Protokoll der Sitzung vom 13.12.2016

Deshalb müssen die Städte und Gemeinden so mit Geld ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgaben vernünftig erfüllen können. Das ist aber vielfach nicht der Fall. Nicht wenige Kommunen sind kaum oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten in der Lage, ihren Pflichtaufgaben nachzukommen, geschweige denn im Bereich der freiwilligen Selbstverwaltung gestalten zu können. Zu oft erschöpft sich die Mitbestimmung von Gemeinde- und Stadträten in der Verwaltung des Mangels und der Entscheidung über die Frage, welcher Jugendklub geschlossen, bei welcher Sozialeinrichtung gekürzt oder welcher städtische Betrieb privatisiert werden soll.

Lassen Sie mich einige Zahlen zur finanziellen Situation nennen. Die Kommunen im Freistaat Sachsen waren im

Jahr 2015 allein im Bereich der Kernhaushalte mit über 3 Milliarden Euro verschuldet. Wie der Sächsische Rechnungshof jetzt erneut bestätigt hat, verlagern viele Kommunen in ihrer Not Aufgaben in Eigenbetriebe oder stadteigene Unternehmen, die dann ihrerseits weitere Kredite aufnehmen. Wenn wir diese Kredite zu den Schulden der Kernhaushalte hinzuaddieren, kommen wir mit Stand 31. Dezember 2015 auf einen Schuldenstand der Kommunen von sage und schreibe 15,8 Milliarden Euro.

Meine Damen und Herren, diese Zahlen verdeutlichen eindrucksvoll, dass die Finanzausstattung der Kommunen unter erheblichen Defiziten leidet und die rosaroten Bilder, die die Sächsische Staatsregierung immer wieder zu zeichnen versucht, mit der realen Lage vieler Städte und Gemeinden wenig zu tun haben. Anstatt die strukturellen Probleme anzupacken, will die Regierung nun ein wenig an den Regeln für die kommunale Haushaltsaufstellung herumdoktern.

Meine Damen und Herren! Etwas Herumdoktern dürfte hier nicht reichen, weil viele Kommunen unter einer veritablen finanzpolitischen Lungenentzündung leiden.

So führt etwa der Rechnungshof in seinem jüngsten Bericht das Folgende aus, ich zitiere: „Die gesetzlichen Fristen zur Aufstellung der Eröffnungsbilanzen und Jahresabschlüsse sind deutlich überschritten. Teilweise beträgt die Fristüberschreitung mehrere Jahre. Rund 51 % der doppisch buchenden Körperschaften hat keine festgestellte Eröffnungsbilanz. Für die Jahre 2007 bis 2014 liegen lediglich rund 24 % der festzustellenden Jahresabschlüsse vor. Bei vielen Kommunen sind erhebliche Anstrengungen erforderlich, um in Bezug auf die Feststellung der Eröffnungsbilanzen und Jahresabschlüsse zeitnah wieder einen gesetzeskonformen Zustand zu erreichen.“

Meine Damen und Herren, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das ist das Ergebnis eines Vierteljahrhunderts CDU-Politik im Freistaat Sachsen: rechtswidrige Zustände in vielen Kommunen.

Zum Abschluss, meine Damen und Herren, möchte ich der Vertreterin des Landkreistages Gehör verschaffen, die in der Sachverständigenanhörung das Folgende zum vorliegenden Gesetzentwurf der Regierung sagte: „Mit den hier vorgeschlagenen Änderungen wird die Sinnhaftigkeit des gesamten Reformvorhabens infrage gestellt. Wir sind insofern von der Staatsregierung enttäuscht, weil diese nicht bereit ist, sich ernsthaft mit der Thematik auseinanderzusetzen.“ – So weit die Vertreterin des Landkreistages.

Meine Damen und Herren, dem ist fast nichts hinzuzufügen, außer eines: Wir von der LINKEN sind von der Staatsregierung nicht enttäuscht. Diese Regierung vermag uns nicht mehr zu enttäuschen, weil wir von ihr nichts mehr erwarten.

(Frank Kupfer, CDU: Oh! – Patrick Schreiber, CDU: Dann geh doch nach Hause!)

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die SPDFraktion Herr Abg. Pecher, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Doppik, doppelte Buchführung in Konten – habe ich manchmal den Eindruck – ist Doping für so machen Verwaltungsrechtler und Finanzrechtler. Das ist zumindest mein Eindruck aus der Anhörung.

Ich denke, die Historie dieser Änderung ist klar. Trotzdem wird sie noch einmal kurz dargestellt: Mit der Funktionalreform haben wir die Doppik im Freistaat Sachsen eingeführt. Ein mutiger Schritt. Das hat mit Herumdoktern, Herr Schollbach, überhaupt nichts zu tun, sondern es ist ein sehr gravierender und weitreichender Schritt.

(André Schollbach, DIE LINKE: Nicht Herumdoktern, darum geht es!)

Ich komme gleich noch dazu.

Es ist ein sehr weitreichender Schritt. Man hat dann erkannt – es muss im Jahr 2012 gewesen sein –, dass damit durchaus latente Probleme für die sächsischen Kommunen verbunden sind, und man hat in bestimmten Bereichen den Doppikwirkungsmechanismus außer Kraft gesetzt. Man hat nämlich gesagt: Wir können die Abschreibung zurzeit so nicht erwirtschaften und können erst einmal gegen das Basiskapital verrechnen. Das schaffte für die Kommunen im Ausgleich der Haushalte eine Entlastung, mit der Auflage, sich dieses Themas anzunehmen und eine Novellierung vorzulegen, die jetzt mit dem Gesetz der Staatsregierung vorliegt.

Das Problem bei diesem Gesetz ist, dass keiner so recht weiß, wie es wirken wird. Das ist nun einmal so, wenn Gesetze – das ist hier eine Einmaligkeit – erst nach einem sehr langen Zeitraum ihre Wirkung entfalten werden. Wir wissen nicht, wie sich nach Ablauf der Übergangsfrist Ende 2017 darauf aufbauend 2018/2019 die ersten Haushalte doppisch mit den zwei eingebauten Strukturmechanismen – das Haushaltsstrukturkonzept einmal bei Nichtausgleich des Ergebnishaushaltes bzw. parallel dazu bei Nichtausgleich des Finanzhaushaltes – darstellen. Nebenbei gesagt: Das Letztere ist mit Sicherheit vollkommen unstrittig; denn eine Kommune, die ihre Kredittilgung nicht erwirtschaften kann, ist in finanziellen Schwierigkeiten.

Das Problem, beim Ergebnishaushalt die Abschreibung zu erwirtschaften, wird sich kaskadierend eben erst in den Jahren 2019, 2020, 2021, 2022 aufbauen. Deshalb ist es auch ausdrücklich gut, dass in diesem Entwurf die Evaluierung auf 2023 vorgezogen wurde. Wir wissen nicht, wie zum Beispiel die Investitionen aus dem Brückenprogramm ab dem Jahr 2018 aktiviert und dann in den Kommunen wirken werden, insbesondere in den anlagelastigen Kommunen.

Wir wissen auch nicht, was es für die Kommunen bedeutet, wenn die Mittel, die wir jetzt über das neue Bundesprogramm für finanzschwache Kommunen einsetzen wollen, für die wir noch einmal 3,5 Milliarden Euro bereitstellen und in das Land geben wollen, investiv umgesetzt und aktiviert werden. Das ist das erste Problem, die langfristige Wirkungsweise dieses Gesetzes.

Das zweite Problem ist, dass es auf der kommunalen Ebene viele gibt, die über dieses Gesetz reden, die sagen: Machen, machen, machen, aber mich betrifft es nicht mehr, bis es wirkt. Das muss man sich fairerweise auch eingestehen.

Das dritte Problem, das wir haben – das habe ich zum Beispiel in der Rede von Herrn Schollbach gehört –: Es durchdringen nicht alle die Tiefe der Wirkmechanismen. Wir haben sehr komplexe verwaltungsrechtliche, finanztechnische Regelungen, aber die Wirkmechanismen auf der kommunalen Ebene sind, wenn der Haushalt nicht ausgeglichen ist, ziemlich knallhart. Jeder Kommunalpolitiker kann das sehr wohl einschätzen.

Es wäre wünschenswert gewesen, wir hätten mehr Möglichkeiten gehabt, uns anzuschauen, wie bestimmte Dinge in der Zukunft wirken. In Anbetracht der Zeitnot angesichts der Diskussionen über das Schulgesetz, über das Lehrerpaket, aber insbesondere auch über den Haushalt war dies nicht möglich. Allerdings muss man sagen, dass die kommunale Ebene aus gutem Grund darauf gedrängt hat, dieses Gesetz jetzt in Kraft zu setzen – Stichwort Rechtssicherheit und Planungssicherheit für die Kommunen.

Ich bin froh darüber, dass wir in der Koalition vereinbart haben, in Zukunft sehr genau hinhören zu wollen, wie die Kommunen mit diesem Thema umgehen werden, und dass wir ihre Signale aufnehmen wollen, falls wir Nachsteuerungsbedarf haben. Ich denke, das ist bei den Bürgermeistern – zumindest bei denen, die ich kenne – gut angekommen. Sie sagen: Ja, gebt uns die Chance, wenn wir in unseren Kreisverbänden zu der Erkenntnis kommen, dass wir Nachsteuerungsbedarf haben, dass ihr das dann ernst nehmt und aufnehmt. Das haben wir vereinbart. Ich finde, das ist eine sehr demokratische und sehr gute Lösung. Deshalb, glaube ich, können wir diesem Gesetzentwurf heute mit gutem Gewissen zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Martin Dulig)

Für die AfDFraktion Herr Abg. Wippel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Gestatten Sie mir zu Beginn einen kurzen Rückblick: Am 7. November 2007 hat der Sächsische Landtag, damals noch ohne AfD, das Gesetz über das neue kommunale Haushalts- und Rechnungswesen beschlossen. Dieses

Gesetz gab den Startschuss für die – wenn man von den kommunalen Gebietsreformen absieht – wohl grundlegendste Veränderung für die sächsischen Städte und Gemeinden überhaupt seit der friedlichen Revolution.

Ziel des Gesetzes war und ist es, das bisherige kameralistische Haushalts- und Rechnungswesen durch ein System der doppelten Buchführung, auch Doppik genannt, zu ersetzen. Doch was bedeutet es eigentlich im Kern?

Das Sächsische Staatsministerium des Innern hat hierzu in der Zusammenfassung des Gesetzentwurfes, über den wir heute diskutieren, eine sehr treffende Beschreibung gefunden: Letztlich geht es um die Umstellung von einer zahlungsorientierten auf eine verbrauchsorientierte

Darstellungsform.

Dass eine dermaßen grundlegende Umstellung eine gewisse Zeit braucht und nicht von heute auf morgen bewerkstelligt werden kann, versteht sich von selbst.

Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es aus unserer Sicht im Wesentlichen um zwei Punkte: um die Verlängerung von Übergangsfristen für die Kommunen in Anbetracht des Umstands, dass das Gesetzgebungsverfahren frühestens zum Jahresende abgeschlossen werden kann, sowie um die Einführung der Möglichkeit für die Kommunen, im Ergebnishaushalt Abschreibungen auf einen Teil des Anlagevermögens vom Basiskapital abbuchen zu können, ohne dass dadurch eine Pflicht zur Erstellung und Ausführung eines Haushaltsstrukturkonzepts entsteht.

In der Beschlussempfehlung des Innenausschusses wird hinsichtlich der Verrechnungsmöglichkeiten für Abschreibungen auf Altinvestitionen allerdings eine Untergrenze eingezogen. Bei Unterschreitung ist ein Haushaltsstrukturkonzept zu erstellen. Dass man den Kommunen damit nicht unbedingt einen Gefallen tut, liegt auf der Hand. Die AfD-Fraktion wird dem Gesetzentwurf dennoch zustimmen.

Das hindert uns allerdings nicht daran, einige allgemeine Worte über die neue kommunale Haushalts- und Rechnungsführung zu verlieren.

Im Bericht des SMI über die Evaluierung der Regelung zur Erforderlichkeit eines Haushaltsstrukturkonzepts sowie zum Haushaltsausgleich im neuen kommunalen Haushalts- und Rechnungswesen (kommunale Doppik) wird zu Beginn sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die Einführung der kommunalen Doppik in Deutschland ganz maßgeblich von kommunalen Interessenvertretungen gefordert worden ist. Die vergleichsweise frühe Entscheidung des Freistaates Sachsen, für die Kommunen ein einheitliches Buchführungssystem auf der Grundlage der doppelten Buchführung einzuführen, sei seinerzeit von den kommunalen Landesverbänden mitgetragen worden.

Hinsichtlich der heutigen Einstellung der Kommunen spricht die Stellungnahme des Sächsischen Landkreistages vom 26. Mai dieses Jahres zum Evaluierungsbericht des SMI eine sehr deutliche Sprache. Daraus möchte ich zitieren: „Es gibt offenkundig keine bzw. nur eine sehr geringe Akzeptanz im kommunalen Bereich der Notwen

digkeit und Sinnhaftigkeit des neu eingeführten Rechnungswesens. Darüber hinaus sind aber aus der kommunalen Praxis kaum Stimmen zu vernehmen, die dem neuen Rechnungswesen positive Seiten abgewinnen können. Wenn sich aus diesen Erfahrungen heraus heute noch einmal die Frage stellen würde, ob die Umstellung von den Gemeinden, Städten und Landkreisen unterstützt wird, dann wäre die Antwort eindeutig.“

Eine endgültige Bewertung, ob die Einführung der kommunalen Doppik eine kluge Entscheidung oder eher ein Fehler war, wird man wohl erst in sieben oder acht Jahren treffen können.

Das offenkundige Umdenken der Basis der kommunalen Ebene von anfänglicher Unterstützung zu nunmehriger Ablehnung scheint mir ein Musterbeispiel dafür zu sein, dass die Unterstützung vermeintlich moderner Politik nicht notwendig die Unterstützung guter Politik bedeutet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Nun spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Herr Abg. Lippmann. – Bitte sehr, Herr Lippmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel der Einführung eines einheitlichen Buchführungssystems für die Kommunen auf der Grundlage der doppelten Buchführung im Jahr 2007 war die Erhöhung der Transparenz der Gemeindehaushalte durch die vollständige Abbildung der Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage der Kommunen.

Neben der hohen Haushaltstransparenz hat die kommunale Doppik einen weiteren Vorteil: Sie ermöglicht die Messung des Nettoressourcenverbrauchs. Damit kann, einfach ausgedrückt, festgestellt werden, ob die Kommunen überhaupt in der Lage sind, ihre Aufwendungen selbst zu finanzieren.

In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf wurde die Funktionsweise mehrfach gut veranschaulicht. Beispielsweise ist ein Schulgebäude, das im Jahr 1996 für 1 Million Euro gebaut worden ist – gleichwohl es damals noch keinen Euro gab, aber theoretisch angenommen – und 50 Jahre lang genutzt wird, mit jährlich 20 000 Euro abzuschreiben. Das bedeutet, dass durch die jährlich zu erwirtschaftenden Abschreibungen die Liquidität für die Reinvestitionen erhalten bleibt.

Mit der angestrebten Gesetzesänderung sollen die Abschreibungen, die aus Sicht der GRÜNEN-Fraktion für eine nachhaltige und generationengerechte Haushaltswirtschaft zwingend erforderlich sind, nunmehr allerdings mit dem sogenannten Basiskapital verrechnet werden. Mit dieser Änderung unternimmt die Staatsregierung aus unserer Sicht faktisch nichts anderes als den Versuch, der Doppik in voller Fahrt den Bremsklotz in den Weg zu werfen.

(Staatsminister Markus Ulbig: Ach!)

Da die Verrechnungsmöglichkeit für das für den kompletten Zeitraum bis zum 31. Dezember 2017 festgestellte Anlagevermögen gilt, haben wir es bei größeren Investitionen in einigen Kommunen mit einer kompletten Umstellung auf die kommunale Doppik und mit allen Vorteilen, die mit ihr einhergehen, möglicherweise erst in 50 Jahren zu tun, nämlich dann, wenn die jetzt getätigten Großinvestitionen vollständig abgeschrieben sind. Das, was Sie den Kommunen ermöglichen, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit, so lehrt es uns die Erfahrung, auch genutzt werden.