Ihre Äußerungen, die in der „Bild“-Zeitung vom 8. November 2008 unter der fassungslosen Überschrift „Tillich will mehr Polen reinholen!“ vermeldet wurden, sind ein Skandal der Sonderklasse. Die derzeitige Krise zeigt ohnehin schon, dass die schwarz-rote Koalition es auf sträflichste Weise versäumt hat, die sächsische Wirtschaft krisenfest zu machen, da die weltmarktorientierten Leuchttürme in der Krise verlöschen und es keine starke Binnenwirtschaft gibt, die diese Ausfälle auffangen könnte. Anscheinend, meine Damen und Herren, soll dieses Zerstörungswerk jetzt auch noch mit einer ungeregelten Öffnung des Arbeitsmarktes gekrönt werden.
Ich kann Ihnen jetzt schon den scharfen Widerstand der NPD gegen diese Pläne ankündigen. Näheres von meinem Kollegen Gansel in der zweiten Runde.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor dem Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit brauchen sich die sächsischen Bürger nicht zu fürchten. Ihre Horrorszenarien werden gottlob nicht eintreten.
Wir stehen zu einem auch für uns existenziell notwendigen Europa ohne Schranken. Wir werden Ihren Antrag ablehnen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das wirklich Einzige, was man zu dieser Debatte sagen kann, ist, dass sie der interessierten Öffentlichkeit noch einmal anschaulich die Ausländerfeindlichkeit und den chauvinistischen Charakter der NPD vor Augen führt.
(Beifall bei der Linksfraktion, der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: Weil wir unsere Arbeitnehmer schützen wollen!)
Herr Gansel, das gibt mir in der Tat noch einmal die Gelegenheit, die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Ihrer und unserer Arbeitnehmer- und Arbeitsmarktpolitik darzulegen und hier noch einmal vor Augen zu führen. Ihre Arbeitsmarktpolitik – sofern man sie in den vergangenen fünf Jahren überhaupt erkennen konnte – ist chauvinistisch, ausländerfeindlich, nationalistisch und provinziell.
Unsere linke Arbeitsmarktpolitik ist weltoffen, kosmopolitisch und international – oder mit anderen Worten: Nicht nur das nationale, sondern das internationale Proletariat ist gewissermaßen Bezugsgröße linker Politik,
Meine Damen und Herren! In Kürze: Man muss nicht viel sagen zum sinnlosen Gehalt, Inhalt bzw. Begehren dieses Antrages, zu dem ich zunächst einmal sagen muss: Es gibt aus unserer Perspektive keinerlei Zusammenhang zwischen Ausländern in Sachsen und Finanzmarkt-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftskrise, wie wir sie hier tatsächlich erleben. All das steht in keinerlei Zusammenhang mit ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es ist einfach Demagogie, Lüge und Propaganda, was von der NPD hier in dieser Art und Weise suggeriert wird.
Meine Damen und Herren! Zum Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit gehen die Ansichten, denke ich, quer durch die Fraktionen. Deshalb halte ich es für gerechtfertigt, kurz die unterschiedlichen Positionen darlegen zu können. Aus der Sicht der Linksfraktion sollte die Arbeitnehmerfreizügigkeit vollständig hergestellt werden. Wir haben das schon vor einigen Jahren im Sächsischen Landtag beantragt; denn die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat mitnichten den sächsischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern genützt. Im Gegenteil, sie hat zu Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit geführt, und das kann hier niemand wollen.
Wir haben allerdings auch ganz klar gesagt: Die Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit muss mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes verbunden werden; denn dies ist der beste Garant dafür, Lohndumping zu verhindern, und nicht der Ausschluss osteuropäischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt. Sie versuchen hier, polnischen und tschechischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Ursachen für die geringen Löhne in Sachsen in die Schuhe zu schieben, und das können wir nicht hinnehmen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie von der NPD kommen wieder einmal daher, diesmal unter dem Deckmantel von Arbeitnehmerinteressen, um Ihre Rassenideologie zu verbreiten; und Sie sind schon so weit ideologisch verbrämt, dass Sie die Fakten überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nehmen.
In Sachsen sind gerade einmal 1 % der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer Ausländer. Wo dabei angesichts dieser Lage irgendein Konkurrenzdruck von ausländischen Arbeitnehmern herkommen soll, die deutschen Arbeitnehmern ihre Arbeitsplätze wegnehmen, das müssen Sie mir erst einmal erklären.
(Beifall bei der FDP – Jürgen Gansel, NPD: Wir haben ja angeblich Arbeitskräftemangel! – Holger Apfel, NPD: Diesen Konkurrenz- druck wollen Sie selbst herstellen!)
Sie kommen hierher und machen den deutschen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen hier in Sachsen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben, zusätzliche Angst und verunsichern sie. Sie kommen her und machen hier Politik, indem Sie Menschen instrumentalisieren und sie für Ihre ideologischen Interessen benutzen. Das tragen wir nicht mit; es ist sachlich nicht gerechtfertigt. Sie müssen endlich mal versuchen, die Realität zur Kenntnis zu nehmen!
(Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN – Holger Apfel, NPD: Sie benutzen doch die Ausländer, um hier Lohndumping zu betreiben!)
Die Polen, von denen Sie den Menschen einreden wollen, dass sie nach Sachsen kämen, um Arbeitnehmern Arbeitsplätze wegzunehmen, sind längst schon in Großbritannien; und sie kommen inzwischen wieder zurück, weil es nämlich in Polen in verschiedenen Branchen Arbeitskräftemangel gibt.
Wir als FDP-Fraktion unterstützen ausdrücklich die Äußerungen von Ministerpräsident Tillich, nicht länger künstlich den deutschen Arbeitsmarkt vor dem internationalen Wettbewerb abzuschotten. Wir begrüßen auch den Sinneswandel von Ministerpräsident Tillich. Er hat im Sächsischen Landtag noch am 16. März 2006 etwas anderes gesagt. Aber wir erkennen an, dass Herr Tillich durch den Wechsel vom Umweltminister zum Ministerpräsidenten eine etwas breitere Sichtweise der Dinge gewonnen hat, und wir begrüßen die Änderung der Staatsregierung in dieser Position. Wir müssen uns dem Wettbewerb stellen, es wird zu unserem Nutzen sein.
Danke. – Die GRÜNEN bleiben dabei, keinen Beitrag halten zu wollen? – Die NPD hatte noch einen Redner benannt; Herr Gansel, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Internetseite des Wirtschaftsreferates der Stadt Nürnberg besucht, kann dort auch die Stellungnahmen des Referatsleiters Roland Fleck lesen. Ministerpräsident Tillich – auch wenn er bezeichnenderweise dieser Debatte nicht beiwohnt – ist dringend anzuraten, einmal die Pressemitteilung der Stadt Nürnberg vom 20. November dieses Jahres zu lesen. Ihr Titel lautet: „Wirtschaftsreferent Dr. Fleck weist Forde
Referatsleiter Roland Fleck wird dort mit den Worten zitiert: „Die geografische Lage des Standortes Nürnberg, seine wirtschaftliche Stärke und gute Erreichbarkeit sind Gründe für die hohe Attraktivität als Ziel künftiger Arbeitsmigranten aus mittel- und osteuropäischen Staaten. Angesichts der bereits eingetretenen Rezession und der absehbaren Verschärfung der Arbeitsmarktlage wäre eine frühzeitige Herstellung voller Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland unklug. Für die Stadt und Metropolregion Nürnberg wäre es aufgrund der räumlichen Nähe zu Mittel- und Osteuropa sogar unverantwortlich.“
Was die Stadtoberen von Nürnberg also für unverantwortlich halten, will Ministerpräsident Tillich den Sachsen aber ohne Wenn und Aber zumuten: die frühzeitige Öffnung der Einwanderungsschleusen für osteuropäische Billiglöhner und Arbeitsplatzkonkurrenten. Obwohl die Stadt Nürnberg in Sachen Wirtschaftskraft und Arbeitsmarktlage im Vergleich zu den ländlichen Regionen Sachsens noch eine „Insel der Glückseligkeit“ ist, kommt Fleck zu der klaren Einschätzung, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit deutschen Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden massiv schadet. Deshalb hat Ministerpräsident Tillich auch den wirtschaftlichen Sachverstand gegen sich, wenn er behauptet, dass die schnelle Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dem Wirtschaftsstandort Sachsen helfe.
Auch mit einer weiteren Aussage seiner Presseerklärung vom 8. November liegt der Ministerpräsident einfach nur daneben. Seine kühne Behauptung, dass der Mittelstand in den neuen Ländern dringend Fachkräfte benötige, blendet gleich mehreres aus:
Erstens blendet die Einlassung aus, dass uns im Gefolge der internationalen Finanzmarktkrise eine katastrophale Entlassungswelle bevorsteht und es schon deshalb keinen Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt mehr geben wird.
Zweitens blendet Tillich aus, dass es sich bei den osteuropäischen Arbeitseinwanderern in der großen Mehrheit gar nicht um Fachkräfte handelt, sondern um gering bis überhaupt nicht qualifizierte Arbeitskräfte, die nur einfache Tätigkeiten verrichten können.
Diese unbestrittene Tatsache, Herr Lehmann, rief der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich – nach Ihrer Philosophie vielleicht auch ein verkappter Rechtsextremist – in einer Bundestagsdebatte am 25. September dieses Jahres in Erinnerung. Hennrich argumentierte mit den Erfahrungen, die Großbritannien mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit gemacht hat, und führte aus: „Es lohnt sich, einmal die Statistiken aus Großbritannien anzuschauen. Wer ist zugewandert, und in welchen Tätigkeits
bereichen werden diese Migranten in Großbritannien eingesetzt? Fabrik- und Lagerarbeiter, Verpacker und Beschäftigte im Transportwesen: 82 %, Servicekräfte für Hotel- und Gaststättengewerbe: 11 %, Landwirtschaft: 4 %.“ Ich zitiere weiterhin den CSU-Bundestagsabgeordneten: „Das sind meines Erachtens keine Jobs, für die wir hoch Qualifizierte brauchen. Wir können diese Stellen bei uns genauso gut mit heimischen Arbeitskräften besetzen.“ – So weit also die Einschätzung des Bundestagsabgeordneten Hennrich, der noch einmal durch Fakten belegt, dass mit der sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit für Osteuropäer überhaupt nichts zu gewinnen ist, außer Verdrängungswettbewerb zulasten deutscher Arbeitsuchender.