Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

Bitte, Herr Tögel.

Herr Scharf, der Ausgangspunkt dieser Diskussion und auch des Interviews im „Focus“ war die vierfach höhere Häufigkeit der Kindestötungen in den neuen Ländern gegenüber der Häufigkeit in den alten Ländern - statistisch betrachtet.

Nun habe ich in den letzten Tagen in den vielfältigen Diskussionen und Beiträgen usw. nur an einer einzigen Stelle gelesen, dass das auch damit zusammenhängt, dass die Fälle von Kindestötungen erst dann in die Statistik eingehen, wenn sie entdeckt werden, und nicht dann, wann sie verübt wurden, und dass durch verschiedene Ursachen, zum Beispiel Neubauten und Umbauten usw., nach der Wende sehr viele Fälle von Kindestötungen in die Statistik eingegangen sind, die vor der Wende passiert sind, also kumulativ.

Ist Ihnen das bei Ihren statistischen Betrachtungen - deswegen frage ich Sie danach - auch aufgefallen? Oder könnte dies ein Grund sein, den vierfachen Unterschied zwischen Ost und West ein wenig zu relativieren?

Herr Tögel, jetzt stellen Sie mich wirklich vor eine schwierige Frage. Ich habe weder in einem kriminologischen Institut gearbeitet, noch habe ich mich in einem medizinisch-statistischen Institut mit diesen Fragen beschäftigt. Ich habe mir nur die Tabellen angesehen.

Dabei fällt mir als Erstes die Agglomeration von null bis sechs Jahren auf. Dies zeigt schon, dass das, was der Strafgesetzgeber früher unter den Straftatbestand der Kindstötung gefasst hat, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit der Geburt erfolgen soll, in dem Zeitraum von null bis sechs Jahren eine von vielen Fallkonstellationen ist. Das heißt, über die letzte Frage, die auch zur Zuspitzung der Diskussion geführt hat, sagen die Pfeiffer-Statistiken gar nichts aus.

Ich will als Zweites unumwunden sagen - ich habe auch einmal jemanden herangesetzt, um nachzufragen -: Mir konnte nie jemand sagen, wie - wie es unter Mathematikern so schön heißt - die Vertrauensintervalle dazu sind; die gibt es noch nicht. Wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil die Fallzahlen so klein sind. Das heißt, es sind alle aufgerufen, die mit diesen Zahlen arbeiten, sich zu vergegenwärtigen, wie dünn das statistische Material ist. Deshalb muss jeder - -

(Frau Bull, DIE LINKE: Wir sind nicht der Adres- sat! - Weitere Zuruf von der LINKEN - Heiterkeit bei der CDU)

- Ich sehe Sie nur zufällig an. Ich kann auch ständig wegsehen. - Meine Damen und Herren! Deshalb muss

man, wenn man sich diesen Fragen nähert, immer wissen, auf welch dünnem Eis man sich bewegt.

(Zustimmung von Frau Bull, DIE LINKE)

Eines will ich an dieser Stelle noch sagen: Auch wenn wir nicht genügend Statistiken haben, die ethische Diskussion müssen wir trotzdem führen und die können wir auch an Einzelfällen führen. Wir müssen sie nur vernünftig führen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Minister Herrn Dr. Daehre)

Dazu rufe ich an dieser Stelle noch einmal auf.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungs- bank)

Danke, Herr Scharf. Es gibt eine Nachfrage von Frau Dr. Hüskens. Wollen Sie sie noch beantworten?

Herr Präsident, es ist keine Nachfrage, sondern eine Kurzintervention.

Dann intervenieren Sie bitte.

Ich möchte nur nicht, dass es im Raum stehen bleibt. - Im Augenblick ist die Studie, über die wir hier alle reden, nicht fertig. Wenn Sie in Niedersachsen nachfragen, dann werden Sie darüber informiert werden, dass es eine Reihe von Fällen gibt, dass man schon ein paar ausgewertet hat, dass es aber noch kein Ergebnis gibt.

Mit Ausnahme des Leiters dieses Instituts - warum auch immer - sagt Ihnen dort jeder Mitarbeiter: Warten Sie bitte ab, bis wir die Auswertung dieser Studie haben. Dann können wir erst sagen, ob es irgendeine Signifikanz im Verhältnis zwischen den alten und den neuen Bundesländern, zwischen Norden und Süden und Osten und Westen gibt. Dann kann man ernsthaft über diese Fälle reden. Bis dahin geht das nicht.

Vielen Dank. - Herr Scharf, vielen Dank auch für Ihren Beitrag. - Die Fraktionsvorsitzende Frau Budde hat noch einmal um das Wort gebeten.

Ich begrüße vorher Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Eilsleben und Damen und Herren der Stadtverwaltung Aken auf der Südtribüne. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Budde, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Debatte heißt auch deshalb „Debatte“, weil man debattieren soll. Das heißt nicht, dass nur jeder seinen Vortrag hält, sondern dass man auch reagiert.

Frau Hüskens, eine Koalition heißt nicht, dass man bei allem einer Meinung ist. Das brauche ich Ihnen, glaube

ich, nicht zu erklären. Damit haben Sie in der letzten Legislaturperiode einschlägige Erfahrungen gesammelt. Zu einer guten demokratischen Kultur gehört es nach meiner Auffassung, unterschiedlicher Meinung sein zu können, ohne sich gleich gegenseitig infrage zu stellen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Ich hätte nicht gedacht, dass ich Ihnen als Liberaler das erklären muss.

Wenn Sie den Satz, den ich gestern schon vor Fernsehkameras und auch ansonsten öffentlich gesagt habe, noch einmal hören möchten, dann können Sie ihn gern noch einmal hören: Wir und auch ich persönlich stehen ohne Wenn und Aber zum Ministerpräsidenten Professor Wolfgang Böhmer

(Zustimmung von der Regierungsbank)

und zu unserer Koalition, auch wenn in der heutigen Debatte grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen zu einem sehr sensiblen Thema sehr deutlich und sehr klar geworden sind. Dafür gibt es das Mittel der Debatte. An unserer Kritik ist deshalb nichts zurückzunehmen, aber Beißreflexe sind bei diesem ernsthaften Thema genauso unangebracht wie politisches Geplänkel.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Budde. - Der Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE Herr Gallert hat an dieser Stelle um das Wort gebeten. Bitte schön, Herr Gallert.

Ich will drei Dinge sagen. Erstens. Ganz kurz zu Herrn Scharf: Herr Scharf, ich verstehe das ja. Sie haben ein Problem. Wenn man intern ein Problem hat, dann löst man es in der Politik nicht selten mit erheblicher Aggressivität nach außen.

(Herr Gürth, CDU: Wie Sie heute!)

So erkläre ich mir natürlich auch, dass Ihre Rede

(Unruhe bei der CDU - Herr Stahlknecht, CDU: Dann haben Sie ständig Probleme! - Herr Tullner, CDU: Das ist wie Feuer und Wasser!)

permanent an uns gerichtet war und nicht so sehr an die eigenen Reihen.

(Unruhe)

- Durch Ihren Geräuschpegel untermalen Sie meine Behauptung. Das merken Sie hoffentlich.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zweitens. Herr Böhmer, Sie haben auf zwei Fragen nicht geantwortet. Das bleibt im Raum. Die erste Frage: Ist die Schwangerschaftsunterbrechung so, wie sie in der DDR gehandhabt worden ist, Ausdruck eines leichtfertigen Umgangs mit Leben? Die zweite Frage: Ist der Umgang mit Schwangerschaftsunterbrechung Ursache für Kindstötungen heute? Diese beiden Fragen haben Sie nicht beantwortet und sie stehen nach wie vor im Raum. Das ist aus unserer Sicht die Konsequenz dieser Aktuellen Debatte. - Danke.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen zu dieser Aktuellen Debatte. Beschlüsse in der Sache werden gemäß § 46 der Geschäftsordnung des Landtages nicht gefasst. Die Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen, meine Damen und Herren.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Zweite Beratung

Entwurf eines Gesetzes über die Steuerschwankungsreserve des Landes Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 5/946

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Finanzen - Drs. 5/1116