weg zu beschreiten, dieses Problem einzudämmen. Ich stimme all meinen Vorrednern zu, die sagen, wir müssen alles im Bildungssystem tun, damit wir das in Zukunft verhindern, damit es nicht mehr so viele Schulabgänger ohne einen Hauptschulabschluss gibt, ohne einen Abschluss insgesamt, und welche, die sich durchmogeln, ohne dass diese Defizite erkannt werden.
Ich glaube, dass wir mit diesem Grundbildungspakt Saar damit auf dem richtigen Weg sind und dass wir mit dieser Debatte heute den richtigen Ansatz finden, um in der Gesellschaft das Augenmerk auf die richtige Seite zu lenken. Ich hoffe, dass wir mit diesem Antrag überall Zustimmung finden und mit diesem Problem ein Stück weiterkommen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter. - Das Wort hat der Abgeordnete Klaus Kessler von der Fraktion der GRÜNEN.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein Thema, das sich quer durch die gesamte Gesellschaft zieht und damit auch zahlrei
che Menschen im erwerbsfähigen Alter betrifft. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben die Situation ausführlich dargestellt. Dem kann ich voll beipflichten. Insofern habe ich an dieser Stelle wenig hinzuzufügen.
Ich bin der Meinung, es ist wichtig, dass von diesem Landtag mit dem Antrag, dem wir natürlich zustimmen werden, heute ein gemeinsames Signal in die Öffentlichkeit gesandt wird, dass wir in dieser Hinsicht etwas tun müssen. Es sagt sich in der Bildungsdebatte immer leicht, wir wollen kein Kind und keinen Jugendlichen zurücklassen, aber das muss natürlich auch für Erwachsene gelten. An dieser Stelle sind wir in der Regel auch bei Erwachsenen, denen Grundkenntnisse des Lesens und Schreibens fehlen.
Ich nenne noch einmal die Definition nicht des Analphabetismus, sondern des funktionalen Analphabetismus. Das sind Erwachsene, die nicht über die notwendigen schriftsprachlichen Kompetenzen verfügen, die minimal vorausgesetzt werden, um den beruflichen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. In der Praxis sieht das so aus, dass diese Personen zwar einzelne Sätze lesen und schreiben können, aber überhaupt keine zusammenhängenden Texte erkennen und lesen können.
Insofern ist das ein Thema, das uns alle vom Grundsatz her betroffen machen muss, weil wir doch wissen, dass heruntergebrochen auf das Saarland - in der leo.-Studie ist die Rede von 7,5 Millionen Menschen - in etwa, die Zahl ist erschreckend, 90.000 Menschen davon betroffen sind, denen wir helfen müssen. Viele dieser Betroffenen haben die Schule verlassen, kommen aber in einen Teufelskreis aus einerseits schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, wegen eines schlechten Abschlusses oder weil sie überhaupt keinen Abschluss haben, und andererseits sehr geringen Möglichkeiten, sich nachzuqualifizieren. Oder - das ist ein Riesenproblem - sie schämen sich ihrer Situation und kommen insofern aus diesem Kreis nicht heraus.
Diese Erkenntnisse sind allerdings nicht ganz neu. Die leo.-Studie stammt aus dem Jahre 2011. Bereits 2011, also in der letzten Legislaturperiode, wurde zusammen mit den Volkshochschulen und der katholischen Erwachsenenbildung eine Kampagne unter dem Stichwort „Ich will lernen“ gegen Analphabetismus in diesem Land gestartet. Der jetzige Grundbildungspakt mit der Vereinbarung über die gemeinsame Strategie zur Alphabetisierung ist die Weiterentwicklung dieses Grundbildungspaktes und wird selbstverständlich von uns begrüßt, insbesondere im Hinblick auf die Fort- und Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer.