Protokoll der Sitzung vom 15.11.2000

Die achte Anfrage trägt die Überschrift „Abschiebung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge“. Die Anfrage ist unterschrieben von den Abgeordneten Frau Stahmann, Frau Linnert und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bitte, Frau Kollegin!

Wir fragen den Senat:

Erstens: Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter 18 Jahren haben sich bisher in diesem Jahr in Bremen in Abschiebehaft befunden und sind abgeschoben worden?

Zweitens: Ist in allen Fällen der Vormund beziehungsweise Amtsvormund hinzugezogen und eine sozialpädagogische Betreuung während der Haft eingerichtet worden?

Drittens: Nach welchen Kriterien entscheidet der Senat, ob nach der Abschiebung eine kind- oder jugendgemäße Inobhutnahme im Heimatland gesichert ist?

Die Anfrage wird beantwortet durch Herrn Senator Dr. Schulte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu eins: In der Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 2000 wurden im Land Bremen vier minderjährige unbegleitete Ausländer in Abschiebehaft genommen und abgeschoben. Drei Ausländer waren zum Zeitpunkt der Inhaftnahme über 16 Jahre alt und damit ausländer- und asylrechtlich handlungsfähig, eine Ausländerin war 15 Jahre alt.

Zu zwei: Eine Vormundschaft war in allen Fällen nicht einzurichten. Nach den ausländer- und asylrechtlichen Vorschriften sind Ausländer mit der Vollendung des sechzehnten Lebensjahres handlungsfähig. In dem Fall des fünfzehnjährigen Mädchens lag kein Asylbegehren vor. Im Falle der Zurückschiebung beziehungsweise Abschiebung von Ausländern, die das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist die Einschaltung des Jugendamtes oder des Vormundschaftsgerichts nicht erforderlich. Nach Angaben des Amtes für Soziale Dienste Bremen wurde die genannte unter sechzehnjährige Minderjährige mit bulgarischer Staatsangehörigkeit zeitweilig gemäß Paragraph 42 SGB VIII in Obhut genommen. Im Rahmen seiner Jugendhilfestellentätigkeit ist es dem Jugendamt im Sinne des Haager Minderjährigenschutzabkommens gelungen, Kontakt zu den Angehörigen im Herkunftsland herzustellen.

Zu drei: Die Ausländerbehörden sind per Erlass angewiesen, vor der Abschiebung minderjähriger unbegleiteter Ausländer sicherzustellen, dass eine dem Alter des Minderjährigen entsprechende angemessene Aufnahme und Betreuung bei Ankunft im Herkunftsland erfolgt. Sofern Eltern, Verwandte oder sonstige Betreuungspersonen nicht bekannt sind, sind diese von den Ausländerbehörden zu ermitteln, gegebenenfalls unter Einschaltung der deutschen Botschaft in dem jeweiligen Herkunftsland.

Sind Angehörige oder sonstige Betreuungspersonen nicht zu ermitteln, ist zu klären, ob staatliche oder karitative Einrichtungen des Herkunftslandes die angemessene Aufnahme und Betreuung übernehmen können. Eine Abschiebung darf erst dann erfolgen, wenn die deutsche Botschaft mitgeteilt hat, dass eine angemessene Aufnahme und Betreuung sichergestellt ist. Anderenfalls ist eine Abschiebung erst bei Eintritt der Volljährigkeit durchzuführen.

Dieses Verfahren entspricht den Vorgaben einer entsprechenden Entschließung des Rates der Europäischen Union aus dem Jahre 1997. Von den Ämtern für Soziale Dienste wird vor einer Abschiebung gegebenenfalls der Internationale Sozialdienst eingeschaltet. – Soweit die Antwort des Senats!

Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Informieren Sie als Innensenator regelmäßig die Sozialbehörde darüber, dass minderjährige Flüchtlinge in der Abschiebehaft sitzen, und wie stellen Sie da eine sozialpädagogische Betreuung sicher? Dazu sind Sie ja nach dem SGB VIII verpflichtet.

Bitte, Herr Senator!

Die Information erfolgt. Wir haben aber diesen Fall zum Anlass genommen, noch

einmal intensiver die Kontaktaufnahme zwischen den beiden Ressorts sicherzustellen, damit eine rechtzeitige Information gewährleistet werden kann. Wir haben diese Frage ja sehr ausführlich in der Innendeputation besprochen, und es ist eingeräumt worden, dass wir die Inhaftnahme dieser Fünfzehnjährigen nicht rechtfertigen können. Es ist auch deutlich geworden, dass wir, und das wird auch erfolgen, wie die entsprechenden Verwaltungsvorschriften vorsehen, für eine rechtzeitige Information über die Ausweisung durch die Ausländerbehörden sorgen.

Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Kann ich also davon ausgehen, dass es nicht wieder vorkommt, dass unter Sechzehnjährige neun Tage allein in der Abschiebehaft sitzen und stattdessen angemessen sozialpädagogisch betreut werden und in einem der Heime untergebracht werden, die dafür eigentlich auch ausgelegt sind, und teilen Sie mit mir die Auffassung, dass auch die UN-Kinderrechtskonvention gilt, nach der deutsche und ausländische Jugendliche unter 18 Jahren gleich zu behandeln sind, und dass da nicht auf einmal eine Grenze eingezogen wird von 16 Jahren bei ausländischen Jugendlichen?

Bitte, Herr Senator!

Ich teile Ihre Auffassung, dass es dringend notwendig ist, dass hier die Information zwischen beiden Ressorts verbessert werden muss. Das ist auch verabredet. Ich sagte ja schon, dass die entsprechenden Verwaltungsvorschriften des Ausländergesetzes, die erst zum 7. Oktober in Kraft getreten sind, genau das beinhalten, was Sie gefragt haben. Es wird jetzt noch einmal durch eine Erläuterungsverfügung unseres Hauses sichergestellt bei den Ausländerämtern, dass es auch befolgt wird.

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Bevor ich die neunte Anfrage aufrufe, begrüße ich auf dem Besucherrang Teilnehmerinnen des Kurses „Neuer Start ab 35“, durchgeführt vom Bremer Frauenausschuss, Landesfrauenrat Bremen. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Die neunte Anfrage in der Fragestunde befasst sich mit dem Thema „Schutz vor Gesundheitsrisiken durch BSE“. Die Anfrage trägt die Unterschriften der Abgeordneten Frau Dr. Mathes, Frau Hoch, Frau Linnert und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich bitte die Fragestellerin, die Anfrage vorzutragen!

Wir fragen den Senat:

Erstens: Wie bewertet der Senat die von den Verbraucherverbänden geforderte Durchführung von BSE-Schnelltests, um das Risiko der Erkrankung an der neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu reduzieren?

Zweitens: Wie wird sich der Senat zu der niedersächsischen Bundesratsinitiative für ein Einfuhrverbot von Rindfleisch aus Frankreich und Großbritannien verhalten?

Zur Beantwortung erhält das Wort Frau Senatorin Adolf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu eins: BSE-Schnelltests können ein wichtiges diagnostisches Mittel sein, um Fälle von BSE-Erkrankungen bei Rindern aufzudecken. Mit den bisher entwickelten BSE-Schnelltestsystemen ist es jedoch nicht möglich, geringe Mengen des Erregers, wie sie bei zwar schon infizierten, aber noch nicht klinisch erkrankten Rindern vorhanden sind, zu erkennen.

Zur Schlachtung gelangen aber aufgrund gesetzlicher Vorgaben und strenger Überwachung nur klinisch gesunde Rinder. Daher bietet der BSE-Schnelltest nach jetzigem Erkenntnisstand keine Gewähr dafür, dass sich in mit negativem Ergebnis untersuchten Schlachtkörpern auch tatsächlich kein BSE-Erreger befindet.

Sinnvoll ist der BSE-Schnelltest dagegen bei der Untersuchung von verendeten oder aus Krankheitsgründen getöteten Rindern. Hierbei handelt es sich mehrheitlich um ältere Tiere, die, falls sie an BSE erkrankt sind, während des längeren Krankheitsverlaufs hohe Konzentrationen des Erregers vor allem im Gehirn aufweisen, die durch den BSE-Schnelltest positiv angezeigt werden können.

Wenn bei solchen Untersuchungen BSE-positive Tiere gefunden werden, kann durch gezielte Umgebungsuntersuchungen verhindert werden, dass Schlachttiere aus den Herkunftsbeständen als Nahrungsmittel in den Verkehr kommen.

Der Senat lehnt daher die von Verbraucherverbänden geforderte Durchführung von BSE-Schnelltests im Rahmen der Schlachttier- und Fleischuntersuchung ab, weil erstens der erhebliche Aufwand von zirka 100 DM pro BSE-Schnelltest bei der Untersuchung von Schlachtrindern die Sicherheit des Verbrauchers nicht verbessern kann und zweitens die Bundesrepublik Deutschland nach Bewertung des Internationalen Tierseuchenamtes in Paris, OIE, frei von BSE ist.

Die EU verpflichtet die Mitgliedstaaten durch Entscheidung 2000/374/EG, ab 2001 ein Monitoringverfahren zur stichprobenweisen Untersuchung von verendeten Rindern mit BSE-Schnelltests durchzuführen. Es laufen zurzeit Bestrebungen, in Deutschland dieses Monitoring erheblich zu erweitern und alle über zwei Jahre alten verendeten Rinder mit dem Schnelltest zu untersuchen. Der Senat unterstützt die Erweiterung dieses Monitoringprogrammes, da damit ein mögliches BSE-Geschehen frühzeitig aufgedeckt werden könnte.

Zu zwei: Es liegen mehrere Anträge im Bundesrat vor. In der Sitzung vom 10. November 2000 wurde das Thema ausgesetzt, und die Anträge sind an die Ausschüsse überwiesen worden. Der Senat wird seine Haltung nach Abschluss der Beratungen festlegen. – Soweit die Antwort des Senats!

Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Frau Senatorin, auch wenn der BSE-Schnelltest an Schlachttieren keine hundertprozentige Sicherheit gibt, würde die Durchführung dieser Tests aber sehr wohl die Chance zum Aufspüren eventuell infizierter, aber eben nicht auffälliger Rinder erhöhen. Das heißt, damit würde natürlich der Verbraucherschutz deutlich verbessert. Nicht umsonst kommen ja die Verbraucherverbände auch zu dieser Aussage, und es werden auch entsprechende Programme in einigen Ländern durchgeführt. Auch in Frankreich hat ja gerade das Durchführen von Tests ergeben, dass das Problem gravierender ist, als vermutet wurde. Die Erfahrungen in Großbritannien will ich jetzt nicht wiederholen.

Ist es also eigentlich in Anbetracht der Situation und dessen, was sich auch in Großbritannien abgespielt hat, nicht geboten, im Sinne des Verbraucherschutzes hier umgehend zu handeln und ein flächendeckendes Testen der Tiere durchzuführen? Ich meine, der Preis ändert sich sicherlich auch mit der Zeit.

Bitte, Frau Senatorin!

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass nach jetzigem Erkenntnisstand dieser Schnelltest den Schutz der Verbraucher nicht erhöht, wenn er bei Schlachttieren vorgenommen wird, und bei dieser Position bleibe ich zunächst auch. Sollten sich andere Erkenntnisse ergeben, dann bin ich natürlich jederzeit bereit, auch diese Position zu überprüfen. Nur, ein negativer BSE-Schnelltest heißt noch lange nicht, dass kein BSE vorliegt, das wissen Sie auch.

Zusatzfrage? – Bitte, Frau Kollegin Hoch!

Frau Senatorin, unterstützen Sie unsere Forderung nach Kontrolle vom Stall bis auf den Tisch, besonders unter dem Aspekt, dass die BSE-Verbreitung in England über verseuchtes Futtermittel erfolgt ist?

Bitte, Frau Senatorin!

Bremen hat sich in dieser Frage immer sehr klar positioniert, und Sie wissen, dass die Auszeichnungspflichten, die festgelegt sind, bisher nur in Großbritannien und Deutschland umgesetzt werden. Sollte die EU da nicht zu weiteren Maßnahmen greifen, dann müssten wir in Deutschland überlegen, auch national tätig zu werden. In diese Richtung gehen ja auch einige Anträge im Bundesrat. Meine persönliche Haltung dazu ist, dass man dann auch die Auszeichnung oder das Importverbot verstärken oder da auch radikal sein muss, wenn andere Länder ihrer Auszeichnungspflicht nicht nachkommen. Die Haltung des Senats wird dann im Bundesratsverfahren noch abgestimmt.

Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Frau Senatorin, wissen Sie, dass zurzeit in Bremen kaum beziehungsweise ganz selten Futtermittelkontrollen stattfinden?

Bitte, Frau Senatorin!

Es finden Futtermittelkontrollen statt. Wenn Sie dabei berücksichtigen, dass an bremischen Schlachthöfen in Bremen und Bremerhaven Tiere aus Mitgliedstaaten überhaupt nicht geschlachtet werden, dann relativiert sich auch manches. Ich glaube, dass die Kontrollen in ausreichendem Maße stattfinden.