Auch wenn mir nicht jeder Ton in der Debatte heute Vormittag gefallen hat, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen, es ist doch ganz deutlich geworden: Wenn wir die Leidenschaft auf solche Themen richten, ist sie richtig investiert. Sich darüber aufzuregen, ist richtig. Wir sind im Jahr 2020 in der glücklichen Lage, uns mit Blick auf Texte darüber aufregen zu können.
Ich weiß nicht, ob Sie das verfolgen, aber es gibt von der Ausschwitz-Gedenkstätte Beiträge in den sozialen Medien, in denen die Opfer des Holocaust mit Bildern dargestellt und gezeigt wird, welche Menschen das im Einzelnen waren, die zu Millionen umgekommen sind. Sie erinnern an solche Menschen.
Die Lage für Parlamentarier war zu der damaligen Zeit eine ganz andere. Ich finde es eine großartige Situation, dass wir heute darüber reden können, wie
wir so einen Begriff im Grundgesetz möglicherweise verändern, wir das aber in der Sache überwunden haben und nur einige wenige Gestrige das anders sehen. Das ist das Signal, das von heute ausgeht. Ich freue mich, dass wir gemeinsam so beschließen können. Das ist eine gute Stunde für diesen Landtag.
Ich gehe davon aus, dass die Anträge Drucksachen 19/2317 und 19/2370 durch die gemeinsame Antragstellung des Antrags Drucksache 19/2373 ihre Erledigung gefunden haben. - Widerspruch sehe ich nicht.
Ich lasse über den Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 19/2373, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag Drucksache 19/2373 mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, FDP, CDU und der Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen.
b) Menschen mit Behinderung in der Coronapandemie durch Entwicklung von Besuchskonzepten besser schützen und integrieren
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie stellt uns vor noch nie dagewesene Herausforderungen. Menschen müssen Hygieneregeln einhalten. Sie müssen Abstand halten. Sie müssen einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Das sind wichtige Bestandteile, um uns vor dem Virus zu schützen. Aber wir wissen zum Beispiel auch, dass nicht jeder Mensch einen Mund-Nasen-Schutz tragen kann.
Für viele Menschen mit Behinderung ist das nicht zumutbar, etwa, wenn sie eine Atemwegserkrankung haben, generell schlecht Luft bekommen oder eine psychische Behinderung haben, die eine Maske im Gesicht zur Qual macht. Zudem kann der Mund-Nasen-Schutz die Kommunikation beeinträchtigen, zum Beispiel bei Menschen mit Hörbeeinträchtigungen, die auf Lippenlesen angewiesen sind. So hat jedes Bundesland, auch SchleswigHolstein, Ausnahmeregelungen beim Tragen des Mund-Nasen-Schutzes getroffen.
Dennoch berichten der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, die Antidiskriminierungsstelle sowie Bürgerinnen und Bürger persönlich per Mail oder in Gesprächen von vielen Situationen, in denen Betroffenen - auch in rüder Form - zum Beispiel der Zugang zu Lebensmittelgeschäften verweigert wurde oder sie an der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs gehindert wurden. Vorhandene Nachweise und Atteste wurden vor Ort nicht anerkannt.
Aber auch in Zeiten einer Pandemie haben Menschen mit Behinderung ein Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben. Sie verlieren nicht ihr Recht auf Selbstbestimmung.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkung oder einer Behinderung keinen Mund-Nasen-Schutz tragen können, vom öffentlichen Leben oder gar in ihrer Versorgung mit den grundlegendsten Mitteln ausgeschlossen werden.
Wir Sozialdemokraten haben daher die Forderung des Landesbeauftragten aufgegriffen und fordern unsererseits die Landesregierung auf, möglichst rasch einen einfachen und eindeutigen Ausweis auf den Weg zu bringen, der es Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen, die keinen Mund-Nasen-Schutz tragen können, ermöglicht, sich zu legitimieren. Dies würde vielen Betroffenen, aber auch denen, die in Geschäften oder im öffentlichen Personennahverkehr die Einhaltung des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes kontrollieren,
helfen und Sicherheit geben. Die Pandemie wird uns noch länger begleiten und daher auch der Mund-Nasen-Schutz. Also brauchen wir hier eine Regelung, die im Interesse aller Betroffenen ist und in Zukunft dazu führt, unnötige Konflikte zu vermeiden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung darf in Pandemiezeiten nicht einfach vergessen werden. Menschen mit Behinderung müssen einbezogen und angehört werden, wenn Konzepte, die ihre Lebensbereiche betreffen, von einer Landesregierung erstellt werden. Partizipation ist das A und O, um Akzeptanz zu schaffen.
Wir unterstützen daher das Anliegen der Koalitionsfraktionen im Antrag 19/2364, werden ihm auch zustimmen. Ich sage auch ganz offen: Wir werden genau hinschauen, ob und wie die Menschen mit Behinderung bei der Erstellung der dort geforderten Konzepte eingebunden werden. Das ist die Voraussetzung für Akzeptanz und dafür, dass Menschen mit Behinderung ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben können. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Die Zeit des CoronaLockdowns haben die meisten von uns als belastend empfunden, aber weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Lockdown sich für viele Menschen mit Behinderung - gerade für Bewohner von Wohnstätten - ganz gravierend negativ ausgewirkt: Sie durften bis zum Ende des Lockdowns Ende Juni keinen direkten Kontakt zu Außenstehenden haben, auch nicht zu ihren Angehörigen. Es herrschte ein weitgehendes Betretungsverbot. Wenn sie in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt waren, wurden sie zudem in den Zwangsurlaub geschickt. Beides zusammen bedeutete für sie eine nahezu vollständige Isolation von den Menschen, die ihnen vertraut waren; eine Isolation, die ohne Übertreibung als unmenschlich bezeichnet werden muss.
Damit sich solche Zustände nicht wiederholen können, fordern wir die Landesregierung auf, sicherzustellen, dass in den Wohn- und Arbeitsstätten für Menschen mit einer Behinderung Schutz- und Besuchskonzepte vorhanden sind, die natürlich Schutz vor möglichen Infektionen gewährleisten sollen, die aber zugleich die bestmögliche Teilhabe und Selbstbestimmung sicherstellen und rechtssicher sind.
Sicherlich gibt es in diesem Haus keinen Dissens darüber, dass sich pauschale Betretungsverbote in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung nicht wiederholen dürfen. Sie waren seinerzeit der Angst geschuldet, denn damals hatte man noch weniger Wissen über die Auswirkungen des Coronavirus als heute. Dem vermeintlichen oder tatsächlichen Schutz der Bewohner wurden die Möglichkeiten der Teilhabe und Selbstbestimmung klar untergeordnet. Die Folgen und Auswirkungen, die dies für die Betroffenen und ihre Angehörigen hatte, standen aber meist in keinem Verhältnis.
Ähnlich wie in vielen Alten- und Pflegeheimen sind in den Einrichtungen für Menschen mit Behinderung Bewohner vereinsamt. Einigen konnte zudem nicht klargemacht werden, warum sie keinen Kontakt mehr zu ihren Angehörigen haben durften, warum sie keinen Besuch empfangen durften und warum sie nicht mehr in ihre Werkstatt oder in ihre Tagesförderstätte durften. Für viele fielen notwendige und wichtige Therapien aus, und das Gleiche traf natürlich auch auf Fahrten ins Blaue oder auf sonstige Freizeitaktivitäten zu.
Diese weitreichenden Entscheidungen mussten von den Verantwortlichen damals natürlich unter einem enormen Druck getroffen werden, und niemand von uns würde den Entscheidungsträgern vorwerfen, dass sie sich zunächst einmal für die ganz harte, sichere Gangart entschieden haben, denn eine Infektionswelle in den Einrichtungen hätte fatale und unverantwortliche Folgen haben können. Ob sie ausbleibt, wusste damals aber keiner.
Auf der anderen Seite des Dilemmas steht, dass die Entscheidungen über Einschnitte über die Köpfe der Bewohner hinweg getroffen worden sind. Die Selbstbestimmung und die Würde der Betroffenen waren also in einem hohen Maße verletzt worden. Die Aufgabe der Politik kann es jetzt also nur sein, eine Antwort auf dieses Dilemma zu finden, das bei möglicherweise kommenden weiteren Coronawellen oder vergleichbaren Epidemien wieder auftauchen wird: Schutz und Fürsorge einerseits, Selbstbestimmung und Partizipation andererseits.
Ziel ist es, gemeinsam mit den Behindertenbeauftragten auf kommunaler und auf Landesebene und natürlich klar unter der Beteiligung von Bewohnerbeiräten und Werkstattbeiräten Konzepte zu entwickeln, die beides vereinen. Teile dieser zu erstellenden oder schon erstellten Konzepte würden etwa ein Besuchsmanagement sein oder auch die Festlegung von Standards für alternative Beschäftigungstherapien, die dann greifen.
Natürlich, ich habe es gerade schon angedeutet, gibt es derartige Konzepte an den Einrichtungen inzwischen. Für die Zukunft aber muss abgesichert sein, dass diese in einem Worst-Case-Szenario auch greifen. Oder anders ausgedrückt: Es muss sichergestellt sein, dass die vereinbarten Regelungen nicht Gefahr laufen, durch Infektionsschutzverordnungen ausgehebelt zu werden.
Meine Damen und Herren, auch für viele Kinder mit Behinderung waren die Coronamaßnahmen einschneidend. Die Folgen davon, dass sie von heute auf morgen von für sie teils enorm wichtigen Frühförderangeboten abgeschnitten waren, zeigen sich erst nach und nach, vielleicht auch gerade jetzt zum Einschulungszeitpunkt. Sie wären vielleicht doch vermeidbar gewesen. Auch hier gilt es, gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren Konzepte zu entwickeln, um eine Wiederholung auszuschließen.
Über einen genauen Fahrplan sollten wir uns im Sozialausschuss unterhalten. Ich bitte um die Überweisung unseres Antrags. Der Alternativantrag lässt den Aspekt der Frühförderung vollends aus. Es ist aber gut, dass Sie noch nachgelegt haben. Den Antrag der SPD lehnen wir ab. Er ist bürokratisch, er ist kostenintensiv und vor allem unpragmatisch. Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen Abgeordnete! Solidarität und gegenseitige Rücksichtnahme haben in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Das gilt auch und gerade in der Zeit der Coronavirus-Pandemie. In dieser Zeit können wir für einen gewissen Schutz sorgen, indem wir uns nach der AHA-Formel richten: Abstand, Hygiene, Alltagsmasken. Diese Formel hat insgesamt in der Bevölkerung eine hohe
Die Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus sieht eine Pflicht zur Mund-Nase-Bedeckung zum Beispiel im Einzelhandel oder in ähnlichen Betrieben sowie im ÖPNV vor. Auch wenn wir die Bedeckung gelegentlich vergessen und dann schnell hektisch zurücklaufen, so wissen wir mittlerweile: Ohne geht es nicht. Mit der Maske kann das Risiko, andere Menschen anzustecken, zumindest ein Stück weit minimiert werden.
Aber von jeder Pflicht gibt es auch Ausnahmen, so auch hier. Personen, die zum Beispiel aufgrund körperlicher, geistiger und psychischer Beeinträchtigung nicht in der Lage sind, eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, sind von der Tragepflicht ausgenommen. Als Nachweis zur Ausnahme können ein Schwerbehindertenausweis, ein Allergikerausweis oder auch ein ärztliches Attest dienen, verbunden mit der Glaubhaftmachung des Betroffenen, dass aufgrund einer Beeinträchtigung das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung nicht möglich ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was allerdings nicht geschehen darf, ist, dass die Menschen, die keine Mund-Nase-Bedeckung tragen müssen, in Form von Anfeindungen, bösen Blicken und Vorverurteilungen diskriminiert werden.
Das aber heilt ein amtlicher Ausweis, wie er von der SPD-Fraktion vorgeschlagen und beantragt wird, nach meinem Dafürhalten nicht. Mit diesem Standpunkt bin ich nicht allein. Behindertenbeauftragte, mit denen ich mich dazu ausgetauscht habe, sagten: Nein, das brauchen wir nicht, nicht noch so ein Teil! Das bringt uns nichts. Selbst wenn wir einen amtlichen Ausweis hätten, wären wir bösen Blicken und Gemecker weiterhin ausgesetzt. - Auch Träger von Angeboten der Eingliederungshilfe äußerten sich in sehr ähnlicher Weise. Aber so machen diejenigen, die sich in dieser Situation befinden, unterschiedliche Erfahrungen. Dessen bin ich mir gewiss.