Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass gerade bei den Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz in der Sozialgerichtsbarkeit eine zügige Abarbeitung von besonderer Bedeutung ist. Deshalb frage ich die Landesregierung, wie sich dort die Verfahrenszahlen entwickelt haben und wie sich auch die durchschnittliche Dauer der Verfahrenszeiten darstellen lässt.

Herr Minister Busemann antwortet.

Herr Präsident! Frau Kollegin Heister-Neumann! Meine Damen und Herren! Grundsätzlich messen wir unsere Verfahrenseingänge, um dann über einen längeren Zeitraum zu gucken: Steigert sich das Ganze noch, oder haben wir eine Spitze erreicht, sinkt es langsam ab? - Das tun wir sowohl bei den Eingängen als auch beim Gesamtbestand. Per 30. September 2011 können wir es für ein paar Monate hintereinander beleuchten, sodass das

hoffentlich der Trend ist, den wir uns gemeinsam wünschen.

Ein besonderer Seismograf einer sich andeutenden Veränderung in der Entwicklung ist der Bestand der Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz. Hier sieht es im Moment so aus, dass die Zahl der Verfahren zum Stichtag 30. September 2011 gegenüber dem Vorjahr um 10,2 % zurückgegangen ist, was dann auch dabei hilft, dass der Bestandsabbau mehr als vorher in Angriff genommen werden kann. Zum Stichtag 30. September 2011 hatten wir mit 398 anhängigen Verfahren die niedrigste Zahl von Neueingängen beim einstweiligen Rechtsschutz seit 2004. Das hat dann auch die Verfahrensdauer begünstigt. Die Verfahrensdauer im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes liegt bei exakt einem Monat. Das ist der niedrigste Wert, den wir seit Beginn der statistischen Erfassung, also seit 2007, gehabt haben. Dies sind erste Anzeichen dafür, dass sich der Bereich der Sozialgerichtsbarkeit, was die hohen Belastungsverhältnisse anbelangt, vorsichtig wieder in die günstigere Richtung entwickelt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE stellt die nächste Zusatzfrage. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Busemann, ich habe Sie vorhin so verstanden, dass Sie die Abordnungen zur Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit, die ja vor allen Dingen von den Verwaltungsgerichten kommen, verlängern wollen. Dann frage ich natürlich, ob das nicht bei den Verwaltungsgerichten zu Problemen führt. Denn so problemlos, wie Sie das dargestellt haben, ist es dort nach meiner persönlichen Kenntnis nicht. Verfahrensdauern von einem Jahr sind beim Verwaltungsgericht immerhin noch gang und gäbe.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Helge Limburg [GRÜNE])

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Herr Kollege Adler! Meine Damen und Herren! Wenn die Belastung so ist, dass wir

mehr Stellen bzw. mehr Abordnungen brauchen, dann werden wir uns dem Thema stellen.

Sie wissen aber auch, Herr Kollege Adler, wie schwierig es selbst zu normalen Zeiten ist, als Dienstherr einen Richter mehr oder weniger gegen seinen Willen sozusagen gezwungenermaßen von einer Fachgerichtsbarkeit A in eine Fachgerichtsbarkeit B zu versetzen. Dagegen hat er, weil er unabhängiger Richter ist, erhebliche rechtliche Möglichkeiten.

Ich kann also nur noch einmal nicht nur hervorheben, sondern auch dafür werben, dass wir mit einem System der Abordnung hier Abhilfe schaffen. Die Verwaltungsrichter, die wir dafür gewonnen haben, in der Sozialgerichtsbarkeit auszuhelfen, haben das auf freiwilliger Basis gemacht. Das hat sich als erfolgreiche Maßnahme gezeigt.

Nun will ich Ihnen auch ganz offen sagen, warum hier gerade die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzusprechen war: erstens, weil die fachliche Nähe und auch die prozessualtechnische Nähe durchaus gegeben sind; das zeigt auch die praktische Bewährung. Zweitens - das sage ich Ihnen auch ganz offen -: In der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben wir einen PEBB§Y-Wert von unter 0,9. Wenn wir uns nicht gegenseitig aushelfen würden, sondern die Verwaltungsgerichtsbarkeit sich in toto oder im Einzelfall dagegen sperren würde, müsste ich sogar bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit nachgucken und sagen: Dann müssen wir hier einen Stellenabbau machen, um anderswo einen Stellenaufwuchs zu organisieren.

Hier würde ich einmal sagen - Stichwort: atmender Betrieb -: Dann helfen wir uns doch bitte gegenseitig über Abordnungen aus den Problemen heraus und machen es nicht zu kompliziert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion kommt die nächste Zusatzfrage von Herrn Haase. Bitte sehr!

Danke, Herr Präsident. - Ich habe noch eine Frage in Bezug auf Alternativen zum streitigen Verfahren. Wir wissen ja, dass gerade auch in der Sozialgerichtsbarkeit bzw. im Sozialrecht Mediationsverfahren in durchaus nennenswertem Maßstab stattfinden. Wie beurteilt es die Landesregierung, mithilfe des verstärkten Einsatzes von Mediationsverfahren auf der einen Seite die Erfolgsaussichten der Be

endigung von streitigen Verfahren zu befördern und damit auf der anderen Seite eine Entlastung der Gerichte und folglich auch eine Verkürzung der Verfahrensdauern zu erreichen? Dieser Ansatz wäre ja vielleicht hilfreich.

Ansonsten - wenn eine Antwort gestattet ist -: Ich habe hier das Schreiben des Hauptrichterrates, das Sie gerade von Herrn Tonne angefordert haben.

(Minister Bernhard Busemann: An Sie oder an uns?)

- An uns. Sie kriegen es aber.

Jetzt wollen wir die Spielregeln weiter einhalten.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Entschul- digung! Ich wollte auch antworten!)

Der Herr Minister hat das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Herr Kollege Haase, dann wäre das ja geklärt. Wenn der Hauptrichterrat das dann auch dem Dienstherrn zukommen lässt, können wir ja, falls da Problematiken aufgezeigt sind, gemeinsam die zufriedenstellende Erledigung eventueller Probleme oder Befürchtungen angehen.

Ich will Ihnen sagen: Niedersachsen hat sich - auch schon vor meiner Amtszeit - sehr stark für Mediation eingesetzt. Gerade Richterinnen und Richter an diversen Standorten - ich gebe zu, der Schwerpunkt war die ordentliche Gerichtsbarkeit - haben Schrittmacherdienste für die neue gesetzliche Richtung geleistet, die ja bundesweit kommt. Deswegen sehen Sie uns in Niedersachsen bitte als jemand an, der sehr stark für Mediation eintritt: für die außergerichtliche Mediation, aber auch - bundesweit läuft dazu eine Diskussion; dahinter steckt ein bisschen Lobbyismus - für die richterliche Mediation. Die richterliche Mediation möchte ich gerne einbeziehen; denn es wäre sozusagen eine ungute Entwicklung, wenn dieser Bereich dabei ausgeklammert würde. Schließlich laufen manche Fälle bei Gericht auf, und dann hat es der Richter in der Hand, eine Mediation zu initiieren; das ist dann im außergerichtlichen Bereich nicht mehr nötig.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Wie sich die Prozentzahlen insgesamt darstellen werden - für die ordentliche und die Fachgerichtsbarkeit -, können wir noch nicht sagen. Aber es

sind nicht nur ein paar Fälle, sondern mehr, sodass am Ende eine Entlastung der Richterinnen und Richter das Ergebnis sein wird.

Die Sozialgerichtsbarkeit bleibt ausdrücklich mit im Paket der Gerichtsbarkeiten, die für eine Mediation offen sein sollen. Anders wird das bei der Finanzgerichtsbarkeit gesehen. Da mag man Gründe dafür und dagegen finden; sie bleibt wohl außen vor. Aber die Sozialgerichtsbarkeit ist mit dabei. Ich könnte aber jetzt nicht quantifizieren, in wie vielen Fällen eine Mediation möglich wäre, wie viel Entlastung das bringt, wie viele Stellen eingespart werden könnten. Aber ich denke, es lohnt sich, daran zu arbeiten, dass gerade auch die Sozialgerichtsbarkeit bei der Mediation mit einbezogen wird.

(Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister Busemann. - Als nächster Fragesteller hat sich Herr Kollege Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Nachfrage zu dem in der ursprünglichen Frage erwähnten sozialgerichtlichen Verfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat ja ausgeführt, dass nicht die Komplexität des Verfahrens der Grund für die lange Verfahrensdauer gewesen sei, sondern dass gerichtsinterne Gründe dafür verantwortlich gewesen seien. Der Minister hat, wenn ich das richtig verstanden habe, in seiner Antwort ausgeführt, dass das Verfahren eben doch sehr komplex sei. Ich wollte einfach nur fragen, ob ich es richtig verstanden habe, dass das Justizministerium mit Blick auf die Frage der Komplexität des Verfahrens weiter dem Bundesverfassungsgericht widerspricht.

Herzlichen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Limburg, ich hörte heute Morgen in den Nachrichten, dass dieser Einzelfall am Sozialgericht Hildesheim hier thematisiert würde und möglicherweise aus Hildesheim gesagt worden sei, die Verzögerung hinge mit erhöhter Richterbelastung

aufgrund von Erkrankung und all diesen Dingen zusammen, die wir da immer hören.

Das ist nach meiner Einschätzung in diesem Fall nicht so. Das Verfahren ist noch nicht abschließend entschieden; deshalb bleibe ich im ganz Allgemeinen. Es ging zunächst ja auch mit einstweiligem Rechtsschutz los. Dieses Verfahren hatte einige grundsätzliche Probleme in sich. Da hat das Sozialgericht Hildesheim gesagt: Wir warten den Verlauf anderer Verfahren - bis zum Bundessozialgericht - ab, um grundsätzliche Klärung zu bekommen und danach unsere Entscheidung auszurichten. - Wie gesagt: ruhendes Verfahren, bis höchstrichterliche Entscheidungen vorliegen.

Unter diesem Blickwinkel hat das Justizministerium, als es dann irgendwann gefordert war, diese Verhaltensweise - sprich: das war ein Fall von Nichtbearbeitung durch das Sozialgericht - für vertretbar gehalten. Das Bundesverfassungsgericht ist in diesem Fall der Auffassung: So kompliziert ist es denn auch nicht; das hätte man auch entscheiden können, ohne die höchstrichterliche Entscheidung z. B. des Bundessozialgerichts abzuwarten. Deshalb ist es ein zu kritisierender Fall im Sinne von überlanger Verfahrensdauer.

Wenn Karlsruhe das so meint, dann achten wir das, und dann wird sich entsprechend danach verhalten. Der Fall wird in üblicher Weise in richterlicher Unabhängigkeit weiter bearbeitet, wie andere im Lande auch. Das ist hier der Grund für die Verzögerung. Die Ursache ist nicht eine Überlastung oder zu wenige Stellen oder was wir an Argumenten sonst so kennen. Es war die Frage, ob man weitermacht oder eine höchstrichterliche Entscheidung abwartet.

(Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Die fünfte Frage für die SPD-Fraktion stellt jetzt Herr Kollege Bosse.

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Herr Minister Busemann, wie wird durch ein mögliches Controlling sichergestellt, dass es nicht zu überlangen Gerichtsverfahren kommt? Gibt es überhaupt ein solches Controlling, bzw. wird es das in Zukunft geben?

Herzlichen Dank, Herr Bosse. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann.

Frau Präsidentin! Herr Kollege Bosse, das ist in der Tat ein wichtiger wie auch sensibler Bereich. Wenn sich ein Justizminister Gedanken in diese Richtung macht, dann bekommt er natürlich sofort den Hinweis präsentiert: Das betrifft die richterliche Unabhängigkeit; wie wir unsere Fälle, unsere Akten bearbeiten, geht Sie gar nichts an.

Das sehe ich - in Achtung der richterlichen Unabhängigkeit - ein kleines bisschen anders. Wir dürfen von unseren Gerichten - egal, ob groß oder klein, alle haben eine Behördenleitung - eine Organisation erwarten, die für alle Verfahren eine rechtskonforme, aber auch in verantwortlicher Weise zügige Bearbeitung ermöglicht. So gesehen ist es auch eine zumutbare Unteraufgabe von Gerichtsorganisation, immer zu prüfen, welche Verfahren reichlich lange dauern, wo aus Gründen des Zeitablaufes rechtliche Problematiken entstehen könnten, woran man gemeinsam - in Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit - arbeiten muss.

Die Gerichte, die Behördenleitungen haben dafür unterschiedliche Systeme. Es gibt, wenn man so will, Checklisten, die genau erfassen, welches Verfahren wie lange dauert und wo man eventuell ein bisschen Schub reingeben muss, wo vielleicht, wenn ein Richter erkrankt ist, eingegriffen werden muss, um das Verfahren entsprechend zu befördern. - Sie merken, wie behutsam ich mich ausdrücke.

Ich habe unsere Behördenleiter gebeten, im Lichte des Gesetzes mit Blick auf überlange Verfahren noch einmal von Standort zu Standort zu schauen, wie wir noch besser werden können, wie das Controlling noch besser gemacht werden kann, wohlgemerkt: in Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit. Denn klar ist auch: Bezahlen muss am Ende der Steuerzahler, wenn das Verfahren vor Ort zu lange dauert. Das kann nicht Sinn der Übung sein.

Wie gesagt: In der Wahrung bestimmter Möglichkeiten und Grenzen muss miteinander gearbeitet werden. Die Mechanismen sind bekannt. Sie müssen verfeinert und umgesetzt werden.