Barbara Saebel
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Sehr geehrte Frau Vizeprä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben ging es um Bürokratieabbau. Ich fürchte, mein Thema, der Brexit, bringt uns viele neue bürokratische Herausforderungen. Brexit-Be fürworter bemühen gern die britische Geschichte. Sie sehen sich als tapfere Piraten, als Freibeuter, als eine Handelsnati on, die in die Welt hinauszieht. In der Nacht zum Samstag hat Großbritannien die Segel gesetzt und sich auf große Fahrt raus aus der EU begeben.
Es ist die Erinnerung, die das Selbstbild dieses Landes prägt und politisch bis ins Heute wirkt. Wie sehr die britische Han delspolitik von der Freibeuterei oder von Fair Play geprägt ist, wird sich in den nächsten zehn Monaten in den Verhandlun gen mit der EU zeigen.
Es gibt erste Ideen auf beiden Seiten des Ärmelkanals zu den Wirtschaftsbeziehungen. Am Montag hielt Boris Johnson ei ne Rede vor Geschäftsleuten und Botschaftern. Zeitgleich stellte der EU-Chefunterhändler Barnier die Verhandlungszie le der EU zu einem Freihandelsabkommen vor. Nun, die Ideen könnten unterschiedlicher nicht sein.
Johnson will eine Art Kanada-Abkommen – kaum Zölle, kaum Einfuhrquoten –, sonst gehe es auch ohne Vertrag – so wie mit Australien – auf der Basis der WTO-Regeln. Aller dings verhandelt Australien seit 2018 mit der EU über ein Handelsabkommen. Offenbar wünscht man sich hier Regeln.
Der EU ist es andererseits wichtig, dass es ein Level Playing Field gibt – gleiche Umwelt- und Sozialstandards, keine Steu ervorteile oder Subventionen jenseits des Kanals. Diese Ge sprächsgrundlage hat Johnson im Grunde bereits mit dem Bre xit-Abkommen unterschrieben. Nun will er darüber neu ver handeln.
Die Kommission und die Mitgliedsstaaten der EU stellen sich auf ein hartes Verhandlungsjahr mit Großbritannien ein. John son sieht sich offenbar in der Seefahrertradition von Sir Fran cis Drake. Er will die Wirtschaftsstandards senken, von Fisch fangquoten zum Schutz der Bestände hält er nichts.
Übrigens: Die ersten europäischen Umwelt- und Naturschutz richtlinien wurden Ende der Siebzigerjahre maßgeblich von seinem Vater, dem konservativen Politiker Stanley Johnson, geprägt.
Großbritannien hoffte bei Eintritt in die EWG auf wirtschaft lichen Aufstieg. 1974 und 1975 war das Bruttosozialprodukt in Großbritannien zwei Jahre in Folge geschrumpft. Das Haus haltsdefizit lag bei über 5 %. „Goodbye, Britain“, hatte da mals das „Wall Street Journal“ getitelt.
Ein Jahr später verloren die Finanzmärkte das Vertrauen. Die Anleger flüchteten aus dem Pfund Sterling, die Währung stürzte ab. Erst langsam kam Großbritannien aus der Krise. Es ist die Erinnerung, die das Selbstbild dieses Landes prägt und politisch bis heute wirkt.
Genau diese ältere Generation, deren Berufsleben in den Sieb ziger- und Achtzigerjahren geprägt wurde, hat 2016 den Bre xit gewählt. Die Jüngeren waren für „Remain“ – je jünger, umso mehr. Es ist zu hoffen, dass diese jüngere Generation,
die die EU mit ihrer Reisefreiheit und Arbeitsfreizügigkeit, mit ihrer Weltoffenheit und Toleranz kennengelernt hat, in ein paar Jahren den Weg zurück in die EU findet.
Wir Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger werden die guten Beziehungen zu Großbritannien sicherlich nicht kappen. Die EU ist für uns eine Lehre aus zwei Welt kriegen. Nie wieder Krieg und Zerstörung, stattdessen Aus söhnung mit den Nachbarn, Wiederaufbau und Montanunion und später EWG und Wirtschaftswunder.
Wir haben insbesondere in Baden-Württemberg einen großen Konsens, nämlich, dass mehr Europa eine gute Idee ist. Wir wollen die erfolgreiche Forschungs- und Wirtschaftszusam menarbeit mit Großbritannien nach dem Brexit weiterführen. Unsere grüne Fraktion stimmt daher dem Gesetzentwurf zur Änderung des Brexit-Übergangsgesetzes zu.
Wir hoffen auf ein Freihandelsabkommen bis zum Ende des Jahres.
Die grüne Fraktion im Europäischen Parlament rief ihren bri tischen Kolleginnen und Kollegen zum Abschied übrigens zu: „We will let the lights on.“ – Wir werden das Licht brennen lassen.
Ich hoffe, dass es hell genug leuchtet und jenseits des Ärmel kanals gesehen wird.
Sehr geehrte Frau Vizeprä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Brexit – eine gefühlt unendliche Geschichte, wenngleich keine erfreuliche. Als wir vor knapp einem Jahr das Brexit-Übergangsgesetz Ba den-Württemberg beschlossen hatten, war der weitere briti sche Weg noch sehr unklar. Die Wahl von Boris Johnson und die Regierungsumbildung schufen nun zumindest klarere Be dingungen.
Mit dem vorliegenden Gesetz zur Änderung des Brexit-Über gangsgesetzes Baden-Württemberg wollen wir den bei uns le benden britischen Staatsangehörigen Sicherheit verschaffen und auch bei unserer eigenen Wirtschaft für Sicherheit sor gen, dass sich zumindest nach dem offiziellen Brexit in zwei Tagen bis zum Ende der Übergangszeit am 31. Dezember 2020 nichts ändert. Einzige Ausnahme: Das aktive und das passive Wahlrecht für Gemeinderat und Kreisrat enden für bri tische Bürger, die keine weitere EU-Staatsangehörigkeit be sitzen, schon zum 31. Januar.
Mittlerweile haben beide Kammern des britischen Parlaments dem Brexit-Gesetz zugestimmt. In einem Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020 wird Great Britain weiterhin wie ein Mitgliedsstaat der EU behandelt – mit Zollunion und Ge meinsamem Markt. Das gibt uns etwas Zeit zur Regelung der künftigen Beziehungen, was für beide Seiten sinnvoll ist. Denn seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 brachen die Südwestexporte nach Großbritannien um fast ein Drittel ein.
Neben dem finanziellen ist auch ein großer Vertrauensschaden entstanden. Die Auswirkungen des Brexit-Deals von Johnson sind auch heute noch nicht ganz absehbar. Wird am Ende aus einem Großbritannien in der EU ein England ohne Schottland, vielleicht ohne Wales?
Aber nehmen wir die Auswirkungen für uns in den Blick. Wenn nicht rechtzeitig ein Freihandelsabkommen abgeschlos sen wird, müssen baden-württembergische Unternehmen mit Zöllen, Handelsbeschränkungen und viel Bürokratie rechnen. Bei administrativen Prozessen wollen wir deshalb eng zusam menarbeiten, z. B. beim Mehrwertsteuerausgleich im grenz überschreitenden Handel.
Wir wollen weiterhin enge Beziehungen zu Großbritannien. Aber wir wollen unsere sozialen und unsere Umweltstandards nicht zur Disposition stellen.
Boris Johnson hat schon angekündigt, dass er mit Blick auf Umwelt- und Verbraucherschutzstandards die EU in einen Wettbewerb nach unten treiben möchte. Dem müssen wir ent gegensteuern. Deutschland übernimmt im kommenden Som mer für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Genau dann werden die Details geklärt. Wir stehen zu unseren Ar beits- und Sozialrechten, zu unseren Umwelt- und Verbrau cherschutzstandards.
Der Brexit bedeutet auch einen Einschnitt in der erfolgreichen europäischen Forschungszusammenarbeit und im Studieren denaustausch. Auch hier braucht es neue Vereinbarungen, da mit die nächste Generation der Wissenschaftler und der Stu denten in unserem Land diesen intensiven Austausch fortset zen kann.
Die EU will auf dem Weg zur Klimaneutralität mit ihrem Green New Deal Importe mit einem CO2-Grenzausgleich be legen. Im besten Fall schließt sich Großbritannien diesem Vor haben an.
Es wird insgesamt schwer sein, innerhalb von nur elf Mona ten ein Abkommen zu verhandeln. Notfalls muss wohl die Übergangsregelung verlängert werden.
Herausfordernd wird für uns auch der neue Mehrjährige Fi nanzrahmen der EU. Wenn die Briten nicht mehr einzahlen, bedeutet die aktuelle deutsche Position – das Beharren auf 1,07 % der europäischen Gesamtwirtschaftsleistung – eine Kürzung des EU-Haushalts. Gleichzeitig aber soll die EU mehr Aufgaben übernehmen, so beim Klimaschutz, bei Inno vationen, beim Grenzschutz und bei der Verteidigung. Wir Grünen hoffen, sie wird dafür auch finanziell entsprechend aufgestellt.
Hoffnungsvoll stimmt mich, dass sich die britische Regierung beim Weltwirtschaftsgipfel letztens in Davos in strategischen Fragen doch wieder an Europa orientierte. So will sie wie die EU amerikanische Internetkonzerne wie Google und Face book steuerlich zur Kasse bitten. Auch beim Atomabkommen mit dem Iran hält Großbritannien – zumindest bisher – zu Eu ropa. Für den britischen Schatzkanzler Javid steht das Frei handelsabkommen mit der EU prioritär vor dem Deal mit den USA.
Ich freue mich nun auf die Diskussion im Europaausschuss zu diesem Gesetzesvorhaben und möchte schließen mit einem Zitat von William Shakespeare, das die britische Situation vielleicht ganz gut schildert:
Glücklich bist du nicht: Was du nicht hast, dem jagst du ewig nach, vergessend, was du hast...
im britischen Fall: hattest.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und Tiere ist Staatsziel in der Verfassung und im Grundgesetz verankert. Baden-Würt
temberg verfolgt dieses Ziel schon seit Langem und konnte in den beiden letzten Legislaturperioden auch deutliche Verbes serungen erreichen. Trotzdem gibt es aktuell auch in BadenWürttemberg das Volksbegehren „Pro Biene“, junge Men schen gehen auf die Straße und demonstrieren in „Fridays for Future“-Meetings für mehr Naturschutz.
Zur Naturschutzstrategie unseres Landes gehört u. a. der Er werb von naturschutzwichtigen Flächen. Wenn das Land die se Flächen kauft, kann es selbst darüber verfügen und über deren Bewirtschaftung entscheiden. Es schafft dadurch natür lich die Voraussetzungen für die Weiterentwicklung von Ge bieten im Sinne des Naturschutzes und sichert wichtige Teile des baden-württembergischen Naturerbes für kommende Ge nerationen.
Das Land besitzt außerdem Parkflächen, Gartenanlagen und Außenanlagen von Landesgebäuden, insgesamt ungefähr 1 500 ha.
Seit Bekanntwerden der Krefelder Studie machen wir uns na türlich Sorgen darüber, dass innerhalb von 27 Jahren ein Rückgang der Gesamtmasse an Fluginsekten um 76 % fest gestellt wurde.
In diesem Kontext frage ich jetzt die Landesregierung, wel che Maßnahmen sie ergriffen hat und welche Maßnahmen sie noch ergreifen möchte, um ihrer Vorbildfunktion für den Er halt der Biodiversität auf landeseigenen Flächen im Zustän digkeitsbereich unserer Liegenschaftsverwaltung gerecht zu werden, und zwar in den Parks und Gärten, auf den Außenan lagen von Landeseinrichtungen und auf den landwirtschaftli chen Flächen.
Zusätzlich wäre mir noch wichtig zu erfahren, welche Akti vitäten es im Bereich der Landesbeteiligungen inklusive z. B. der Wilhelma oder des Blühenden Barocks oder auf den Lan desdomänen, wie z. B. dem Gestüt Marbach, für Artenschutz und Artenvielfalt gibt.
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren Besucher!
In zehn Tagen wird die Bevölkerung in der Europäischen Uni on ihr neues Parlament wählen. Von dieser Wahl ist abhängig, wohin sich Europa entwickelt. Letzte Umfragen machen mir allerdings Hoffnung, dass sich demokratische Parteien mit ei nem klaren Wertekompass durchsetzen werden.
Wir Grünen hoffen gemeinsam mit den jungen Klimaaktivis ten von „Fridays for Future“
auf verstärkte Anstrengungen zum Klimaschutz. Hier hat die EU ehrgeizige Ziele vorgegeben, und auch unsere Landesre gierung will bis 2030 den CO2-Ausstoß auf 42 % in Bezug auf 1990 reduzieren.
Wenig Grund zur Hoffnung gibt allerdings die einstige Kli makanzlerin mit ihrer Ablehnung der CO2-Steuer und ihrem Auftritt in Sibiu in der letzten Woche. Auch die Bundesregie rung muss sich hier endlich bewegen.
Wie sieht es nun mit der europäischen Flüchtlingspolitik aus? In Italien bedeutet ein Sieg der Rechtspopulisten, dass Men schenrechte auf der Strecke bleiben. Über Jahrhunderte war die Seenotrettung selbst zu Kriegszeiten Menschenpflicht. In Italien wird man jetzt sogar dafür bestraft. Wir Grünen stehen für Seenotrettung, und wir stehen für mehr Entwicklungszu sammenarbeit, um Fluchtursachen zu bekämpfen.
Probleme bereitet gegenwärtig auch die Rechtssicherheit. Ge gen Ungarn und Polen laufen EU-Verfahren aufgrund von Ver fassungsänderungen und Eingriffen in die Meinungsfreiheit. Bei Rumänien ist man wegen der Einschränkung der Presse freiheit kurz davor, das EU-Verfahren einzuleiten.
Aber schauen wir auf unser Baden-Württemberg. Wir haben uns seit Beginn der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf den Weg zu mehr Europa gemacht. Und mit jedem Schritt haben gerade wir auch von dieser Gemeinschaft profitiert. Deutschland hat durch den EU-Binnenmarkt einen jährlichen Wohlstandsgewinn von 86 Milliarden €. Jeder dritte Arbeits platz im Südwesten hängt vom Export ab. Zwei Drittel aller baden-württembergischen Exporte gehen in den EU-Binnen markt. Über die Förderprogramme aus Brüssel flossen in der letzten Legislaturperiode 5,1 Milliarden € ins Land, vorwie gend in die Landwirtschaft sowie in Forschung und Entwick lung.
So ist es auch für uns in Baden-Württemberg wichtig, dass das neue Parlament die Verhandlungen über den Mehrjähri gen Finanzrahmen schnellstmöglich fortsetzt. Denn nur als ei
niges gemeinsames Europa haben wir eine Chance im Wett bewerb mit den Großen wie Amerika, China oder Russland.
Auch deshalb müssen wir in der kommenden Legislatur ge meinsame Strategien gegen Steuervermeidung von Großkon zernen fahren, dies auch, um das soziale Versprechen der Marktwirtschaft endlich für alle Europäer einzulösen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Sonntag dieser Woche haben wir 25 Jahre Weltkulturerbe im Kloster Maulbronn ge feiert. Die Zisterzienserklöster hatten schon im Mittelalter ei nen europaweiten Wertekodex und bildeten einen Wirtschafts verbund. Die Geburtsstätte des Klosters Maulbronn liegt im Kloster Citeaux bei Dijon in Frankreich. Dieses wiederum hat te Niederlassungen im heutigen Tschechien, in Katalonien, in Portugal und sogar in Großbritannien.
Genau. – Mit wichtigen Arbeitsgebieten in Landwirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sozialem bildeten sie eine Gemein schaft, die sich regelmäßig im Hauptkloster zur Abstimmung traf. In gewisser Weise ist das Werk der Zisterzienser ein kul tureller Vorfahre der EU.
Aber zurück ins Heute. Aktuell arbeitet Baden-Württemberg gemeinsam mit Frankreich in der Frankreich-Konzeption an einer Strategie, die in die Zukunft Europas weist. Neue Brü cken über den Rhein sollen Baden und das Elsass verbinden. Alte Bahnlinien wie Freiburg–Colmar und Rastatt–Hagenau sollen reaktiviert werden.
Ob in der Schule, im Universitätenverbund Eucor oder in bi lingualen Berufsschulen: Am Oberrhein soll aus der Sprach barriere eine selbstverständliche Zweisprachigkeit werden.
Fessenheim soll mit der Stilllegung des alten Atomreaktors und dem Aufbau eines grenzüberschreitenden Wirtschafts- und Wissenschaftszentrums zum gemeinsamen europäischen Projekt werden.
Sofort. – Außerdem soll ein Netzwerk für künstliche Intelligenz aufgebaut werden.
Last, but not least soll ein Bürgerfonds für grenzüberschrei tende Projekte und Städtepartnerschaften zur Verfügung ge stellt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wächst das Europa von morgen zusammen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das sollte mir jetzt nicht all zu schwerfallen. Vielen Dank, Frau Landtagsvizepräsidentin, für den Tipp.
Sehr geehrter Herr Rechnungshofpräsident Benz, vielen Dank für Ihre sehr kritischen, aber auch sehr inhaltsreichen Ausfüh rungen. Für uns ist es natürlich ganz wichtig, immer wieder Ihre mahnende Stimme zu hören und ihr doch zumindest in weiten Teilen auch zu folgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo Menschen agieren, pas sieren Fehler. Das wissen wir alle. Schon im Jahr 1714 rief der damalige preußische König, Friedrich Wilhelm I. eine Ge neralrechenkammer, die spätere preußische Rechnungskam mer, ins Leben. Sie sollte als eigenständiges, von der Verwal tung unabhängiges kollegiales Prüfungsorgan wirken. Er hat damit Weitsicht bewiesen, wie wir gerade eben gehört haben.
Auch unsere heutige Landesverfassung bestimmt, dass der Rechnungshof die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsfüh rung des Landes unabhängig, kritisch, ohne Vorgabe des Par laments und ohne Vorgaben der Regierung überprüft.
Ihre Berichte, Herr Benz, werden von uns Parlamentariern stets mit Spannung erwartet. So war es jetzt doch wesentlich ruhiger hier im Plenum als bei den Tagesordnungspunkten zu vor. Denn Sie bringen eine andere Perspektive ein, den Blick von außen, obwohl Sie die Vorgänge sehr gut kennen, und Sie optimieren damit das Verwaltungshandeln der Behörden. Ziel ist es, Landesgeld und Steuermittel so effizient wie möglich einzusetzen.
Sie beraten uns insbesondere zu Organisations- und Struk turfragen, zu Verfahrensabläufen oder zur Personalbemessung für die Aufgabenerfüllung. Aber auch die Befassung mit Sub ventionen oder dem Bedarf zur Instandhaltung der Infrastruk tur ist ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit. Bei großen Landesbau vorhaben erlaubt es die projektbegleitende Prüfung durch den Rechnungshof im Idealfall, Probleme so rechtzeitig zu erken nen, dass man noch in der Bauphase gegensteuern kann.
Der Finanzausschuss und das Parlament folgen häufig Ihren Vorschlägen, und dies fast immer einstimmig. Das war schon immer so, ganz gleich, in welcher Regierungskonstellation.
Im besonderen Fokus der grünen Haushaltspolitik steht natür lich die Nachhaltigkeit. So konnten wir in den letzten Jahren – auch dank guter Wirtschaftsdaten – auf eine Schuldenauf nahme verzichten und erstmals seit vielen Jahren Schulden tilgen. Wir bereiten uns aber auch mithilfe des Rechnungshofs auf die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2020 vor. So hat das Finanzministerium zum 1. Januar 2017 eine Vermögens rechnung aufgestellt, die fortgeschrieben wird, um Landes vermögen und Landesschulden transparent darzustellen und entsprechend agieren zu können. Bis Ende 2019 werden wir, dem Rat des Rechnungshofs folgend, nach § 18 der Landes haushaltsordnung noch beträchtliche Mittel zur Verminderung der impliziten Verschuldung, also des Sanierungsstaus bei Landesliegenschaften und Infrastruktur, aufwenden.
Hier noch einige konkrete Vorschläge aus der aktuellen Denk schrift, die vom Finanzausschuss übernommen wurden. Sie hatten sie teilweise eben schon erwähnt.
Da die Zahl der Pensionsberechtigten steigt, weil immer mehr Beamte aus den geburtenstarken Jahrgängen in den Ruhestand gehen, erhöhen wir die Pensionsrückstellungen sukzessive. Für neu einzustellende Beamte werden den Pensionskassen künftig 1 400 € monatlich zugeführt.
Auch beim Thema Polizeiausbildung hatten Sie einen guten Vorschlag. So sollen sich künftig mehr Abiturienten direkt für den gehobenen Dienst bewerben, womit wir den Personal mangel sicherlich schneller werden beheben können. Die Chance zum Aufstieg aus dem mittleren in den gehobenen Dienst über einen zusätzlichen Qualifizierungslehrgang bleibt aber weiterhin bestehen, um auch Bewerbern mit mittlerer Reife den Zugang zur Polizeiausbildung zu ermöglichen.
Beim Hochwasserschutz fördert das Land Kommunen und Zweckverbände bei Vorhaben des technischen Hochwasser schutzes mit bis zu 70 % der zuwendungsfähigen Ausgaben.
Vorrang vor technischen Lösungen sollte aber eigentlich die sinnvolle Flächennutzungsplanung der Kommune haben, da mit Hochwasser erst gar keine Schäden anrichten können. Nun sollen mit einer differenzierteren Landesförderung die Anrei ze zur interkommunalen Zusammenarbeit in diesem Bereich erhöht werden.
Ein weiterer Vorschlag des Rechnungshofs betrifft mehr Fo tovoltaikanlagen auf Landesliegenschaften. Ausschreibungen für das Contracting sollen zentralisiert werden, um mehr PVAnlagen auf landeseigene Dächer zu bekommen. Aber es soll auch jeweils geprüft werden, ob es sich rechnet, den selbst er zeugten Strom selbst zu nutzen. Steigende Preise machen das wirtschaftlich. Dies gilt für größere Liegenschaften mit kon stant hohen Stromverbräuchen wie Kliniken, Rechenzentren oder Laborgebäude.
Des Weiteren schlug der Rechnungshof vor, neue Förderpro gramme für den ländlichen Raum künftig unabhängig vom Fördervolumen zu Beginn immer zu befristen und regelmä ßig auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Auch das findet un sere Zustimmung.
Meine Damen und Herren, wir sparen aber nicht nur mithilfe des Rechnungshofs, wir nehmen auch mehr ein. Sie haben er neut die Arbeit der Finanzämter im Land unter die Lupe ge nommen und insbesondere geprüft, ob die Steuern rechtzei tig und vollständig erhoben wurden.
Das Volumen der von der Finanzkontrolle festgestellten Feh ler betrug nahezu 140 Millionen €. Die fehlerhaften Steuer bescheide konnten so vielfach noch geändert werden, und ein beträchtlicher Teil der Summe konnte vereinnahmt werden.
Neben dem sich immer wieder ändernden und sehr komple xen Steuerrecht wird fehlende IT-Unterstützung – Sie erwähn ten es gerade, Herr Benz – bei der Steuerverwaltung als Feh lergrund genannt.
Die Fallbearbeitung im Bereich der Einkommensteuer hinge gen erfolgt jetzt schon weitgehend papierlos. Ab dem Veran lagungszeitraum 2019 wird für Grundlagenbescheide eine ma schinelle Übermittlung der Daten möglich sein. Hier können dann Programme helfen, Fehler zu eliminieren.
Vorschläge zur Steuervereinfachung macht ja das Land im Bundesrat immer wieder; leider werden sie dann oft im Bun destag ausgebremst.
In einigen Fällen allerdings gibt es für die vom Rechnungs hof vorgetragenen Problemstellungen andere Lösungen aus der Regierung oder von der Mehrheit des Finanzausschusses. Es ist auch legitim, wenn die Legislative, also unser Parla ment, bzw. der Finanzausschuss das eine oder andere Mal et was anders sieht als der Rechnungshof. Wir folgen dann un seren politischen Prämissen oder bevorzugen die Lösungsvor schläge der Ministerien.
So geschah dies etwa bei dem sehr weitgehenden Einsparvor schlag zur Finanzierung der Studierendenwerke. Hier können wir uns zwar durchaus strukturelle Veränderungen vorstellen, müssen aber sicherstellen, dass den Studierenden keine Nach teile erwachsen.
Sehr geehrter Herr Benz, sehr geehrte Damen und Herren des Rechnungshofs, vielen Dank für Ihre sachkundige Arbeit. Das
Königsrecht der Haushaltsführung über den Finanzausschuss wird mit Ihrer Beratung und durch Sie gestärkt. Daher ist die Unterstützung der Parlamentarier und der Landesverwaltung durch den Rechnungshof von unschätzbarem Wert.
Was die Abstimmungen betrifft – ich komme jetzt zum Schluss –: Die grüne Fraktion stimmt der Beschlussempfeh lung des Finanzausschusses zu, die Landesregierung für die Haushaltsrechnung für das Haushaltsjahr 2016 zu entlasten. Ebenso stimmen wir der Beschlussempfehlung des Finanz ausschusses zu, die in der Haushaltsrechnung 2016 nachge wiesenen über- und außerplanmäßigen Ausgaben sowie die Abweichungen von den Stellenübersichten nachträglich zu genehmigen.
Ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal beim Finanz ministerium und der Finanzministerin sowie beim Rechnungs hof für die gute Zusammenarbeit, und ich bedanke mich bei allen Fraktionen für die sachliche und kollegiale Arbeitsatmo sphäre im Finanzausschuss.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Kom mission will mit ihrem Vorschlag zur Schaffung von mit Staatsanleihen besicherten Wertpapieren, den sogenannten So vereign Bond-Backed Securities, eine Verringerung des Staa ten-Banken-Nexus erreichen.
Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Staaten und Banken wirkt verheerend; denn Banken halten meist Anleihen ihrer jeweiligen Nationalstaaten. Wenn also ein Staat in Schieflage gerät, kann dies fatale Folgen für den Bankensektor und letz ten Endes für die gesamte Wirtschaft eines Landes haben, wie es etwa während der Finanzkrise in Griechenland der Fall war oder nun in Italien zu befürchten steht.
Der Vorschlag der EU-Kommission sieht nun vor, dass ein pri vater Emittent ein Portfolio von Staatsanleihen aller EU-Staa ten entsprechend ihrem Anteil am Kapitalschlüssel der EZB zusammenstellt. Die SBBS müssen aus einer Senior-Tranche von mindestens 70 % und einer oder mehrerer nachrangiger Junior-Tranchen bestehen, sodass selbst bei Zahlungsausfall eines Eurostaats der Anleger schlimmstenfalls mit einem ent sprechenden Wertverlust dieser Tranche rechnen muss, nie aber mit einem Totalausfall.
Auch der Bundesrat befürwortet die hier verfolgte Absicht, für mehr Diversifizierung in den Portfolios der Staatsanleihen zu sorgen.
Die Grundannahme des Antrags der AfD-Fraktion, dass die EZB die Staatsanleihen ausgäbe und dies zu einer Haftung der Mitgliedsstaaten führen würde, ist jedoch nicht zutreffend
und entspringt wohl ihrer grundsätzlichen Ablehnung der Zu sammenarbeit innerhalb Europas.
SBBS sind keine Eurobonds,
sie werden nicht von den Eurostaaten ausgegeben, sondern von privaten Zweckgesellschaften durch Bündelung vorhan dener Staatsanleihen. Jeder Staat zahlt nur den Zins, den er am Markt ohnehin zahlen müsste.
Auch die Befürchtung unserer Kollegen von SPD und FDP/ DVP, dass die Reduzierung der gegenseitigen Abhängigkeit von Staaten und Banken absehbar verfehlt wird, teilen wir Grünen nicht. Denn nur die Praxis kann zeigen, ob es einen Markt für SBBS gibt. Wenn es einen solchen Markt gibt, könnte er tatsächlich mehr Stabilität ins System bringen.
Für uns Grüne sind SBBS eine Möglichkeit, den Absatz von Staatsanleihen aller Eurostaaten zu erleichtern. Die von Ih nen, liebe Kollegen, unterstellte ablehnende Stellungnahme des Bundesrats gab es nicht; eine solche könnten wir auch nicht unterstützen.
Aber auch wir Grünen meinen, die vorgesehenen SBBS müs sen für Anleger standardisiert und transparent dargestellt wer den, um die Risiken für Investoren vorab einschätzbar zu ma chen. Zugleich sehen wir es als riskant an, dass in den Bank bilanzen SBBS nicht mit Eigenkapital unterlegt werden sol len;
dies ist ja auch schon bei herkömmlichen Staatsanleihen nicht der Fall.
Hier braucht es einen Lösungsvorschlag der EU-Kommissi on. Auch der erste Vorschlag – nobody is perfect – ist aus un serer Sicht und auch aus Sicht des Bundesrats keine Lösung. Insofern sind wir da ganz d’accord.
Es steht natürlich noch nicht fest, wie groß das Interesse po tenzieller Anleger wäre, wenn die SBBS mit Kapital unterlegt werden müssten. Aber das kann ja die Zukunft noch zeigen.
Allen diesen grundsätzlichen Bedenken aber wird mit dem Bundesratsbeschluss vom 21. September bereits ausreichend Rechnung getragen.
Wenn wir das Wohlstandsversprechen der EU für alle Mit gliedsstaaten einlösen wollen, dann müssen wir zwangsläufig Mechanismen entwickeln, die unser Finanzsystem weniger krisenanfällig machen und Investitionen im gesamten Eu roraum fördern, von denen dann auch weniger entwickelte Re gionen profitieren könnten.
Wir Grünen meinen, optimierte Sovereign Bond-Backed Se curities – ein herrliches Wort! – könnten dazu einen Beitrag leisten.
Was wir allerdings auch meinen: Angesichts dessen, dass die ser Punkt bereits im Bundesrat war, sind es eigentlich in ge
wisser Hinsicht Fensterreden, die wir hier halten. Wir sollten uns ernsthaft überlegen, ob wir angesichts der hervorragen den Arbeit unserer Landesregierung,
die sich in dieser Sache ja bestens eingebracht hat,
hier im Plenum im Anschluss an den Bundesratsbeschluss noch einmal jeden Punkt aufrufen sollten.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor 68 Jahren hielt Robert Schuman seine visionäre Rede zur Montanunion. Er sagte:
Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst ei ne Solidarität der Tat schaffen.
Schuman war offensichtlich nicht nur Visionär, sondern auch Realist.
Heute haben wir es mit dem realistischen Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU von 2021 bis 2027 zu tun. Wir Grünen begrüßen die Fokussierung auf Aufgaben, die die Gemeinschaft besser als der Nationalstaat bewältigen kann. Der Vorschlag sieht eine Aufstockung auf 1,11 % des Bruttoinlandseinkommens der EU-Staaten vor.
Dieser Ansatz ist gut, wenn auch noch nicht ehrgeizig genug. Die EU braucht, wenn sie Aufgaben wahrnehmen soll, die bis her nationalstaatlich bewältigt werden, wie z. B. Sicherheits- oder Verteidigungspolitik, Asylpolitik oder Klimaschutz, deut lich mehr Geld als bisher.
Das sind alles Investitionen in unsere gemeinsame Zukunft. Unsere Kinder z. B. lernen und studieren selbstverständlich in Europa. Die Mittel für ERASMUS und für das europäische Solidaritätskorps sollen deshalb verdoppelt werden. For schungsförderung, Innovation und Digitalisierung sind ge meinsame europäische Projekte in einem gemeinsamen Markt. Jeder Euro, den wir hier investieren, kommt auch zu uns nach Baden-Württemberg zurück. Die Unternehmen in unserem Land profitieren davon.
Die benötigten zusätzlichen Gelder sollen u. a. durch mehr Ei genmittel der EU generiert werden, etwa über eine gemeinsa me Körperschaftsteuer, eine Plastiksteuer und den Handel mit
Emissionszertifikaten. Dies bringt nicht nur frisches Geld, sondern kann zusätzlich eine ökologische Lenkungswirkung entfalten, die wir Grünen begrüßen.
Europa soll Souveränität erhalten in Bereichen, in denen je der Mitgliedsstaat für sich allein nicht agieren kann, z. B. bei der Besteuerung international agierender Konzerne, in der Energiepolitik, der Klimapolitik oder der Terrorismusbekämp fung. Hier brauchen wir mehr Europa, mehr Souveränität für Europa.
Aber es geht auch darum, die durch den Brexit fehlenden Mil liarden durch Einsparung und Umschichtung aufzufangen. So sollen die Finanzmittel für die Gemeinsame Agrarpolitik und die Kohäsionspolitik um jeweils ca. 5 % gekürzt werden. Das löst selbstverständlich nicht nur Freude aus. Hier wird noch hart gerungen werden.
Wir Grünen wollen vor allem die Existenzsicherung kleiner und mittlerer Betriebe und nachhaltiger Bewirtschaftungsfor men. Dies ist für uns in Baden-Württemberg mit unserer klein gliedrigen Landwirtschaft unerlässlich.
Der demografische Wandel zwingt uns, künftig verstärkt Ar beitskräfte auch außerhalb der EU anzuwerben, und zwar nicht nur IT-Fachkräfte und Ingenieure, sondern gerade Men schen, die in den Bereichen Pflege oder auch Landwirtschaft tätig sein wollen.
Um Migration zu kanalisieren, brauchen wir vor allem eine faire Handelspolitik, und zwar nicht nur in Europa, sondern auch in den Ländern des globalen Südens. Es braucht legale Wege für Flucht und Migration in die EU. Aber auch eine so lidarischere Verteilung von Geflüchteten unter den Mitglieds staaten der EU ist nötig. EU-Zuschüsse daran zu knüpfen hal ten wir für völlig legitim.
Genauso legitim ist es, Förderkriterien und Konsequenzen an Werte zu koppeln. Wenn eine nationale Regierung die Gewal tenteilung aufhebt, Pressefreiheit und Pluralität beschränkt oder Minderheiten systematisch diskriminiert, dann sollen eu ropäische Gelder künftig nur noch direkt an Kommunen und Regionen vergeben werden, die sich weiterhin auf dem Bo den von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bewegen.
Denn alle Mitgliedsstaaten haben sich im Vertrag von Lissa bon diesen gemeinsamen Werten verpflichtet.
Wir Grünen wollen am Europa der Regionen mit Begegnun gen der Menschen in ihrer Vielfalt der Kulturen, mit fairem Handel und gemeinsamer Kooperation weiterbauen.
Der Europaausschuss konnte in Mailand und Lyon letzte Wo che hautnah erfahren, wie weit unsere wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen bereits gediehen sind, wie viel ge genseitiges Vertrauen hier bereits besteht. Die baden-württem bergische Präsidentschaft bei den „Vier Motoren“ wollen wir zur Vertiefung der Zusammenarbeit nutzen. Mit der Frank reich-Konzeption unseres Ministerpräsidenten und unserer Staatsrätin Gisela Erler
soll die Zusammenarbeit mit Grand Est sowie Auvergne-RhôneAlpes auch im Bereich der Städtepartnerschaften sowie auf der Ebene der Bürgerinnen und Bürger unterstützt werden. Europa wächst zusammen.
Vergleichen wir den Aufbau Europas mit dem Bau des Mai länder Doms: ein Langzeitprojekt über viele Generationen,...
... Rückschläge, Kostenstei gerungen, gelegentliche Zweifel am Erfolg, Stillstand, Wech sel der Baustile – am Ende nicht perfekt, aber im Ergebnis ein zigartig und großartig. Bauen wir weiter an unserem gemein samen Haus Europa!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol legen! Wir haben, wie wir jetzt wohl bei einigen Stellungnah men feststellen werden, doch eine unterschiedliche Wahrneh mung der Realität in unserem Land und des öffentlichen Dis kurses. Unser Denkansatz ist einfach schon ein ganz anderer als Ihrer, meine Herren und Damen von der AfD.
Wir gehen von Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Men schenrechte aus, der besagt:
Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.
Der Schutz dieser fundamentalen Rechte ist eine der wichtigs ten Aufgaben eines modernen und demokratischen Staates und ist daher auch in unserem Grundgesetz verankert. Jede Waffe aber stellt eine potenzielle Bedrohung für Leib und Leben dar. Daher ist klar: Waffen bedürfen stets einer besonderen Sorg faltspflicht und Verantwortung.
Dies sehen übrigens auch viele private Waffenbesitzer so. Ge rade die vielen Jäger und Sportschützen kennen auch die Ge fahren von Pistolen und Gewehren, wenn diese in falsche Hände geraten.
Nein. Ich denke, die AfD hat noch Gelegenheit, ihre Position zu erläutern.
Ich darf kurz an den schreck lichen Amoklauf von Winnenden 2009 erinnern. Ein jugend licher Täter nahm 15 Menschen das Leben und tötete sich an schließend selbst. Möglich wurde dies, weil der Amokläufer die Tatwaffen aus dem Bestand seines Vaters entwenden konn te. Offensichtlich hat damals der Verschluss nicht geklappt.
Ich gehe davon aus, dass vielen Menschen eine Warnung ist, was damals passiert ist, und dass sie von sich aus sorgfältiger mit Waffen umgehen. Aber wir, der Staat, sind natürlich ge fordert, das zu kontrollieren.
Wenn ich von 695 000 privaten Waffen allein in Baden-Würt temberg ausgehen darf,
dann sind die Kontrolle und die sachgerechte Verwahrung wichtigster Bestandteil unserer staatlichen Fürsorge beim The ma Waffenrecht.
Dafür braucht es natürlich entsprechendes Fachpersonal. Al lein 165 Mitarbeiter sind mit der Wahrnehmung waffenrecht licher Auflagen betraut; bei der Kontrolle sind dies weitere 70 Stellen.
Obwohl Waffenrecht Bundesrecht ist, kommen für die Durch führung der Maßnahmen und für die Bezahlung des Personals die Waffenbehörden vor Ort auf, also die Kreise und Gemein den.
Trotz guter Konjunktur und zahlreicher Maßnahmen unserer Landesregierung sind natürlich die Gestaltungsspielräume der Kommunen nicht unermesslich. Deshalb sehen wir Grünen es als sinnvoll an, dass Kreise und Gemeinden nicht nur die Pflicht zur Kontrolle der sicheren Waffenverwahrung haben, sondern auch die Möglichkeit, hierfür Gebühren zu erheben.
Da der Personalaufwand aufgrund steigender Waffenzahlen in unserem Land stetig zunimmt, gehen wir davon aus, dass künftig auch mehr Behörden von der Möglichkeit Gebrauch machen werden, Gebühren für Waffenkontrollen zu erheben.
Wir sehen hier auch keine Benachteiligung von Waffenbesit zern, wenn diese an den Kosten der Waffenkontrollen betei ligt werden –
und wir reden hier nur von einer Teildeckung der anfallenden Verwaltungskosten und nicht von gewinnbringenden Einnah men; darauf möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrück lich hinweisen.
Sämtliche Gerichtsverfahren haben die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsgebühren
bestätigt.
Nun schlagen Sie, meine Damen und Herren von der AfD, vor, dass Waffenbesitzer bei Kontrollen, zu denen kein Anlass besteht, von Gebühren befreit werden sollen. Hier stellt sich für uns die Frage: Was ist denn ein Anlass für solche Kontrol len?
Für uns Grüne gilt: Der Schutz von Leben und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger ist Anlass genug für Waffenkontrol len. Die Kontrollergebnisse bestätigen uns darin. So kam es 2015 bei über 9 % der Kontrollen zu Beanstandungen der Auf bewahrungssituation.
In 373 Fällen waren die Verstöße so schwerwiegend, dass Bußgeld- oder Strafverfahren eingeleitet werden mussten; zum Teil erfolgte auch ein Widerruf der Waffenbesitzkarte.
Sie, meine Damen und Herren von der AfD, schlagen vor, die Kontrolle bei ordnungsgemäß aufbewahrten Schusswaffen ge bührenfrei zu stellen. Sie verlassen damit das Verursacherprin zip
und bürden alle anfallenden Kosten der Allgemeinheit auf. – Nur um Sie richtig zu verstehen: Sollten auch Fahrzeugbesit zer demnächst nur noch für jene Autos TÜV-Gebühren bezah len, die Mängel aufweisen?
Dafür haben nicht nur wir Grünen kein Verständnis, sondern vermutlich auch die meisten Steuerzahler hier im Land. Wir wollen sichere Autos im Straßenverkehr, und wir wollen na türlich auch, dass alle Waffen sicher verwahrt werden.
Und wir wollen das Verursacherprinzip nicht außer Acht las sen.
Ihr Vorschlag wäre weder bei Autos sinnvoll, noch ist er es bei Waffen, wenn es darum geht, das öffentliche Interesse an Sicherheit und staatlichem Schutz zu wahren und einen ver antwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern zu betreiben. Daher lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Briten verlassen die Eu ropäische Union. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU geht es nicht um deren Erweiterung, sondern um den Verlust eines Mitgliedsstaats – ein herber Rückschlag, den wir ge meinsam und geschlossen überwinden müssen. Aber ich bin überzeugt: Wir schaffen das. Niemand reißt sein Haus ab, nur weil es renovierungsbedürftig ist. Ich denke, wir stehen zu sammen und renovieren und erhalten unser gemeinsames Haus, und wir entwickeln es weiter.
Was wir jedoch verurteilen, ist die Brexit-Kampagne, die in weiten Teilen auf populistischem, teilweise rassistischem und fremdenfeindlichem Gedankengut beruhte. Ein für alle Sei ten fairer Austrittsprozess muss jetzt starten, damit die durch das Brexit-Votum ausgelöste große Unsicherheit schnellst möglich beendet und das Vertrauen in die EU nicht weiter be schädigt wird.
Es geht darum, den Zusammenhalt der verbleibenden 27 EUMitgliedsstaaten zu bewahren und zu stärken. Nachdem The resa May am 29. März endlich ihr Austrittsgesuch überreicht hat, hat der Europäische Rat Leitlinien für den Brexit be schlossen. Die 27 verbleibenden EU-Staaten wollen zusam menhalten und mit einer Stimme verhandeln. Der Austritt soll in Phasen gegliedert werden, auch, um eine größtmögliche Rechtssicherheit für Bürgerinnen und Bürger sowie für Un ternehmen zu wahren.
Das Königreich soll auch künftig ein enger Partner der EU bleiben, wobei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rech ten und Pflichten selbstverständlich ist. Rosinenpickerei soll also ausgeschlossen werden, und das ist auch gut so.
Es gilt der Grundsatz: Nichts ist verhandelt, solange nicht al les verhandelt ist. Der gesamte Finanzrahmen der EU muss
künftig ohne den zweitgrößten Nettozahler gestaltet werden. Der finanzielle Beitrag Großbritanniens wird fehlen; das sind etwa 12,5 Milliarden € jährlich. Ob die anderen Mitgliedsstaa ten sich finanziell stärker einbringen wollen, ist noch offen. Die noch bestehenden britischen Verpflichtungen, um die zur zeit gestritten wird, werden auf 60 bis 100 Milliarden € ge schätzt.
Der Brexit schwächt Großbritannien aber auch innenpolitisch. Die Auflösung des Parlaments und das erneut angestrebte Un abhängigkeitsreferendum in Schottland offenbaren, wie viel auch dort mit einem Austritt aus Europa auf dem Spiel steht. In London allein droht der Verlust von 75 000 Arbeitsplätzen in der Finanzbranche.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch für Baden-Württem berg erwarten wir als Folge des Brexits Einbußen, und zwar vor allem für Maschinen- und Autobauer sowie für die pharma zeutische Industrie. Wir erwarten einen Rückgang wissenschaft licher Kooperationen im Forschungsprogramm Horizon 2020, weniger Auslandsaustausch junger Menschen mit ERASMUS und weniger europäische Medienförderung. Das schmälert un sere gemeinsamen europäischen Ressourcen, um im Wettbe werb der globalen Wissensgesellschaft auch künftig mithalten zu können. Die Mobilität von Gedanken, Ideen und Menschen ist Teil unserer europäischen Identität, die uns bei aller Viel falt der Kulturen in Europa stärkt.
Für die verbleibenden Mitglieder ist der Brexit ein Weckruf, der vielleicht gerade wegen vieler Unsicherheiten mit der Chance einhergeht, den Prozess der europäischen Integration neu zu beleben und notwendige Reformen beherzt anzugehen. Die Regelungstiefe so mancher Richtlinien und Verordnun gen müssen wir hinterfragen, und wir müssen uns entschei den, wo wir eine engere Zusammenarbeit in wesentlichen Fra gen brauchen – Fragen, in denen der Nationalstaat für sich al lein in der globalisierten Welt nicht handlungsfähig ist, etwa in der Sicherheitspolitik, beim Klimawandel, in der Umwelt- und Energiepolitik oder bei der Fiskal- und Wirtschaftspoli tik. Hier muss die EU dringend Gestaltungskraft beweisen.
Deshalb sind wir Grünen über den Ausgang der Wahl in Frankreich auch erst einmal sehr erleichtert. Mit Emmanuel Macron zieht ein überzeugter Proeuropäer und Garant der deutsch-französischen Freundschaft in den Elysée-Palast ein. Für uns ist natürlich auch entscheidend, dass nach dem Bre xit kein „Frexit“ droht. Aber hierzu hören Sie morgen mehr von meinen Kollegen.
Krisen bieten uns die Chance, uns neu aufzustellen und ge stärkt daraus hervorzugehen. Nutzen wir dies, wir als Land Baden-Württemberg, als eine Region, die ganz besonders von der europäischen Zusammenarbeit profitiert!
Vielen Dank. – Sehr geehr ter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt gibt es eine Tour durch Europa innerhalb von fünf Minuten. Auf Vollständigkeit kann ich dabei keinen Wert legen.
Am 25. März feiern wir das 60-Jahr-Jubiläum der Römischen Verträge hier im Landtag, die Vision eines geeinten Europas aus den Trümmern zweier Weltkriege, die Realität geworde ne Vision von Frieden, Zusammenarbeit und gemeinsamem Wohlstand.
Leider ist in dieser Woche auch eine andere Schlagzeile durch die Medien gegangen. Sie lautete: „Ungarn baut Internie rungslager für Flüchtlinge.“ Das tut weh, denn ich kenne noch ein anderes Ungarn, ein Ungarn, das den Eisernen Vorhang 1989 aufgeschnitten hat und vielen Ostdeutschen – ich war damals eine davon – den Weg in den freien Teil Europas ge ebnet hat.
Geschichte entwickelt sich leider nicht linear. Demokratische und zivilisatorische Fortschritte können auch rückabgewickelt werden; wir sehen es gerade in der Türkei und in den Verei nigten Staaten – und eben auch in Ungarn.
Wir Grünen und die meisten Mitglieder dieses Landtags er kennen den Mehrwert eines geeinten Europas, das mit all sei nen Unzulänglichkeiten und gelegentlichen Pannen doch bes ser ist als Mauern, als Kleinstaaterei und Krieg, nicht nur, weil wir Exportweltmeister sind und ein existenzielles wirtschaft liches Interesse am internationalen Handel haben, sondern auch, weil wir künftige Herausforderungen nur gemeinsam lösen können.
Wirtschaft und Tourismus brauchen grenzüberschreitende Ver kehrswege. Dem Klimawandel kann man nur gemeinsam be gegnen. Regenerative Energieerzeugung und entsprechende Netze sind wirtschaftlicher im Verbund. Moderne Informati onstechnologien oder der Kampf gegen den Terrorismus – na hezu alle Projekte der Zukunft sind auf enge Zusammenarbeit angelegt.
Besonders deutlich wird dies in unserer Grenzregion, bei spielsweise am Oberrhein oder am Bodensee. Mit der Zusam menarbeit im Rahmen der deutsch-französisch-schweizeri schen Regierungskommission gehen wir Themen wie grenz
überschreitendes Arbeiten, Ausbildung im Nachbarland, Ver kehrsinfrastrukturprogramme, Katastrophenhilfe oder Ge sundheitswesen gemeinsam an. Die Bürgerinnen und Bürger beiderseits des Rheins profitieren davon. Getreu dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ verweist Europaminister Gui do Wolf im vorliegenden Bericht auf vielfältige Aktivitäten wie Infoveranstaltungen, Konferenzen, Theaterstücke oder Schülerfahrten zum EU-Parlament. Im November z. B. fand ein Treffen der Donauraumstrategie zu den Themen Wissen, Innovation und Wasser statt. Staatsrätin Gisela Erler hat eine Reihe mit Dialogforen zwischen Politik und Bürgerschaft er öffnet.
Aus der Zivilgesellschaft mahnen Unterstützergruppen einen humanen Umgang mit Flüchtlingen an und helfen Menschen, die zu uns gekommen sind, bei der Integration. Inzwischen gibt es in Baden-Württemberg 21 JEF-Gruppen, junge Euro päer, die mit Interrail-Ticket und Studienaustauschprogram men groß geworden sind. Diese wollen ihre Lebenschancen nicht durch Protektionismus beschneiden lassen.
Inzwischen gibt es sogar proeuropäische Demonstrationen in deutschen Städten. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren ge dacht? Tausende Menschen zeigen Flagge für Europa, für De mokratie, gegen nationalistische und rassistische Tendenzen in der Gesellschaft.
Wie attraktiv die Europäische Union ist, zeigen die Beitritts verhandlungen mit Albanien, Mazedonien und Montenegro, während ein Beitritt der Türkei leider in weite Ferne rückt.
Wie in jeder Großfamilie gibt es natürlich – –
Vielen Dank, Herr Präsident. – Wie in jeder Großfamilie gibt es natürlich auch in Europa Probleme, unterschiedliche Meinungen und Bedürfnisse. Nachdem CETA im EU-Parlament mehrheitlich zugestimmt wurde, sehen wir in Deutschland durchaus noch offene Fra gen und warten auf die Entscheidung des Bundesverfassungs gerichts.
Das Hähnchengehabe bringt doch nichts. Ich meine, Sie haben doch auch Redezeit, und Sie können die auch in voller Länge ausschöpfen. Gönnen Sie mir doch auch die meine.
Mit der Idee des harten Brexits könnte Premierministerin May dem Vereinigten Königreich einen Bärendienst erweisen. Schottland z. B. treibt die Sorge um den Verbleib im EU-Bin nenmarkt und den Erhalt der Freizügigkeit um. Die Verhand lungen über die künftige Finanzierung des EU-Haushalts ab 2020 ohne die Briten werden sowieso schwieriger. Die Dis kussion über Maßnahmen und das Volumen künftiger Förder programme ist bereits eröffnet.
In diesem Jahr werden die Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich sowie auch bei uns in Deutschland zeigen, wie stark rechte Parteien ihr Gedankengut in der Gesellschaft ver ankern konnten.
Aber auch die Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, Migrationsbewe gung und die demografische Entwicklung auf unserem Kon tinent zwingen zur Suche nach neuen Lösungen. So hat EUKommissionspräsident Juncker kürzlich ein Weißbuch mit fünf Szenarien zur Zukunft der EU vorgestellt.
Oh! Darf ich noch drei Sät ze sagen?
Einen Satz. Okay.
Diese Szenarien reichen von der Reduzierung auf wirtschaft liche Zusammenarbeit über das Europa der konzentrischen Kreise bis hin zu einem reinen „Weiter so!“. Einem reinen „Weiter so!“ können wir nicht zustimmen. Wir wollen refor mieren, wir müssen reformieren: für mehr Demokratie, für mehr Gemeinsamkeit in Europa, für den Abbau sozialer Spal tung und für eine Stärkung unserer gemeinsamen Demokra tie.
Vielen Dank.