Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Callcenter/Kundenservice abzubauen bzw. nach Frankfurt/Oder bzw. an einen anderen Standort zu verlagern.

Wir haben sofort reagiert, interveniert und uns schriftlich an Herrn Obermann gewandt. Der Wirtschaftssenator und ich haben Hilfestellung bei der Konzentration der bestehenden fünf Callcenter angeboten. Wir konnten anlässlich der Ansiedlung eines großen Callcenters mit 1 000 Arbeitsplätzen sehen, dass die Standortbedingungen in der Region für Callcenter günstig sind.

Gestern fand eine Betriebsversammlung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt, die von ihrer Geschäftsführung Auskunft über die Hintergründe verlangten. Der Wirtschaftssenator und ich haben – es waren auch Abgeordnete anwesend – noch einmal deutlich gemacht, dass wir keine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit für diesen Schritt sehen. Wir haben seitens des Senats angeboten, gemeinsam mit der Telekom, den Gewerkschaften und den Betriebsräten nach Lösungen zu suchen.

Ich kann nur immer wieder den dringenden Appell an das Management der Telekom richten, nicht über die Köpfe der Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräte hinweg zu entscheiden und das Gespräch über Lösungsmöglichkeiten im Interesse des Unternehmens und der Betroffenen zu suchen. Mein zweiter Appell richtet sich an den größten Shareholder des Unternehmens, nämlich an die Bundesregierung, die auch Verantwortung trägt. Wenn man 30 Prozent der Aktien hält, kann es nicht die Haltung der Bundeskanzlerin sein, einerseits – auch seitens der CDU – die soziale Marktwirtschaft zu propagieren und andererseits von einer reinen Unternehmensentscheidung zu sprechen. Es ist eben keine reine Unternehmensentscheidung, wenn sie nicht nachvollziehbar ist. Vielmehr geht es um den Abbau von 920 Arbeitsplätzen, wobei immer ganze Familien betroffen sind. Denen gilt unsere Solidarität. Für sie kämpfen wir an der Seite der Beschäftigten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Frau Kollegin Grosse hat eine Nachfrage. – Bitte!

Herr Regierender Bürgermeister! Können Sie sich vorstellen, dass Subventionen, die eventuell vom Land Brandenburg gezahlt werden, wenn die Arbeitsplätze nach Frankfurt/Oder verlagert werden, eine Rolle spielen?

Bitte, Herr Regierender Bürgermeister!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Das will ich mir nicht vorstellen. Wenn es so wäre, würden wir intervenieren. – Ich habe eher den Eindruck, dass auf dem Weg nach Frankfurt/Oder viele Beschäftigte verlorengehen sollen. Sonst macht eine solche Maßnahme betriebswirtschaftlich keinen Sinn. Es gibt die Beschäftigungssicherungsvereinbarung. Weil in dem Bereich zu 70 Prozent Frauen beschäftigt sind, die sich aufgrund ihrer Kinder u. a. einen längeren Fahrweg oder einen Ortswechsel nicht leisten können, habe ich den Eindruck, dass auf diese zynische Weise Arbeitsplätze abgebaut und Mitarbeiter zu Abfindungen gedrängt werden sollen.

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister!

Jetzt geht es mit dem Kollegen Ueckert von der CDUFraktion weiter. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Ich habe ein Zuständigkeitsproblem. Kann ich der Innenverwaltung eine Frage stellen? Ist Herr Härtel noch ansprechbar, obwohl er nicht mehr auf der Senatsbank sitzt?

Nein, Herr Kollege Ueckert! Spontane Fragen können nur an einen anwesenden Senator gerichtet werden.

Dann wende ich mich an die Senatorin Junge-Reyer: Wie bewertet der Senat den gestrigen Gaspistolenangriff eines Radfahrers auf einen Mitarbeiter der GASAG auf einem Gehweg in der Josef-Orlopp-Straße?

Bitte, Frau Senatorin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Ueckert! Der Senat verurteilt tätliche Angriffe auf jede Bürgerin und jeden Bürger von welcher Seite auch immer. Das ist völlig unabhängig von dem benutzen Verkehrsmittel.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Lassen Sie uns eine solche Frage nicht auf diese Weise zum Gegenstand der Erörterung machen. Tätliche Angriffe im öffentlichen Personennahverkehr und auf der Straße, wo und gegen wen auch immer, sind scharf zu verurteilen.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Danke schön, Frau Senatorin! – Der Kollege hat eine Nachfrage. – Bitte schön!

Ich danke für Ihre Antwort, Frau Senatorin, auch wenn Sie sie in einer gewissen Schärfe vorgetragen haben! – Meine Nachfrage soll meine Zielrichtung verdeutlichen: Was halten Sie von einer Kennzeichnungspflicht für Fahrräder, um Straftätern schneller habhaft werden zu können?

Bitte, Frau Senatorin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie soll die Kennzeichnungspflicht für Fahrräder aussehen? Glauben Sie, wir könnten an Fahrrädern Kennzeichen in der Größe anbringen, wie es beim individuellen Kraftverkehr der Fall ist, oder sollten alle Fahrradfahrerinnen und -fahrer ein entsprechendes Zeichen auf dem Rücken tragen?

[Christian Gaebler (SPD): Bei zwei Millio- nen Radfahrern!]

Lassen Sie uns, bevor wir an die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten denken, an alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer die Aufforderung richten, im Straßenverkehr Rücksicht zu nehmen. Das lehrt der § 1 der Straßenverkehrsordnung. Schon Schulkinder müssen angehalten werden, Rücksicht zu nehmen, aufeinander aufzupassen und auf Gewalt zu verzichten. Wenn wir einen derartigen Appell an alle richten, sind wir besser beraten, als wenn wir ständig nach Kennzeichnung, Identifikation und Strafverfolgung rufen.

Danke schön, Frau Senatorin!

Jetzt geht es mit dem Kollegen Brauer von der Linksfraktion weiter. – Sie haben das Wort!

Meine Frage richtet sich an Senator Wolf: Angesichts der Irritationen der letzten zwei Tage hinsichtlich einer Positionierung des Landes Berlin im Bundesrat zur Künstlersozialkasse, möchte ich wissen, wie Sie das Problem einschätzen und was Sie zu tun gedenken, Herr Wolf.

Bitte schön, Herr Wolf!

Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Brauer! Im Bundesrat lag im Rahmen eines ausführlichen Pakets zum Abbau bürokratischer Hemmnisse und zur Förderung der Mittelstandsfreundlichkeit in der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses ein Antrag mehrerer Bundesländer vor, in dem die Abschaffung der Künstlersozialversicherung bzw. deren Reformierung gefordert wurde. Das Land Berlin hat sich im Wirtschaftsausschuss enthalten, wobei man sagen muss, dass eine Enthaltung im Bundesrat ungefähr so viel wert ist wie eine Nein-Stimme.

Aus meiner Sicht ist die Abschaffung der Künstlersozialkasse indiskutabel. Gegenwärtig diskutiert die Wirtschaft darüber – das ist vielleicht der Hintergrund der derzeitigen Situation –, dass die deutsche Rentenversicherung im Jahr 2007 eine Revision vorgenommen und dabei die gesetzlich festgelegte Abgabenverpflichtung für Unternehmen, die Freiberufler beauftragen, die in den Geltungsbereich der Künstlersozialkasse fallen, überprüft hat. Das bedeutet, das beispielsweise ein Bäckermeister, der einen Grafiker mit der Gestaltung seiner Werbung beauftragt, Abgaben an die Künstlersozialkasse leisten muss. Die Mittelständler haben vorab keine Information über diese Abgabenpflicht erhalten.

Die Künstlersozialkasse hat das früher nie eingetrieben und hat auch nicht darüber informiert. Die Revision, die gegenwärtig von der Deutschen Rentenversicherung durchgeführt wird, gilt für die letzten fünf Jahre rückwirkend, sodass es für einige zu erheblichen Belastungen kommt. Ich habe in einem Brief darum gebeten, hierbei ein vernünftiges Verfahren zu finden, frühzeitige Informationen zu geben und gegebenenfalls zu Regelungen wie Stundungen zu kommen.

Es geht also darum, an dieser Stelle vernünftige Lösungen für die betroffenen Unternehmen zu erreichen. Das hat aber mit der Abschaffung der Künstlersozialversicherung nichts zu tun. Wenn dieser Antrag in das Bundesratsplenum kommt, werde ich dafür votieren, diesen Antrag abzulehnen, und ich habe keinen Zweifel daran, dass das eine gemeinsame Position im Senat ist.

[Beifall bei der Linksfraktion – Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Richtig!]

Kollege Brauer hat keine Nachfrage.

Dann geht es mit dem Kollegen Mutlu weiter. – Bitte, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Frage richtet sich an den Regierenden Bürgermeister: Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wowereit! Wie bewerten Sie die jüngsten Strukturvorschläge des Bildungssenators zur mittelfristigen Umgestaltung des Berliner Schulsystems mit dem Ziel der Abschaffung der Hauptschule, des Sitzenbleibens und des Abstufens sowie der Reform der Gymnasien, um zu mehr Bildungsgerechtigkeit zu kommen? Unterstützen Sie diesen Kurs?

Herr Regierender Bürgermeister – bitte schön!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Mutlu! Ich hätte nicht geglaubt, dass wir so schnell hier im Plenum signalisieren können, dass Sie mit mir einer Meinung sind, dass die Vorschläge des Bildungssenators hervorragend und dringend erforderlich sind, um die Situation der Hauptschule zu verändern, weil jeder weiß, dass sie keine Perspektive mehr hat. Das, was der Bildungssenator vorgeschlagen hat, zeigt den Weg auf, wie wir ein verbessertes Schulsystem bekommen, und zwar nicht nur im Interesse der Hauptschülerinnen und Hauptschüler, sondern für alle Schüler. Deswegen werden wir ihn tatkräftig dabei unterstützen.

Ich hoffe, dass die bildungspolitische Öffentlichkeit dies als einen Diskussionsvorschlag aufnimmt und sich jenseits von Eigeninteressen die Frage stellt, wie wir Barrieren überwinden können. Das bedeutet auch, dass die Schulen, die mit in den Prozess hineinkommen müssen wie z. B. die reinen Realschulen, nicht sofort die Läden dichtmachen und sagen: Nein, wir fühlen uns ganz wohl dabei, wie es jetzt ist! – Vielmehr sollten auch die kombinierten Haupt- und Realschulen erklären, dass sie sich verändern müssen, und auch die Hauptschulen, die teilweise die Tendenz haben, allein für sich zu bleiben, sollten sich öffnen.

Das ist eine große Herausforderung. Wir wissen, dass bildungspolitische Debatten in diesem Land – nicht nur in Berlin, sondern insgesamt in Deutschland – äußerst komplizierte und oft ideologisch befrachtete Debatten sind. Aber hier muss eine Lösung im Interesse der Schülerinnen und Schüler gefunden werden, und deshalb müssen alle ihre ideologischen Schranken ablegen und konstruktiv daran arbeiten, dass das bisherige, ineffektive System überwunden werden kann.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Kollege Mutlu hat das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte!

Ich freue mich außerordentlich über diese Antwort, weil sie sich sehr mit unseren Vorstellungen deckt. Insofern habe ich auch keine Nachfrage mehr.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Daniel Buchholz (SPD): Das ist verdächtig!]

Jetzt hat Kollege Jotzo das Wort zu einer Frage. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Ich frage in Abwesenheit des Senators für Inneres den Regierenden Bürgermeister: Wie beurteilen Sie das Sicherheitskonzept sowie die Einsatzplanung und vor allem die Einsatzleitung der Sicherheitskräfte anlässlich der Eröffnung der O2-World am gestrigen Tage in Anbetracht der Tatsache, dass Randalierer dort die Bühne eines Radiosenders gestürmt haben und diese Randale dazu führte, dass die Veranstaltung erst mit erheblicher Verspätung beginnen konnte?

Herr Regierender Bürgermeister!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Ich bitte um Nachsicht, dass ich nicht in die Details des Sicherheitskonzepts der Berliner Polizei eingeweiht bin. Ich habe festgestellt, dass es dort eine große Polizeipräsenz gab, weil zu erwarten war, dass es zu Störungen kommt, oder Störungen geplant waren.

Ich möchte aber etwas zum Inhaltlichen sagen: Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass Menschen, die einer anderen Auffassung sind, ihr Demonstrationsrecht nicht friedlich wahrnehmen. Jeder kann in unserer Demokratie seine Meinung äußern und Demonstrationen anmelden, aber er hat das friedlich zu tun. Insofern werden die gewalttätigen Übergriffe von mir verurteilt, und ich glaube, ich spreche hierbei im Namen aller Anwesenden: Wir können es nicht hinnehmen, dass Demonstrationen gewalttätig enden – egal, zu welchem Zweck. Dazu hat keiner das Recht.

Zum anderen möchte ich noch einmal betonen, dass ich auch inhaltlich nicht verstehen kann, wieso man dagegen protestiert, dass die O2-World gestern ihre Tore geöffnet hat. Dort entstehen direkt mit dem Betrieb über 1 000 neue Arbeitsplätze. Weitere Tausende von Arbeitsplätzen hängen dort mit dran. Zudem handelt es sich um eine Entwicklung auf einer ehemaligen Brache, die für niemanden eine Wohn- oder Lebensqualität dargestellt hat. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis dafür.