Protokoll der Sitzung vom 21.01.2016

Das gemeinsame Petitum findet auch deshalb unsere Unterstützung, weil es eine weitere Stärkung der Erinnerungskultur in Hamburg bedeutet. Der Sinn von Erinnerungskultur, so wie wir sie verstehen, liegt nicht allein im Zurückerinnern an vergangene Ereignisse, Personen und gesellschaftlichpolitische Entwicklungen, sondern hat für unsere Gegenwart und Zukunft herausragende Bedeutung. Diese Bedeutung liegt zum einen darin, dass wir in der Auseinandersetzung mit Momenten unserer Vergangenheit unser heutiges Selbstverständnis als demokratische, soziale und offene Stadtgesellschaft stets neu herausbilden und schärfen können.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Zum Zweiten eröffnet die Auseinandersetzung mit der Geschichte immer die Chance, Wichtiges für unser heutiges und zukünftiges Zusammenleben und die politische Gestaltung seiner Rahmenbedingungen zu lernen. Oft eignen sich dafür auch Debatten um konkrete Geschehnisse und Personen. Und das gilt ganz bestimmt für Hindenburg, dessen Ehrenbürgerschaft der Anstoß für unsere Debatte war. Es gilt für Waldersee, und es gilt auch für weitere Personen, wie die Expertise aufzeigt.

Daher halten wir es für einen zukunftsweisenden Weg, Transparenz über die Umstände der Vergabe und über die eventuelle Kritik an den mit dem Ehrenbürgerrecht ausgezeichneten Personen herzustellen und Ehrenbürgerschaft beispielgebend in eine breite demokratische Diskussion einzubetten und so eine Erinnerungskultur mit hoher Akzeptanz zu schaffen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Herr Wersich von der CDU-Fraktion bekommt nun das Wort.

Verehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist geschafft: Nach ungefähr drei Jahren sind wir zu einem Ende gekommen mit diesem Antrag zum Umgang mit den Hamburger Ehrenbürgerschaften. Ich will noch einmal alle Kollegen, die nicht dabei waren, an diese denkwürdige Sitzung erinnern, denn ich habe es in meiner gesamten Zeit im Parlament seit 1997 nicht erlebt, dass die antragstellenden Fraktionen – SPD, GRÜNE, FDP und DIE LINKE – sich in der Debatte über ihren gemeinsamen Antrag so zoffen, dass wir ein oder zwei Sitzungsunterbrechungen hatten und dann statt des gemeinsamen Verabschiedens eines eigentlich unstrittigen Antrags dieser an den Ausschuss überwiesen und dieser ganze Rattenschwanz ausgelöst wurde. Das war denkwürdig, und ich danke heute noch Frau Professor Loretana de Libero für ihren engagierten Beitrag.

(Beifall bei Hendrikje Blandow-Schlegel SPD)

Das Ergebnis nach drei Jahren ist also: Hindenburg bleibt Ehrenbürger, er wird historisch aber besser eingeordnet. Aus unserer Sicht als CDU ist das richtig und es entspricht auch unserer Haltung 2013.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben gemeinsam im Ausschuss noch einmal festgestellt: Ehrenbürgerschaften werden zu Lebzeiten als Ehrung verliehen. Wer tot ist, ist eigentlich nicht mehr Bürger. Insofern ist der Ansatz, jemandem eine Bürgerschaft – eine Staatsbürgerschaft oder eine Ehrenbürgerschaft – zu entziehen, wenn er gar nicht mehr existiert, ohnehin schon etwas problematisch, und das sollte dann wirklich als symbolischer Akt auf die drastischen Ausnahmefälle Hitler und Göring beschränkt bleiben.

Das Zweite ist aber: Erinnern heißt, sich auseinanderzusetzen. Das Auslöschen von Erinnerung ist auch Auslöschen der Auseinandersetzung, oder um es anders auszudrücken: Geschichts-Alzheimer ist nicht anders als Alzheimer. Wer vergisst, droht, sich zu wiederholen. Und deswegen dürfen wir auch geschichtlich nicht alle Spuren tilgen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

An die LINKEN: Sie führen gern – nicht nur in unserer Bundesrepublik – einen Kulturkampf durch Auslöschung; alles tilgen, als hätte es nie stattgefunden. Ich halte das für falsch, und übrigens nicht nur, weil andere das sogar mit Sprengstoff in Palmyra machen, sondern ich halte es für falsch, weil es in Verbindung mit einem Wiedergutmachungswahn häufig aus einer selbstherrlichen Position

(Dr. Isabella Vértes-Schütter)

des heutigen Menschen in historischen Situationen damals beurteilt. Und das ist nicht historisch lernen. Historisch lernen ist, Menschen in ihrer Zeit mit ihrem Handeln zu verstehen und daraus Schlüsse zu ziehen, und nicht heute so zu tun, als wären alle Generationen vor uns blöd, weil sie eben nicht das wussten, was wir heute wissen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und vereinzelt bei der AfD)

Ich will nicht zu intellektuell werden, aber der Nebeneffekt, dass wir nämlich eine wirklich supergute, lesenswerte wissenschaftliche Expertise der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg von Herrn Dr. Josef Schmid über alle Ehrenbürger bekommen haben, zeigt uns noch einmal, wie umstritten schon früher manche Ehrenbürgerwürde war.

Nehmen wir einmal gleich den Ersten: Oberst Tettenborn. Er wurde am 24. April 1813 als Überbringer der erfreulichen Botschaft der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Hamburgs und zur Bestätigung des Dankes und der Erkenntlichkeit Hamburgs, weil er die Befreiung der Stadt von den napoleonischen Besatzungstruppen so glücklich geleitet und ausgeführt habe, mit der Ehrenbürgerschaft geehrt.

Was war geschehen? Er war am 12. März 1813 kampflos in die Stadt eingerückt – und übrigens Ende Mai genauso kampflos wieder abgezogen, als die Franzosen vor der Tür standen. Aber er hatte das genutzt, wie wir in der Expertise lesen können. Ansonsten betrachtete er Hamburg offenbar als einen günstigen Standort, um sich selbst zu bereichern und einen ausschweifenden Lebenswandel zu führen. Er veranlasste den Senat, ihn als reelle Anerkennung seiner Verdienste um Hamburg zum Ehrenbürger der Stadt zu ernennen und ihm ein Geldgeschenk von 5 000 Friedrichsdor zu machen. Rat und Bürgerschaft reagierten späteren Berichten zufolge wenig begeistert auf dieses Ansinnen, stimmten aber zu. Noch liegt uns kein Antrag auf Aberkennung dieser Ehrenbürgerwürde vor.

Aber selbst Bismarck war zu seiner Zeit umstritten.

(Gerhard Lein SPD: Heute auch noch!)

Es gab Kräfte in Hamburg, die seine Ehrenbürgerschaft als Skandal bezeichneten. Johannes Brahms wurde 1889 Ehrenbürger, und schon 1897, also acht Jahre später, wurde er bei einer Auflistung schlichtweg vergessen, was, glaube ich, auch ein bisschen den Ruf Hamburgs als Stadt der Pfeffersäcke, was die Künstler anging, mit begründet hat. Und, ehrlich gesagt, Herbert Wehner würde heute angesichts der historischen Erkenntnisse auch niemand mehr zum Ehrenbürger dieser Stadt erklären.

Das alles lesen wir in dieser Expertise. Deswegen ist sie eine Bereicherung. Wir begrüßen das Ergebnis und danken der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg für die umfangreiche und ausgewogene Arbeit. Die nun vorgenommene Einordnung und Veröffentlichung der Rolle Hindenburgs und auch der anderen Ehrenbürger im geschichtlichen Kontext ist sinnvoll und gut, und deshalb stimmen wir dem Petitum zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der AfD und bei Farid Müller GRÜNE und Jens Meyer FDP)

Das Wort bekommt nun Herr Gögge von der GRÜNEN Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Man könnte das Thema Ehrenbürgerschaften ja auch als völlig nebensächlich abtun, aber ich glaube, die Debatte heute und auch der Bericht aus dem Ausschuss zeigen, dass die Frage der Ehrenbürgerschaften einen hohen Symbolwert hat. Ehrenbürgerschaften sind sozusagen eine Art Gedächtnis der Stadt. Wir werden mit Entscheidungen der Vergangenheit konfrontiert, die wir heute kritisch hinterfragen müssen und wollen.

Das Thema wurde zu Recht sehr lang und sehr breit diskutiert, insgesamt seit Mai 2013; das haben die Kollegen vor mir bereits deutlich gemacht. Ich glaube, dass dieser lange Vorlauf angemessen, gut und richtig war. Wir alle haben in diesem Beratungsprozess viel dazugelernt.

Wir gehen heute anders mit Ehrenbürgerschaften um. In der Aufarbeitung der Ehrenbürgerschaften und insgesamt der Geschichte Hamburgs und der Geschichte Deutschlands ist es unabdingbar, dass die demokratischen Parteien zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang kann man auch noch einmal festhalten, dass hier – auch das wurde deutlich – durchaus eine große Einigkeit in inhaltlichen Fragen besteht.

Herr Kollege Hackbusch, Sie haben darum gebeten, das alles noch einmal genau erklärt zu bekommen. Dazu möchte ich Folgendes anmerken: Bei meiner Fraktion ist die Haltung so, dass wir, wenn wir zustimmen, dass ein Gutachten in Auftrag gegeben wird, dann auch dazu bereit sind, aus den Ergebnissen eines solchen Gutachtens Schlüsse zu ziehen. Das haben wir getan, und an dieser Stelle möchte ich der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg ausdrücklich meinen Dank aussprechen, weil ich glaube, dass für uns alle im Kulturausschuss die Ergebnisse der Expertise sehr hilfreich waren.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Jens Meyer FDP)

(Dietrich Wersich)

Insgesamt geht es um einen souveränen Umgang mit den Ehrenbürgerschaften durch größtmögliche öffentliche Transparenz. Das bedeutet für uns auch: Wer sich informieren will, soll nicht Leerstellen in der Liste der Ehrenbürgerschaften vorfinden, sondern fundierte Bewertungen und historische Fakten. Die Liste der Ehrenbürgerschaften wird in Zukunft sehr deutlich darstellen, wie die Geschichtswissenschaft Personen wie Herrn Hindenburg oder auch andere heute einordnet. Neue Erkenntnisse rücken dabei alte Entscheidungen in ein anderes Licht.

Mir und meiner Fraktion ist besonders daran gelegen, dass die zeitgenössische, aber auch die historische Kritik an diesen Ehrenbürgerschaftsentscheidungen deutlich gemacht wird. Wie Herr Hackbusch schon darstellte, hat die Geschichtsforschung heutzutage ein eindeutiges Bild zum Beispiel von Herrn Hindenburg, den sie inzwischen eindeutig als Wegbereiter des Naziregimes identifiziert. Seine heroische Betrachtung muss daher ersetzt werden durch die Einordnung in einen historisch-politischen und auch einen gesellschaftlichen Kontext.

Das zweite Beispiel, das Herr Hackbusch genannt hat, nämlich Herrn von Waldersees Ehrenbürgerschaft, war schon zu seiner Zeit stark umstritten. Geradezu zynisch mutet es an, dass er die Ehrenbürgerschaft verliehen bekam für vermeintliche Verdienste um den Weltfrieden, wie es damals hieß, was nichts anderes bedeutete als Massenvergewaltigungen und Massaker. Eine entsprechende Erläuterung in der Liste der Ehrenbürgerschaften wird uns die Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus geben. Der neue historisch kritische Umgang mit Ehrenbürgerschaften muss und wird nun auch öffentlich sichtbar gemacht werden. Daher bitte ich Sie, lassen Sie uns gemeinsam einen Beschluss fassen, der dem demokratischen Selbstverständnis unserer Stadt angemessen ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Präsidentin Carola Veit übernimmt den Vor- sitz.)

Das Wort bekommt Herr Meyer von der FDP-Fraktion.

Verehrtes Präsidium, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin schon etwas verwundert darüber, dass das Thema Ehrenbürgerschaften hier nun noch einmal ausführlich debattiert wird, wo es doch im zuständigen Kulturausschuss nach langer und ausführlicher Beratung längst einen breiten Konsens dazu gab, der auch von der heute anmeldenden Fraktion DIE LINKE mitgetragen wurde. Die bereits zitierte Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und

Professor Dr. Schmid haben in ihrer Expertise eine Vorgehensweise empfohlen, die eigentlich jedem, und sei er noch so wenig kulturhistorisch bewandert, einleuchten müsste, weil sie dem gesunden Menschenverstand folgt.

Geschichte sollte man nicht schleifen. Man sollte sie nicht blank polieren, nicht in Watte hüllen und auch nicht vernebeln. Die Ehrenbürgerschaften von Hindenburg und von Graf von Waldersee sind geschichtliche Tatsachen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Man muss sie nicht gutheißen, aber man sollte sich davor hüten, den Versuch zu unternehmen, durch Aberkennungen heutigen gesellschaftspolitischen Maßstäben zu entsprechen.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

Die Expertise von Professor Dr. Schmid hat dazu völlig zu Recht festgestellt:

"Ohnehin kann die Tatsache der Vergabe des Ehrenbürgerrechts durch ihre Streichungen nicht gelöscht werden, einzig die Erinnerung daran wird erschwert. Hinzu kommt, dass sich erfahrungsgemäß die Wertvorstellungen und damit Perspektiven in Politik und Gesellschaft weiter ändern und in der Folge die Vergaben der Ehrenbürgerrechte immer wieder neu hinterfragt werden. Ein nicht klar definiertes Aberkennungsverfahren riskiert, vorrangig ein – ebenfalls stets zeitgebundenes – Bedürfnis nach politisch-moralischer 'Säuberung' zu bedienen. Kann dies Ziel einer seriösen Erinnerungskultur sein?"

Zitatende.

Nein, lautet meine Antwort auf diese ohnehin rhetorische Frage. Stattdessen sollten aus heutiger Sicht kritische Ehrenbürgerschaften in ihrem zeitlichen Kontext verstanden, erklärt, dokumentiert und kommuniziert werden. So sieht es der gemeinsame Bericht des Kulturausschusses auch vor, der im Übrigen von allen Fraktionen dieses Hauses mitgetragen wurde und den wir nun auch beschließen sollten.

Lieber Herr Hackbusch, sogar die GRÜNEN haben das inzwischen verstanden und ihren eigenen Antrag auf Aberkennung der Ehrenbürgerschaften von Hindenburgs und von Waldersees quasi zurückgezogen. Geschichte kann man nicht ändern, da helfen auch Umbenennungen nichts – SED, PDS, LINKE, am Ende ist alles Historie.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der SPD und bei Dr. Ludwig Flocken AfD)

Gestalten wir doch lieber die Zukunft gemeinsam, statt an der Geschichte herumzuschrauben. – In diesem Sinne herzlichen Dank.

(René Gögge)

(Beifall bei der FDP, der AfD und vereinzelt bei der SPD)