Protokoll der Sitzung vom 29.03.2017

"ein mathematisches Alphabetisierungsprogramm"

nötig sei in diesen WiMINT-Fächern, und fordern speziell, sich von einer übertriebenen Kompetenzorientierung abzuwenden und zu einer stärker an fachlichen Inhalten orientierten Matheausbildung zurückzukehren. Vor dem Hintergrund frage ich Sie, ob ich Sie falsch verstanden habe hinsichtlich des gegebenenfalls weiteren Ausbaus der Kompetenzorientierung. Soll nicht das Ruder da ein Stück weit herumgerissen werden und hat man es vielleicht nicht übertrieben in die falsche Richtung? – Danke.

Ich will noch einmal wiederholen, die Veränderung der Lehrpläne war Teil eines gesamten Reformwerks der Jahre 2000 bis 2010. Diese Veränderungen haben zumindest einen deutlichen Leistungszuwachs der Schülerinnen und Schüler herbeigeführt. Es mag sein, dass das für viele Professoren heute immer noch zu wenig ist, was dort von Schülern und Studenten geleistet wird. Offenkundig ist es aber umgekehrt so, dass diese neuen Lehrpläne als Teil einer Gesamtreform zu einer Verbesserung der Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler in allen Bundesländern geführt haben. Woran wir arbeiten müssen, und da gebe ich Ihnen recht, Herr Wolf, ist die spannende Frage: Brauchen wir noch stärker Lösungskompetenzen und – ich spitze es zu

(Senator Ties Rabe)

mit meinen Worten, Mathematikprofessoren werden mich dafür vermutlich tadeln – brauchen wir mehr mathematische Philosophie? Ich lese einen komplizierten Sachverhalt in einem Text und meine Kreativität ist es, den Lösungsweg zu finden. Das ist die eine Variante als ganz außenstehendes Extrem. Oder brauchen wir eher den Lösungsansatz, bei dem man sagt, Gesetz ist f von x gleich sowieso, berechne den Wendepunkt, und dann muss man innerhalb dieser Formel rechnen? Das ist der andere Extrempunkt. Ich nehme wahr, dass die Mathematiker selbst, auch an den Universitäten, hoch zerstritten sind über diese beiden Extreme. Ich sagte bereits, andere Mathematiker schreiben zurzeit an dem Gegenbrief; mir wurde schon ein Entwurf zugestellt. Deswegen gilt hier, dass die Kultusministerkonferenz insgesamt diese Frage mit den Fachleuten noch einmal genau erörtert.

Es wurde schon angezeigt, dass es Nachfragen aus den Fraktionen geben soll. Ich weise vorher trotzdem noch einmal darauf hin, dass jede Fraktion nur eine Nachfrage stellen kann. Dies gilt auch für fraktionslose Abgeordnete.

Wir haben jetzt Wortmeldungen vorliegen. Als Erstes bitte Herr Abaci von der SPD-Fraktion.

Herr Senator, wie stellt sich die Entwicklung und Situation der Mathematiklehrerinnen und -lehrer an den Hamburger Schulen dar? Könnten Sie dazu etwas sagen?

Untersuchungen haben gezeigt, dass das Mathematikniveau von Schülerinnen und Schülern sehr stark damit zusammenhängt, ob die Lehrkraft selbst Mathematik studiert hat oder nicht. Es gibt auch hinreißende Ausnahmen. Es gibt Lehrerinnen und Lehrer für Chemie oder Sport, die vielleicht auch gut Mathe unterrichten können im Einzelfall. Aber statistisch nachweisbar ist ein enger Zusammenhang zwischen der Fachlehrerschaft einerseits und einem hohen Niveau der Schülerinnen und Schüler andererseits. Deswegen haben wir im Zuge unserer Mathematikreform in der Tat darauf gedrängt, dass Mathematikunterricht ab Klasse 5 nur noch von ausgebildeten Mathelehrern erteilt wird. Da sind wir weit gekommen. Als wir die Reform angestoßen haben, wurden an einigen Schulen noch unter 70 Prozent der Mathematikstunden von Fachlehrern gegeben. Wir liegen jetzt in beiden Schulformen, Stadtteilschule und Gymnasium, bei über 90 Prozent, beim Gymnasium sogar über 95 Prozent. Das war möglich, weil über 300 zusätzliche Mathematiklehrerinnen und -lehrer eingestellt worden sind. Unabhängig von dem Streit, ob es in der Mathematik in diese oder jene Richtung gehen soll, führt das nach unserer Überzeugung tatsächlich dazu, dass Schülerinnen und Schüler besser Mathe können. Des

wegen haben wir das gemacht, und wir sind davon überzeugt, dass 300 Mathelehrer mehr auch ihre Wirkung tun werden.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Eine weitere Frage wurde gemeldet von Frau Prien von der CDU-Fraktion.

Herr Senator, jenseits des interessanten historischen Abrisses zu PISA und den danach folgenden neu entwickelten Bildungsstandards: Sie haben zum Ende der vergangenen Legislaturperiode selbst eingeräumt, dass eine Überarbeitung der Hamburger Bildungspläne in Hinblick auf eine zu starke Kompetenzorientierung und ein Ausschlagen des Pendels zwischen Fachlichkeit und Kompetenzorientierung in die eine Richtung, nämlich die Kompetenzorientierungsrichtung, zu konstatieren seien, und dass Sie selbst eine Überarbeitung der Hamburger Bildungspläne für sinnvoll erachten würden. Ansätze dazu finden sich auch im Koalitionsvertrag. Bei einer ersten Debatte dazu, die wir im Sommer 2015 geführt haben, haben Sie angegeben, Sie hätten zurzeit Wichtigeres zu tun. Meine Frage: Planen Sie nach wie vor in dieser Legislaturperiode eine Überarbeitung der Hamburger Bildungspläne insgesamt, aber insbesondere – denn das ist unser Thema heute – im Fach Mathematik?

Die Überarbeitung der Mathematiklehrpläne ist dann sinnvoll, wenn deutlicher auch in der Wissenschaft und Fachdidaktik herausgearbeitet wird, in welche Richtung eine solche Überarbeitung erfolgen soll. Die jetzt aufgebrochenen Streitigkeiten auch innerhalb der Mathematik geben dazu Anlass zu sagen, es müsse jetzt erst einmal auch wissenschaftlich genau betrachtet werden, ob tatsächlich das Rechnen stärker in den Fokus gestellt wird oder ob auf dem bisher beschrittenen Weg weitergemacht wird. Solange die Fachwissenschaft in diesem Punkt keine Einigkeit aufweist, ist es wenig sinnvoll, sich die Lehrpläne insgesamt anzugucken.

Einen Punkt möchte ich aber aufgreifen und ergänzen. Auch ich höre immer wieder aus der Wirtschaft, aus Bewerbungsgesprächen, aus der Öffentlichkeit, dass viele das Basisrechnen – ich spreche nicht von Mathematik, sondern von Rechnen, Dreisatz, Prozentrechnung, Bruchrechnung – mit Mathematik verwechseln. Ich bin mit drei Mathematikern unter einem Dach zu Hause und die würden mir sofort widersprechen, wenn ich behaupten würde, dass Bruchrechnung Mathematik sei. Bruchrechnung sei Rechnen, würden sie sagen. Aber genau das, was wir für Mathematik halten und was viele Mathematiker als Rechnen be

(Senator Ties Rabe)

zeichnen, sehe ich als einen Bereich an, der gestärkt werden muss. Wir werden uns deshalb mit der Frage auseinandersetzen – und das tun wir in dieser Legislaturperiode gewiss –, ob nicht zumindest die Klasse 10 für jene Schülerinnen und Schüler, die danach in den Beruf übergehen, genutzt wird, um dieses Rechnen besserzustellen und die Schülerinnen und Schüler sicherer zu machen, damit sie bei Bewerbungstests, aber auch später im Beruf dieses Grundlagenwissen besser beherrschen als zurzeit.

(Beifall bei der SPD und bei René Gögge GRÜNE)

Es liegt eine weitere Wortmeldung vor von Frau von Berg von der GRÜNEN Fraktion. Sie haben ebenfalls eine Minute.

Herr Senator Rabe, gibt es für Hamburg neue Lernstandsuntersuchungen für Mathematik? Und wenn es die gibt, wie sind dort die Ergebnisse?

Wir warten mit Spannung auf die nächste Studie, die uns tatsächlich Mathematikergebnisse für Hamburg bescheren wird. Sie wird 2017 oder 2018 veröffentlicht. Ich muss allerdings sagen, dass zwar im Monatstakt Studien erscheinen, es aber in Wahrheit nur zwei Studien für Mathematik gibt, nämlich TIMSS einerseits und andererseits die IQB-Studie, die tatsächlich Daten erheben. Alle anderen Studien schreiben leider von diesen beiden Studien ab. Obgleich sie auch in der Öffentlichkeit stets große Aufmerksamkeit finden, präsentieren diese anderen Studien selten neue Daten.

Die letzte aktuelle Studie, die über Hamburg eine Aussage trifft, stammt aus dem Jahr 2012. Die getesteten Schülerinnen und Schüler besuchten in der Zeit von 2002 bis 2012 die Schule. In dieser Zeit sind die Neuntklässler untersucht worden mit schlechten Ergebnissen für Hamburg. Hamburg ist damals auf Platz 13 aller Bundesländer gelandet vor den beiden Stadtstaaten Berlin und Bremen sowie Nordrhein-Westfalen. Das ist die jüngste aktuelle Studie, die für Hamburg Leistungen wiedergibt. Wo wir heute sechs Jahre später stehen – die getesteten Schülerinnen und Schüler sind 2011 getestet worden –, können wir zurzeit nicht sagen. In der Öffentlichkeit wird immer viel darüber diskutiert, dass Hamburgs Schülerinnen und Schüler keine Mathematik beherrschen würden, aber einen Vergleich zu anderen Bundesländern gibt es derzeit nicht.

Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, darauf hinzuweisen, dass gerade eine neue IQB-Studie für Deutsch und Englisch erschienen ist. Ich will nicht nach Oberlehrer klingen, aber weil es auch

aus der Opposition die Kritik gab, ich hätte die problematischen Matheergebnisse dieser Studie verschwiegen, sage ich ganz klar, dass diese Studie Mathe gar nicht untersucht hat. Deswegen konnte der Schulsenator keine Matheergebnisse in dieser Studie nennen.

Und, Frau Prien, wenn Sie jetzt "Ach was" sagen, dann darf ich auf Ihre Pressemitteilung gezielt antworten. Sie haben geschrieben, diese letzte IQBStudie habe der ehemalige Staatsrat Vieluf ausgewertet. Ach was, kann ich nur sagen. Das ist natürlich nicht wahr. Vielleicht ist das auch eine Erklärung zu den Studien, bei denen wir jetzt gut abgeschnitten haben, aber für Mathe gibt es nur eine alte und die war nicht so gut. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Es liegt eine weitere Wortmeldung vor, Frau Boeddinghaus von der Fraktion DIE LINKE. Auch Sie haben eine Minute. Bitte.

Wenn viele Schulleitungen aus unterschiedlichen Schulformen dem Senator mitteilen, dass seine sogenannte Matheoffensive in ihren Schulen nicht so richtig Fuß fasst und für die Schülerinnen und Schüler nicht die nachhaltige Wirkung erzielt, die der Senat sich erhofft, weil sie eben nicht individuell anknüpft an die jeweiligen Schulkonzepte und gar nicht mit den nötigen Ressourcen unterlegt ist, was antwortet der Senator ihnen?

Der Senator antwortet, dass ihm das, was Sie als viele Schulleitungen zitieren, nicht bekannt ist. Ich sage Ihnen offen, dass Schulleiter in der Regel durchaus briefeschreibefreundlich sind. Einen Brief zum Thema Mathe gibt es hier nicht. In der Tat sagen sehr wenige Schulen, sie machten Mathe anders, insbesondere ohne Fachlehrer. Es ist richtig, dass es hier einen Dissens zwischen mir und einzelnen Schulen gibt. Ich glaube aber, die Studien, die in diesem Punkt sehr eindeutig sind, geben Anlass zu sagen, es ist richtig, Mathematiklehrer einzusetzen. Wenn eine Schule glaubt, sie könne sich dieser Idee widersetzen und weiterhin Chemie- und Sportlehrer vor allem im Mathematikunterricht einsetzen mit der Begründung, diese Lehrer könnten besser Pädagogik, dann muss ein Schulsenator auch manchmal eine Entscheidung fällen. Dass die nicht jedem passt, damit kann ich leben. Ich glaube aber, sie ist richtig.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

(Senator Ties Rabe)

Es liegt noch eine Fragestellung von der FDP-Fraktion vor, Frau von Treuenfels-Frowein.

Herr Senator, ich habe eine sehr spezielle und sehr konkrete Frage an Sie. In diesem Brief, über den wir gerade sprechen, wird speziell auf Hamburgs Mathematikabituraufgaben Bezug genommen. Es steht darin, dass Hamburg Vorreiter dafür sein möchte, Textaufgaben mit einem Inhalt zu stellen, der so schwierig zu verstehen ist, dass erst einmal eine halbe Stunde Einlesezeit extra gegeben werden muss, damit die Schüler diesen Text überhaupt verstehen. Wie stehen Sie persönlich zu diesem Vorwurf, und wenn Sie ihn bejahen, würden Sie dann dafür sorgen, dass das ein Ende hat?

In der Tat gibt es insbesondere in der Hamburger Universität unter den Mathematikfachdidaktikern eine große Gruppe, die diese Aufgaben stark präferiert. Und das hat auch Auswirkungen auf das Bundesland Hamburg. Ich glaube aber, wir sollten uns an der Frage deshalb nicht verkämpfen, weil die Tatsache, dass wir jetzt über den sogenannten Abituraufgaben-Pool bundeseinheitliche Aufgaben haben werden, die Entscheidung schon herbeiführt, ohne dass wir in Hamburg den Glaubenskampf beginnen müssen. Denn tatsächlich werden jetzt 16 Bundesländer sich jedes Jahr auf das Niveau, aber auch auf die Frage Text oder weniger Text oder gar kein Text bei den Abituraufgaben einigen. Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir uns sehr eng an diesen Aufgaben orientieren werden, und damit wird im Großen und Ganzen diese Entscheidung in ganz Deutschland mit gefällt. Hamburger Mathematiklehrer arbeiten daran mit, aber sie sind ein Teil. Und ich habe jetzt bereits den Eindruck, dass die sehr klare Textorientierung auf der Bundesebene des Aufgaben-Pools ein Stück zurückgefahren wird, wenn auch nicht vollständig, sodass sich hier vielleicht eine Verschiebung in der Schwerpunktsetzung von selbst ergibt.

Vielen Dank. – Wir haben nun die 20 Minuten für die erste Fragerunde auch voll ausgenutzt und kommen zur zweiten Fragestellung, die die SPD eingereicht hat. Wer von der SPD möchte die Fragestellung übernehmen? Frau Jäck, bitte sehr, Sie haben für eine Minute das Mikrofon.

[Die Bundesländer haben mit dem Bund vereinbart, dass ab dem 1. April 2017 Anlauf- und Beratungsstellen bereit stehen sollen, damit Kinder und Jugendliche, die zwischen 1949 bis 1975 in der Bundesrepublik oder zwischen 1949 und 1990 in der DDR in Einrichtungen der

Behindertenhilfe oder in Einrichtungen der Psychiatrie Leid und Unrecht erfahren haben, im Rahmen der Stiftung "Anerkennung und Hilfe" eine pauschale finanzielle Anerkennungsleistung von 9.000 Euro und gegebenenfalls eine Rentenersatzleistung erhalten können. Wie gewährleistet der Senat, dass in Hamburg die Beratungen und Anmeldungen rechtzeitig ab April erfolgen können und die Betroffenen über die Möglichkeiten der Stiftung "Anerkennung und Hilfe" informiert werden? (Fragethe- ma der SPD-Fraktion)]

Die Bundesländer haben mit dem Bund vereinbart, dass ab April 2017 Anlauf- und Beratungsstellen bereitstehen sollen, damit Kinder und Jugendliche, die in der Vergangenheit in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie Unrecht und Leid erfahren haben, im Rahmen der Stiftung Anerkennung und Hilfe eine pauschale finanzielle Anerkennungsleistung erhalten und gegebenenfalls auch Rentenersatzleistungen. Wie gewährleistet der Senat, dass in Hamburg die Beratungen und Anmeldungen ab April 2017 erfolgen können und die Betroffenen über die Möglichkeiten der Stiftung informiert werden?

Bitte sehr. Der Senat darf antworten.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Abgeordnete! Hamburg hat die Anlaufstelle für die Stiftung Anerkennung und Hilfe, die gemeinschaftlich mit dem Bund, den Ländern und den Kirchen errichtet wurde, um Menschen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, zu helfen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe in den Jahren von 1949 bis 1975 auf dem Gebiet der BRD und von 1949 bis 1990 auf dem Gebiet der DDR Unrecht und Leid erlitten haben, bereits eingerichtet. Wir haben diese Beratungs- und Anlaufstelle bei unserem Versorgungsamt eingerichtet. An gleicher Stelle war bereits die Anlauf- und Beratungsstelle für den Heimkinderfonds angesiedelt, sodass dort erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – vier an der Zahl, zwei mehr als über die Bundesstiftung finanziert werden – die Beratungstätigkeit bereits aufgenommen haben. Wir haben darüber nicht nur in einer öffentlichen Auftaktveranstaltung mit der Evangelischen Stiftung Alsterdorf die Betroffenen, zahlreiche gesetzliche Betreuer, Angehörige, aber auch sonstige Interessierte informiert und das Antragsverfahren im Detail erläutert, sondern wir haben darüber hinaus Multiplikatoren gezielt informiert und werden ab dem 1. April 2017 eine große Plakatkampagne zu diesem Thema in der Stadt haben.

Es ist uns sehr wichtig, dass möglichst viele Betroffene die Möglichkeit nutzen, hier Anerkennung zu

finden, und auch diesen pauschalen Betrag und/ oder die Rentenersatzleistung für sich in Anspruch nehmen, denn man muss sagen, dass diese Stiftung sechs Jahre später entstanden ist als der eigentliche Heimkinderfonds seinerzeit und wir damit eine große Ungerechtigkeitslücke endlich schließen können. Darüber hinaus werden strukturell die Hamburger Betreuungsvereine, Multiplikatoren und Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie psychiatrische Kliniken gezielt von der Bundesgeschäftsstelle der Stiftung mit Informationsmaterial versorgt, sodass wir darauf hoffen, möglichst viele potenziell Betroffene und/oder ihre Angehörigen und gesetzlichen Betreuer zu erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Gibt es eine Nachfrage? Bitte sehr, Frau Jäck noch einmal.

Gibt es über dieses technisch-finanzielle Angebot hinaus Hilfsangebote, damit die leidhaften Erfahrungen, die diese Menschen gemacht haben, bearbeitet und verarbeitet werden können?

Anders als beim Heimkinderfonds bringen wir dieses Mal pauschale Geldleistungen aus. Um dies leisten und mit diesem speziellen Personenkreis das Antragsverfahren in angemessener Form gestalten zu können, findet das Antragsverfahren in gemeinsamen Gesprächen mit besonders geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Versorgungsamtes statt. Es muss nur plausibel gemacht werden, dass die antragstellenden Personen im relevanten Zeitraum als Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen der Behindertenhilfe oder den klinischen Einrichtungen der Psychiatrie untergebracht waren. Dann können wir durch ein Plausibilitätsprüfungsverfahren relativ zügig nachprüfen, ob sie von dieser Stiftung eine Anerkennungsleistung bekommen können oder ob sie möglicherweise über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anlaufstelle als Lotsen in andere Entschädigungssysteme weiterverwiesen werden müssen, zum Beispiel ins Opferentschädigungsgesetz, wenn sich die Dinge nach 1975 zugetragen haben. Das ist von besonderer Bedeutung. Dann wird gemeinschaftlich – und das ist eine große Hilfe, die wir bei dem anderen Verfahren und bei dem anderen Fonds eben nicht hatten – erfasst und vereinbart, um welche Form von Unrecht und von Leid es sich handelt, sodass die Betroffenen dies nicht allein über mühselige Anträge nachweisen müssen. Das hat sich in der Vergangenheit nicht bewährt. So kommt man dann zu einem ziemlich konsensualen Antrag, so unsere Hoffnung und vor allen Dingen die Lehren aus dem Heimkinderfonds an dieser Stelle, der eine pauschalierte Geldleistung zur Folge hat,

wenn sich das geschilderte Geschehen plausibilisieren lässt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es wurden weitere Nachfragen angezeigt. Zunächst hat Herr Heißner von der CDU-Fraktion für eine Minute die Gelegenheit dazu.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der Senat einem Antrag der CDU-Fraktion aus dem Januar 2015 gefolgt ist und die Stiftung Anerkennung und Hilfe in Hamburg auch umgesetzt hat.

Aber ist es vor dem Hintergrund, dass sich Ende 2014 außer dem bayrischen alle Landessozialminister, auch der damalige Sozialsenator der SPD, noch gegen die Gründung der Stiftung ausgesprochen haben, nicht etwas vermessen, sich dafür jetzt mit so einer Gefälligkeitsfrage feiern zu wollen? Und wäre es vor dem Hintergrund, dass Opfer aus Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien, wie Sie selbst sagten, erst mehrere Jahre später als andere Opfer etwa aus Erziehungsheimen entschädigt werden und es vor allem dem persönlichen Einsatz der Bundeskanzlerin zu verdanken ist, dass dies jetzt doch noch geschieht, nicht angemessener gewesen, Gutes zu tun und ausnahmsweise einmal zu schweigen?